Totholz Kapitel 4

Kapitel 4


So schnell die Füße den Waidmann trugen, rannte er zurück in die tiefen, schwarzen Schatten des Waldes. Selbst wenn der Tag schon längst angebrochen war, die verwachsenen Baumkronen über ihm machten es dem Tageslicht schwer hindurch zu kommen.
Die Wirkung des Tranks, welcher ihm das Sehen in der Nacht ermöglichte, war längst vergangenen, doch noch konnte er genug im Zwielicht erkennen um sich selbst einen Weg zu bahnen.
Der gefrorene Boden unter seinen Füßen ließ ihn oftmals schlittern, Pulverschnee wurde von seinen Stiefeln aufgewirbelt, und er merkte dass ihm Gestalten folgten.
Mit ihnen konnte er sich nicht aufhalten, er musste sie bei passender Gelegenheit abhängen, vielleicht war dies auch gar nicht möglich da sie bereits wussten wohin ihn sein Weg führen würde.
Sein heißer Atem verdampfte knisternd in der kalten Winterluft.
Kurz nachdem er die Hütte des Druiden passiert hatte, blieb er kurz stehen und ließ den Blick schweifen. Er erinnerte sich an die Worte die er in dem Tagebuch gelesen hatte, dass in der Nähe ein Fluss durch eine tiefere Senke führen musste.
Es war bereits zu kalt geworden, als dass der Fluss sich durch das vertraute Rauschen enttarnen ließ, also musste Fisk sich blindlings durch das Unterholz begeben. Ihm fiel zwischen all den Bäumen und Sträuchern eine Art kleiner Pfad auf, vielleicht war dies ein Weg den der Druide oft gewählt haben musste.
Der Pfad schlängelte sich einen kleinen Hang hinab. Das gefrorene Laub unter seinen Stiefeln gebot ihm kaum Halt, aber er durfte keine Zeit verlieren. Sich still und leise an diesem Ort zu bewegen brachte ihm nichts. Fisk wusste, um ihn herum lauerten unzählige Augen die ihn beobachteten. In jedem Baum, in jedem Strauch waren die Geister des Waldes zu Hause, verderbt von dem Fluch der ihrem Heim anlastete.
So rutschte der Waidmann den Hang hinab, unten angekommen rannte er bereits weiter, hinter ihm das dumpfe Stöhnen seiner Verfolger.
Plötzlich kreuzte sein Pfad eine breite Fläche aus Eis. Der Fluss, den er gesucht hatte, lag direkt vor ihm, keine zwei Meter breit.
Dicht trat er an das Ufer und blickte das Flussbett entlang welches sich immer tiefer in den Wald schlängelte. Etwas fiel ihm in der Ferne bereits auf, etwas dass ihm großes Unbehagen bereitete und von dem der Druide nicht einmal berichtet hatte. Vielleicht weil er sich schon lange nicht mehr in diesen Teil des Waldes getraut hatte, oder weil sein Körper so lange schon verrottete.
Seine Finger griffen nach dem Heft seines Schwertes, es summte schon eine ganze Weile vor freudiger Erregung. Als er es langsam herauszog, konnte er den unbändigen Durst des Stahls vernehmen der danach schrie das Böse von dieser Welt zu verbannen. Seine Handinnenfläche brannte wie Feuer.
Fisk zog die Klinge blank, hinter seinem Rücken näherten sich die Leidenden, die ihm schon lange folgten, in der Hoffnung an ihm ihre alles verzehrende Rache zu nehmen. Rache für all das Leid und den Schmerz der ihnen bereitet wurde.
Diesen Wunsch konnte er ihnen nicht erfüllen, nur die Erlösung.
Er wirbelte herum und ließ seine Klinge in der kalten Luft tanzen. Zertrennte Knochen und Fleisch, trennte Köpfe von ihren Leibern und streckte nieder was schon längst tot sein sollte.
Als sein Werk verrichtet war, zog es ihn weiter.
Nach wenigen Metern kam er an die Stelle die ihm bereits aus der Ferne aufgefallen war. Die Wurzeln eines Baumes waren an manchen Stellen aufgebrochen und ein dumpfes, violettes Schimmern trat daraus hervor. „Verderbnis...“ Er kannte sie nur zu gut, daher gab es keinen Zweifel für den Jäger.
Langsam ging er weiter, das violette Leuchten zeigte ihm den Weg zum Herzen des Fluches. Immer mehr Bäume trugen die Spuren, ihre Wurzeln und bald auch ihre Stämme waren zerborsten und eine violette Masse quoll hervor. Er passierte Pilze, die sich trotz der Kälte durch den Boden gebohrt hatten. Der Schnee machte ihnen nichts aus, sie wirkten als seien sie transparent, und auch sie gaben ein violettes Leuchten ab.
Die Verderbnis wucherte an jedem Baum, jedem Strauch, wie ein Geschwür das sich immer weiter auszubreiten schien. Deformierte Bäume beugten sich über ihn, als wollten sie ihre Äste gebrauchen um nach ihm zu greifen.
Das Summen seines Schwertes nahm zu, er umfasste den Griff noch fester. Der gefrorene, mit Schnee bedeckte Boden wich einem morastigen Untergrund und der Gestank von Fäulnis trieb die Übelkeit in seine Magengrube.
Fisk zog sich den Stoff seines Schals über die Nase und schlich in gebeugter Haltung weiter. Ein Lufthauch streifte ihn, eisig kalt wie der Hauch des Todes persönlich.
In letzter Sekunde gelang es dem Waidmann auszuweichen. bevor eine schwarze Hand nur knapp an seinem Gesicht entlang fuhr.
Fisk blickte hoch in ein Gesicht das keines war.
Der Leib des Wesens war in eine lange, graue Kutte gehüllt die seinen schwarzen Körper fast gänzlich verbarg. Sie war bestickt mit Tüchern aus dunklem Leinen auf denen rote Runen flackerten.
Schnell wie der Wind wich es zurück, seine Kutte blähte sich leicht unter einem nicht existierenden Wind, dann erst erkannte Fisk dass es keine Füße hatte und nur wenige Zentimeter über dem Boden schwebte.
Kurz stockte Fisk der Atem, ihm war dieses Wesen gänzlich unbekannt, obwohl er in der Annahme war, in seinem Leben schon fast alles gesehen zu haben. Ein Irrtum. Ein ziemlich dummer.
Irgendetwas an dieser Kreatur ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Noch immer versuchte er ein Gesicht in der Schwärze zu erkennen die unter der Kapuze der Kutte lag, aber dort schien einfach nichts zu sein. Es streckte die Arme nach dem Waidmann aus, seine langen Finger waren gekrümmt wie Klauen. Wieder stürzte es nach vorn, Fisk machte sich bereit auszuweichen, doch dann ging alles ganz schnell und etwas geschah, das nicht geschehen sollte.
Unter der Schwärze der Kapuze tat sich ein langer Schlund auf der fast das komplette Gesicht einnahm, und entblößte eine lange Reihe aus spitzen Zähnen. Ein Schrei drang aus der Kehle der Kreatur, so schrill dass Fisk glaubte ihm würde es seinen Kopf zerreißen. Dann konnte er sich nicht mehr bewegen.
Er hatte zur Abwehr noch einen Arm hoch gerissen, doch kein Muskel seines Körpers wollte ihm jetzt noch gehorchen. Das Schwert lag unendlich schwer in seiner anderen Hand und seine Füße schienen im fauligen Morast verwachsen zu sein. Sein Blick war auf den finsteren Schlund vor sich gerichtet. Der Gedanke, ob es ihn im ganzen verschlingen wollte, oder erst mit seinen Klauen zerreißen würde, schoss ihm durch den Kopf.
Alles geschah in nur wenigen Sekunden. Sekunden die für den Waidmann wie eine Ewigkeit wirkten, denn er fühlte sich als würde der Tod ihn nun endlich überlistet haben. Das wollte er nicht zulassen. Niemand konnte ihm jetzt noch helfen, er war allein in der Tiefe dieser verwunschenen Wälder, kein Ort an dem man eines ruhmreichen Todes starb. Also musste er los lassen, die Kontrolle von etwas lösen, dass er eigentlich niemals frei lassen durfte, doch ohne es, würde er sterben.
In seiner ausgestreckten Hand manifeszierte sich ein violettes Licht, formte sich zu einer Flamme die sich um seine Finger schlang. Das Feuer loderte auf, und schoss im nächsten Augenblick vor, direkt in das formlose Gesicht der Kreatur.
Die Flamme explodierte und hüllte den gesamten Körper ein, verzehrte ihn, brachte die schlimmsten Todesqualen mit sich. Fisk konnte sich wieder bewegen und taumelte nach hinten. Das Wesen schlug unkontrolliert um sich, schrie vor Schmerz bis die Flammen seinen Leib gänzlich verzehrten, und nur noch einen kleinen Haufen glimmender Asche übrig ließen.
Fisk atmete schwer, seine Augen waren weit aufgerissen und erfüllt von eben jenem violetten Leuchten das soeben seiner Hand entsprungen war, und dass den Wald um ihn herum befallen hatte.
Ein paar Male blinzelte der Waidmann, dann hatten seine Augen wieder die Farbe von klarem Blau angenommen. „Verflucht!“ Er zischte vor Wut und atmete noch einige Male tief durch. Dieser Auftrag konnte nicht wieder gut machen, was er in nur einem kurzen Augenblick gerade wieder verloren hatte.
Wütend zerstampfte er mit seinem Stiefel den Haufen Asche vor sich, bis auch der letzte Funken des dämonischen Feuers erloschen war.
Dann ging er weiter, verteufelte sich selbst das nächste Mal aufmerksamer zu sein, noch solch ein dummer Fehler sollte ihm nicht passieren.
Mit größerer Vorsicht schlich sich der Waidmann durch das Unterholz, immer schlimmer wurden die Geschwüre der Dämonenmagie, er konnte spüren wie sie ihn rief, ihn lockte. Immer wieder mahnte er sich nicht die Konzentration zu verlieren. Noch ein paar Mal begegnete er den merkwürdigen Kreaturen, die lautlos über den Waldboden schwebten, eine jede trug die zerlumpten Kutten mit den Aufnähern, auf denen rote Runen tanzten. Still und heimlich gelang es ihm sich an ihnen vorbei zu schleichen, es juckte ihn in den Fingern herauszufinden wie er sie besiegen konnte ohne die Magie anzurufen, aber er durfte kein Risiko eingehen. Er musste sich beeilen. Für Veldig und die Bewohner von Kraic.
Nach einer Weile des Fußmarsches lag plötzlich eine kleine Lichtung vor ihm, und was er dort sah trieb kalte Schauer seinen Rücken hinab. Das musste es sein. Sein Ziel.
Inmitten der Lichtung stand ein Baum. Viele Jahre schon alt, so groß gewachsen war er. Seine nackte Baumkrone erstreckte sich fast über dem gesamten Himmel über sich. Dunkle Wolken hingen tief und brachten sicherlich bald neuen Schnee mit sich.
Ein fauliger Duft lag in der Luft.
An den dicken Ästen des Baumes baumelten leblose Körper. Rings herum hatte man sie mit dicken Stricken aufgeknöpft. Dem Anblick nach waren sie schon eine sehr lange Weile tot, das letzte Bisschen Fleisch hing träge von ihren Knochen. Doch noch etwas befand sich auf den knorrigen Ästen, eine ganze Schar von Raben deren matte Augen auf ihn gerichtet waren.
Fisk umfasste das Heft seines Schwertes noch fester, es war schwer den Blick von dem entsetzlichen Bild vor sich zu lösen, aber er durfte nicht wieder in eine Falle laufen.
Die Lichtung schien bis auf den alten Riesen vollkommen verlassen. Ein kalter Wind fegte über ihn hinweg und schaukelte die toten Leiber sachte hin und her.
Das musste er sein, der Baum von dem der Druide in seinem Tagebuch geschrieben hatte. Unter seiner Rinde sah Fisk ein violettes Licht pulsieren. Langsamen Schrittes ging der Waidmann über die Lichtung, alles was zu hören war, war sein eigener Atem. Die Augen der Raben hatten ihn noch immer fixiert, ließen ihn nicht mehr los.
Erst als er wenige Meter noch von dem Baum entfernt war, begannen sie alle zusammen unruhig mit ihren Flügeln zu flattern, es war ein Geräusch so nervtötend dass es ihm den Verstand rauben konnte.
Unter seinen Füßen begann der Boden zu beben, etwas regte sich, und die gefrorene Erde der Lichtung schien zum Leben erweckt zu werden. Die Wurzeln des Baumes befreiten sich aus dem Grund, feste krallten sich die Raben in die Äste auf denen sie saßen um nicht herunter geschüttelt zu werden wie reifes Obst.
Knackend richtete sich der Baum immer weiter auf, bog sich unter der Last seines nackten Geästs, seine Wurzeln tasteten über den Boden als wären es Finger, suchend nach Halt.
Ein dunkles Stöhnen durchdrang die Stille, es war qualvoll und getränkt von solch unsagbarem Leid wie Fisk es noch nie erlebt hatte. Er stand noch immer vollkommen regungslos am Rande der Lichtung und betrachtete das grausige Schauspiel vor seinen Augen, traute sich nicht zu blinzeln oder gar zu atmen.
Langsam krochen die Wurzeln des Baumes über den Boden des Waldes. Sie krochen in seine Richtung. Starre Raben Augen bohrten sich in seine Seele als wollten sie diese in der matten Schwärze ertränken.
Mit beiden Händen fest im Griff hob Fisk sein Schwert. Die goldenen Runen leuchteten auf wie flüssiges Gold. So wunderschön der Anblick auch sein mochte, der Schmerz, das Brennen in des Jägers Händen wurde immer schlimmer und trieb ihm feine Schweißperlen auf seine Stirn.
Die Baumkrone bog sich nach vorn, schien einen Käfig aus nacktem Geäst zu formen, gemacht um seine Beute einzufangen. Doch diese Beute wollte sich nicht fangen lassen.
Fisk löst seine Starre, erwachte zu neuem Leben, sog einen tiefen Schwall der kalten Winterluft ein und stürmte los. Wie eine Peitsche schnellte ein weiterer Ast vor um seinen Übermut zu stoppen. Die Klinge sauste durch die Nacht und mit einem mächtigen Hieb ließ Fisk sie gegen seinen Angreifer prallen. Sie durchtrennte das Holz ohne Mühe und der Ast landete krachend neben ihm auf dem Boden. Eine Schar Raben die darauf gesessen hatten flatterten krächzend in die Luft.
Aus dem Stumpf sickerte eine violette, zähe Masse. Noch einen Augenblick lang zuckte der Ast, ein weiteres Stöhnen drang über die Lichtung.
Plötzlich flatterten alle Raben auf einmal in die Luft, das Getöse ihrer Flügelschläge war kaum auszuhalten. Lange hatte Fisk keine Zeit sich an dem Lärm zu stören, da ging auch schon die Schar in einen Sturzflug über und fiel auf den Waidmann ein.
Wieder sauste seine Klinge durch die Luft, Federn wurden in alle Richtungen geschleudert und regneten, begleitet von Blut und den Resten der Vögel, auf ihn nieder. Feucht und warm prasselte es auf sein Gesicht, ein kupferner Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Echtes Blut. Diese Raben zumindest, waren kein böser Zauber.
Dennoch hackten ihre spitzen Schnäbel bedrohlich auf ihn ein, ihre scharfen Klauen griffen nach ihm und verhakten sich hier und da in seiner Kleidung. Die Finger der Waidmanns angelten nach seiner Armbrust, blind tastete er sich zu dem Abzug vor. Noch während er die Waffe mit einer Hand erhob, ließ er die Arme zu beiden Seiten aufschnellen und schoss geradewegs in einen Raben hinein, der seine Krallen erhoben hatte um sie in seine Augen zu bohren. Ein Gedanke reichte aus. Der Gedanke an Feuer, Hitze und heiße Glut, und schon flammte die Spitze des Pfeiles auf. Nachdem sie den Leib des Raben durchbohrt hatte, explodierte sie in dutzende, brennende Splitter und wurde so zu tödlichen Geschossen die etliche Raben vom Himmel holte.
Ein zweiter Schuss folgte dem ersten, dem zweiten ein dritter, und die noch wenigen verbliebenen schwarz gefiederten Vögel flatterten davon.
Diesen kleinen Sieg konnte der Waidmann nicht auskosten. Etwas traf ihn hart von der Seite und fegte ihn fort wie eine lästige Fliege. Diesen Ast hatte er nicht kommen sehen. Fisk flog wenige Meter durch die Luft und prallte hart wieder auf dem Boden auf. Lichtblitze tanzten vor seinen Augen, die Welt um ihn herum drehte sich erbarmungslos. Das Beben der Erde trieb ihn dazu an, schnell wieder auf die Beine zu kommen denn das Grauen verfolgte ihn, und es war wütend.
Der Schlag hatte ihm seine Armbrust aus den Händen gerissen, sein Schwert aber hielt er noch immer fest. Ächzend kam er auf die Beine, kaum trugen sie ihn wieder, musste er auch schon dem nächsten Angriff der peitschenden Äste ausweichen.
Mit einem Hieb trennte er auch den nächsten Arm des Baumes ab, kleine Splitter flogen durch die Luft. Wieder ertönte dieses unendlich qualvolle Stöhnen. Als Fisk ein paar Schritte zurück ging erkannte er etwas entsetzliches zwischen den Wurzeln des Baumes mit denen er sich langsam fortbewegte. Überall, zwischen Erde und Wurzeln, blitzten weiße Knochen auf. Aus den leeren Augenhöhlen unzähliger Schädel blickten die Toten zu ihm auf. Manche der Skelette streckten ihre Arme nach ihm aus, versuchten ihn zu greifen. Es war keine Illusion, sie bewegten sich tatsächlich. Fisk wurde übel, wie viele Seelen waren hier begraben? Eine Zahl die er sich unmöglich ausmalen konnte, vielleicht auch gar nicht wissen wollte. Viele mussten es sein, um solch eine Kreatur hervor zu bringen.
Der Baum geriet in starke Seitenlage, für einen Moment wirkte es, als wollte er sich selbst zu Fall bringen, doch dann wankte er wieder zurück zu der anderen Seite und stieß seine Wurzeln hart ins Erdreich. Der Boden bebte so stark dass Fisk sich kaum auf den Beinen halten konnte. Er kämpfte noch mit dem Gleichgewicht als ihn etwas von hinten packte, und feste umschlang.
Einer der massiven Äste hatte ihn zu greifen bekommen und schraubte sich fest um ihn. Fisk blieb die Luft weg, er verlor den Boden unter den Füßen als der Baum ihn in die Höhe zog. Mit beiden Händen umfasste er noch immer das Heft seines Schwertes, doch die Äste hatten sich so fest um ihn geschlungen, dass er seine Arme nicht bewegen konnte und seine Waffe nutzlos war.
Als ihn der Baum so hoch oben in den Himmel hob, konnte er das Loch in der Erde sehen aus dem er entstiegen war. Überall lagen Knochen verstreut. Diese Lichtung war ein einziges, großes Massengrab.
An einem dickeren Ast neben ihm baumelte einer der Erhängten, sein leerer Blick hatte fast schon etwas flehendes. Fisk keuchte, seinen Lungen blieb kaum noch Platz und das atmen fiel ihm immer schwerer. Ein heftiger Ruck erschütterte den Baum. In der Mitte seines Stammes bildete sich unter lautem Knacken ein gewaltiger Riss. Im Zickzack suchte er sich den Weg von rechts nach links. Holz splitterte ab und der Riss spaltete sich auf. Unter dem Waidmann tat sich ein Maul auf, grotesk und mit fauligem Atem. Als dieses Mal das Stöhnen ertönte war es viel lauter, es kam nicht mehr aus dem Inneren des Baumes, sondern drang nun durch das Maul hinaus ins Freie.
Im Inneren des Stammes erkannte Fisk die Geschwüre der Verderbtheit. Sie pulsierten in freudiger Erwartung dass der Waidmann verschlungen werden sollte, ihr violettes Licht leuchtete heller.
Der Baum beugte sich nach hinten, öffnete seinen Schlund weit und löste die Äste um Fisks Leib. Seine Lungen füllten sich mit kalter Luft während er in die Tiefe stürzte. Der Waidmann nutzte diese alleinige Gelegenheit die sich ihm bot, direkt an das verdorbene Herz des Baumes heran zu kommen.
Im Fall umfasste er den Griff seines Schwertes fest mit beiden Händen, mit der spitzen Klinge voran stürzte er sich in den breiten Schlund. Fisk biss die Zähne zusammen es gelang ihm seinen Körper in eine gerade Position hinter seinem Schwert zu bringen. Er durfte nicht gegen die scharfen Zacken des Mundes kommen die problemlos seinen Körper aufreißen konnten.
Nur knapp gelang es ihm gerade in den Schlund einzutauchen. Seine Klinge bohrte sich in das feste Gewebe, es gab nur einen kurzen Widerstand, dann riss es auf und eine zähe Masse quoll hervor.
Der Baum schloss sein Maul wieder, in der Gewissheit den Eindringling verschlungen zu haben. Doch in seinem Inneren wütete Pein. Der Waidmann holte in seinem beengten Grab immer wieder aus, und rammte sein Schwert in die Wucherungen der Verderbnis unter seinen Füßen. Das Licht der goldenen Runen auf seiner Schneide, mischte sich in das violette Dämmerlicht. Sein Schwert brannte das Böse aus, stieß immer tiefer vor in den Kern. Die Luft um ihn herum brannte, jeder Atemzug schmerzte als würde es ihn von Innen heraus zerfressen. Aber er ließ seine Klinge immer wieder erbarmungslos nieder sausen.
Plötzlich explodierte das violette Leuchten um ihn herum in etliche Lichtblitze, versengten das faulige Holz seines stinkenden Grabes. In einem entsetzlichen Schmerzensschrei riss der Baum sein Maul wieder auf und taumelte, wild mit den Ästen schlagend umher.
Fisk steckte in Windeseile seine Waffe zurück, ging tief in die Knie und stieß sich ab. Seine Finger bekamen die Zacken des Mundes zu fassen und er konnte sich aus dem Schlund hinaus ziehen. Der Baum bemerkte den Flüchtenden, schnappte zu, doch einen Moment zu spät. Er war entkommen.
Der Waidmann rollte sich über den Waldboden ab und wirbelte sofort zu dem Baum herum. Eine zähe Masse quoll aus dem Baum hervor, seine Bewegungen wirkten träge, doch er wollte den Eindringling noch immer zermalmen. Wieder schlug er mit einem seiner Äste zu, doch Fisk wich wieder und wieder aus. Wütend bleckte Fisk die Zähne, eigentlich müsste der Baum bereits keine Wurzel mehr rühren können. Dann fiel sein Blick an die baumelnden Körper.
Noch einmal zog er sein Schwert, ließ die Klinge singen und schnitt den Ast ab an dem der Tote hing. Unter einem leisen Stöhnen schwankte der Baum zur Seite, Fisk eilte weiter, wich den Wurzeln aus die sich um seine Füße schlingen wollten und hieb den nächsten Ast mit einem Toten ab. Immer mehr sackte der Baum in sich zusammen je mehr Last von seiner Krone geschlagen wurde. Als der letzte leblose Körper zu Boden fiel, keuchte Fisk schwer vor Anstrengung und ging langsam zur Vorderseite des Stamms wo sich der Schlund aufgetan hatte. Noch immer sickerte die zähe Masse aus dem Baum, doch hatte sie all ihre Farbe verloren und war nun schwarz wie Teer.
Stille kehrte zurück auf die Lichtung, doch kein Frieden. Er spürte noch immer den Fluch der auf diesem Wald lastete, er lag in der Luft, bedeckte Pfade und jegliches Blatt dass unter dem Frost verborgen lag. Die Äste des Baumes bewegten sich, getrieben von einem unsichtbaren Wind.
Eine raue Stimme erklang hinter dem Waidmann, er musste sich anstrengen die leisen Worte zu verstehen. „Du kannst den Fluch nicht nehmen. Zu viel Blut tränkt meine Erde. Zu viel Leid zerfraß sein Herz.“
Langsam drehte sich Fisk herum, eine dürre Gestalt kroch über den Boden. Es war jene Frau die er schon im Moos hatte liegen sehen, dort wohin ihn die Waldnymphe geführt hatte. „Ihr seid die Hüterin des Waldes, nicht wahr?“
Schweigend kroch sie auf ihn zu, quälend langsam, viel Kraft hatte ihre Existenz nicht mehr. Als sie die ersten Wurzeln des Baumes erreicht hatte, schlang sie ihre dürren Finger darum. Ein leises Stöhnen drang aus dem Inneren des Baumes und ihre raue Stimme erklang wieder. „Unendliche Schmerzen, bis in alle Ewigkeit.“
„Werde ich den Fluch brechen können wenn ich ihm den bringe, der ihm all das angetan hat? Der ihm zu diesem Grauen machte?“ Fisks Stimme schnarrte leise während er seine Hand auf eine schmerzende Stelle an seiner Seite drückte, wo ihn die Äste des Baumes wie einen Peitschenhieb getroffen hatten.
Die Frau mit den matten, grünen Augen und dem seidigen Haar drehte sich langsam auf den Rücken. Fisk konnte in ihren eingefallenen Zügen etwas wie Hoffnung erkennen. „Tut es.“
Zitternd streckte sie eine Hand aus, in der Innenfläche bildete sich ein schwaches, grünliches Licht zu einer festen Kugel. Kraftlos fiel ihr Arm zu Boden und ihre Stimme war kaum noch wahr zu nehmen, doch Fisk hörte in der Stille jedes ihrer Wörter. „Meine Kinder nahmen es dem Wesen was Euch begleitete. Ich nutzte es um den Weg hier her zu finden. Gebt es zurück.“
Mit dem letzten Wort das ihre Lippen verließ, rollte die kleine grünliche Kugel aus ihrer Handfläche. Ihr Körper zerfiel zu Erde.
Langsam ging Fisk auf die kleine Kugel zu, als er sie aufhob konnte er ihre Wärme durch seinen Handschuh hindurch spüren. Fest schlossen sich seine Finger darum. Nun musste er den letzten Teil seines Auftrages ausführen.

Das dämmrige Licht des Abends hatte sich bereits über das kleine Dorf Kraic gelegt. Schatten wurden immer länger und würden bald alles einnehmen sobald die letzten Strahlen der Sonne am Firmament erloschen waren. Kurz hatte sie sich zwischen den Wolken hindurch geschoben, doch der Decke aus Schnee die sich bereits über das ganze Land gelegt hatte, konnte sie nichts mehr anhaben.
An diesem Tag war das Dorf ungewöhnlich belebt gewesen. Stadtwachen waren von Haus zu Haus gezogen und hatten sämtliche Zimmer auf den Kopf gestellt, in der Hoffnung eine Spur von dem Jäger oder dem Jungen der Wirtin zu finden. Doch beide waren wie vom Erdboden verschluckt. Eine Tatsache die nicht jedem gefiel.
Drei Wachen sollten im Gasthaus bleiben, für den Fall dass sich ein Unvorsichtiger dorthin verirrte. Natürlich kosteten sie hier und da von dem Hab und Gut der Wirtin, schließlich wollte man nicht dass das gute Bier verdarb. Es sollte ihr letzter Krug gewesen sein. An diesem Abend ruhten ihre leblosen Körper auf dem Boden der Gaststube. In ihren Köpfen steckten Pfeile und hatten ihnen ein schnelles Ende gemacht.
Unter großer Anstrengung zog Fisk den Deckel von dem riesigen Weinfass indem er seinen treuen Begleiteter Veldig zurück gelassen hatte. Kaum noch ein Atemzug verließ seine Lippen. Fisk kniete sich vor ihn hin und legte den Kopf auf seine Oberschenkel. Mit beiden Händen zog er die mächtigen Kiefer auseinander und legte die grünliche Kugel auf Veldigs Zunge. Es kostete ihn ein wenig Mühe seinen Freund zum Schlucken zu bewegen, aber es gelang ihm schließlich.
„Komm schon mein Freund. Es wartet noch ein wenig Spaß auf uns.“ Als hätte der Hyna seine Worte genau verstanden, begann eines seiner Beine zu zucken und kurz darauf öffnete sich eines seiner braunen Augen.
Auf den sonst so düsteren Gesichtszügen des Jägers schlich sich ein erleichtertes Lächeln. Fisk strich dem Tier über die Seite und spürte schon kaum mehr Rippen unter dem dichten Fell. Veldig erholte sich schon in wenigen Augenblicken und war dabei sich mit wackeligen Beinen aufzurichten.
„Bleib noch ein wenig hier und ruhe dich aus. Ich brauch dich gleich wieder“

Im dämmrigen Licht der hereinbrechenden Nacht, sickerten die Rinnsale des Kerkers unter dem Rathaus voll mit Blut. Dutzende Wachen hatten hier ihren Posten angetreten um den Bürgermeister zu schützen. Sie hatten versagt. Der Tod hatte fast einen jeden ereilt ohne dass er darauf gefasst gewesen wäre. Ihre Augen hatten die Schatten außer Acht gelassen in denen er wandelte und ihnen nahe kam.
Bürgermeister Müllebreck saß in seinem Schreibzimmer auf einem weich gepolsterten Sessel, den er einst vom König geschenkt bekommen hatte. Auf diesem Sessel saß es sich besonders gut. Erstrecht wenn man sich zuvor den Magen vollgeschlagen hatte, man wollte ja nicht hungrig in die Nacht entlassen werden. Sein Plan war gewesen in dieser Nacht erst Schlaf zu finden, wenn die Störenfriede seines geliebten kleinen Dorfes gefunden waren und dort sitzen würden, wo sie hingehörten. In den Kerker. Noch war diese Aufgabe nicht erfüllt, aber seine Stadtwache würde ihn sicher nicht im Stich lassen.
Sein Kopf lag leicht im Nacken, ein feiner Faden Speichel floss aus seinem Mundwinkel und lief an seinem Kinn hinab. Begleitet wurde das Bild des zufrieden schlafenden Bürgermeisters mit einem leisen Schnarchen.
Eine eiserne Spitze zielte mittig auf seine Stirn. Der Waidmann musste nur den Abzug seiner Armbrust betätigen und der Pfeil würde das Hirn des dicken Mannes durchschlagen und alles auslöschen was ihn ausmachte. Kalte, blaue Augen blickten von oben auf ihn herab, verborgen in dem Schatten seines Hutes. Ein schmales Lächeln legte sich auf seine Züge.
So sicher und behütet fühlte sich dieser Mann im Schutze Anderer die er dafür bezahlte, nun saß er hier, sabberte sich ein und merkte nicht einmal dass jemand in das große Zimmer getreten war und eine Waffe aus nächster Nähe auf ihn richtete.
Langsam ließ Fisk seine Armbrust wieder sinken. Es war nicht einmal verlockend diesen Versager im Schlaf zu erschießen, aber es war auch nicht Teil seines Auftrags. Eine der wichtigsten Regeln für einen Nebeljäger war, kein Leben zu beenden außer wenn es das eigene nicht in höchstem Maß bedrohte, oder Bestandteil seines Auftrags war.
Diesem Mann das Leben zu nehmen würde ihm selbst mehr schaden als dass es irgendjemandem helfen würde. So leise wie er gekommen war, verließ er auch wieder das Zimmer des Bürgermeisters und stieg ab in den Bauch der Kerker. Jede Wache die ihm auf seinem Weg begegnete, hatte ihren letzten Atemzug getan. Sie waren anders als Müllebreck, an ihren Händen klebte etwas das nie wieder fort gewaschen werden konnte.
Fisk spähte in jede Zelle die er passierte, immer erwartete ihn das gleiche Bild, es kam jede Hilfe zu spät. Wer hier eingesperrt wurde, sah nie einen Krumen Brot.
Dann allerdings fand er die massive Tür die gefangen hielt, weswegen er gekommen war. Fisk betrachtete den dicken Schlüsselbund den er einer der Wachen abgenommen hatte und probierte jeden Schlüssel aus, bis er den gefunden hatte, der passte.
Ungläubige Augen starrten ihn aus der Dunkelheit heraus an. „Nebeljäger? Seid Ihr das?“ Mina schlich in geduckter Haltung durch die Zelle und starrte auf die Silhouette in der Tür.
„Kommt, es ist Zeit diesen Ort zu verlassen.“ Fisk runzelte die Stirn als er in das Gesicht der Wirtin blickte. „Wer hat Euch geschlagen?“ Selbst in dem dämmrigen Licht konnte er den dunklen Ring um ihr linkes Auge sehen und die kleine Platzwunde an ihrer Unterlippe.
Ihr Kinn bebte und leise krächzte sie. „Die Wachen. Ich wollte mich nicht einsperren lassen. Für was? Nichts habe ich mir zu Schulden kommen lassen.“ Ihre tränennassen Augen blickten in das Gesicht des Jägers, sie stürzte auf ihn zu und umklammerte mit beiden Händen fest seinen Mantel.
„Mein Junge! Tobias ist sicher in großer Gefahr! Sie haben...“ Fisk brachte sie mit einer Handbewegung zum schweigen und schüttelte den Kopf.
„Keine Sorge, er ist in Sicherheit.“ Mina blickte fragend zu ihm auf, doch Fisk trieb sie zur Eile an und zog am Arm. „Später werde ich Euch alles erklären. Wir müssen nur schnellstens hier raus. Es gibt noch eine Angelegenheit die ich erledigen muss, und die keinen Aufschub duldet.“
Direkt in der Zelle nebenan fand er die Schneiderin, die beiden Frauen waren die einzigen die in diesem unterirdischen Grab noch am Leben waren. Niemandem sonst hatte er noch helfen können.
Als sie den Ort des Grauens verließen, war bereits die Nacht hereingebrochen und brachte neuen Schnee mit sich. Dicke Flocken fielen hinab und legten eine neue, weiße Decke auf das Land.
Die beiden Frauen zitterten wie Espenlaub, nicht einmal wegen der Kälte allein. Der Waidmann fasste Mina am Arm und ließ seinen Blick über die verlassenen Straßen wandern.
„Ihr müsst in das Haus des Totengräbers gehen. Dort ist auch Euer Sohn, er hat ein Buch bei sich das ihr lesen solltet.“
„Was redet Ihr da? Wieso um alles in der Welt ist mein Sohn beim Totengräber? Außerdem denke ich nicht dass dies die perfekte Zeit ist um Bücher zu lesen! Ihr könnt Euch nicht vorstellen was in der vergangenen Nacht geschehen ist!“ Mina blickte mit angst geweiteten Augen zu dem Jäger auf und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Die ganze Versammlung habe ich zwar nicht mitbekommen, aber ich weiß was geschehen ist.“ Fisk blickte zu der Wirtin hinab und verengte leicht die Augen. „Das Buch. Lest es. Nun geht, ich muss meinen Auftrag noch in dieser Nacht erfüllen wenn ihr wieder frei sein wollt.“
Mina drehte sich der Kopf, der Jäger ließ ihren Arm los und warf ihr noch einen Blick zu der ihr klar machte, dass sie nicht noch länger zögern sollte. Die Wirtin packte die Schneiderin beim Arm und rannte mit ihr so schnell sie konnte durch die Nacht. Ihre Schritte hallten laut durch die totenstillen Gassen.
Nur kurz blickte Fisk ihnen nach, Sorgen machte er sich keine. Es gab keine Stadtwachen mehr die ihnen noch Probleme machen konnten. Auf seine Züge legte sich ein schmales Lächeln, er leckte sich langsam über die Unterlippe. Er war bereit für seine Jagd.

Der Kommandant saß mit seinen engsten Vertrauten in seinem Zimmer um einen runden Tisch. Sie alle waren wichtige Mitglieder der Stadtwache, und stattliche Männer welche die Mauern des Dorfes immerzu gesichert hatten. Nun aber konnten selbst sie nicht mehr für Sicherheit sorgen, irgendwas war schief gelaufen.
Zwischen den sechs Männern fand eine angeregte Unterhaltung statt, sie machten sich gegenseitig Vorwürfe wer schuld daran war dass ihnen der Junge der Wirtin entkommen war, und niemand auch nur eine Spur von diesem verfluchten Jäger hatte. Der Kommandant schlug mit der Faust auf den Tisch dass es nur so knallte. Alle Augen ruhten auf dem Mann mit dem kurzen, dunklen Haar und dem Stiernacken. „Schluss jetzt! Als ob uns so ein dummer kleiner Junge gefährlich werden könnte. Er ist sicher abgehauen, mit ein wenig Glück in die Wälder. Dann sind wir ihn sowieso los.“ Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Wir sollten uns lieber mit der Frage beschäftigen was wir mit der Sache tun sollen die nun aus dem Ruder gelaufen ist. Dieser verdammte Jäger hat uns alles durcheinander gebracht.“
Gerade wollte der Kommandant Luft holen, um einen Vorschlag zum lösen des Problems zu machen, als ein leises Surren an sein Ohr drang. Nur einen Wimpernschlag weiter fielen zwei der Männer vornüber und knallten mit dem Gesicht auf die Tischplatte. Ihre Körper rutschten von den kleinen Holzstühlen und fielen zu Boden.
Die vier anderen sprangen auf, griffen instinktiv an ihre Waffengürtel, doch die Rüstungen hatten sie abgelegt und gegen bequemere Kleidung getauscht. Vor dem Haus gab es noch ein paar mehr Wachen die immer die Augen offen hielten, also brauchten sie ihre Waffen für gewöhnlich nicht in der Nähe zu haben.
Ein weiterer fiel plötzlich wie ein nasser Sack zu Boden, aus seiner Brust ragte der Schaft eines Pfeiles. Die beiden letzten drehten sich herum, schon traf ein weiterer Pfeil sein Ziel direkt zwischen die Augen. Der Kommandant stand allein in dem geräumigen Zimmer. Fast. In der Eingangstür, die hinaus in eine kleine unbewohnte Gasse führte, stand ein Mann ganz in schwarz und richtete seine Armbrust auf ihn.
Der Kommandant knurrte leise und biss sich auf die Unterlippe. „Jäger? Was fällt Euch ein? Ihr kommt hier rein und knallt unschuldige Männer ab! Wisst Ihr was wir mit Kerlen wie Euch machen?“
Bevor der Kommandant noch etwas anfügen konnte, kam der Jäger drei langsame Schritte auf ihn zu. Seine leise Stimme schnarrte leicht, klang amüsiert. „Ja. In den Wald bringen und sie aufknöpfen.“
Kurz verschlug es dem Kommandanten die Sprache, dann reckte er sein Kinn vor und lockerte seine Haltung. Er versuchte abzuschätzen wie schnell er sein Schwert an der gegenüberliegenden Wand erreichen konnte, wahrscheinlich nicht schnell genug bevor dieser Jäger einen Schuss abgeben konnte. „Was redet Ihr da für einen Blödsinn? Wir beschützen die Bürger dieses Dorfes! Deswegen werde ich Euch auch verhaften und Euch in den Kerker bringen wo ihr hingehört. Wegen Euch sind die Dämonen außer sich vor Wut. Ihr habt noch größeres Unheil über uns gebracht, weil ihr im Bunde mit dem Teufel steckt!“
Mit jedem Wort wurde das Lächeln auf Fisks Zügen noch breiter, wurde zu einem Grinsen. „Schön gebellt Kommandant. Nur leider helfen Euch die Märchen bei mir nicht. Ihr müsst nämlich wissen dass ich fand, was ihr vergeblich suchtet. Dort draußen, im Haus des Druiden. Ihr ward es der ihn erstacht. Richtig?“
Der Kommandant brauchte nichts zu sagen, Fisk konnte es in seinen Augen lesen. Diese Art wie der Schock durch seinen Körper fuhr, und er noch nach einer Möglichkeit suchte sich herauszureden. Der Kommandant war kein dummer Mann, seine Miene gefror, er wusste das Spiel war vorbei.
„So? Nur aus Neugier, was habt ihr denn gefunden?“
Fisk ging noch zwei kleine Schritte auf ihn zu. „Etwas sehr informatives. Der Waldkauz hat Euer Treiben eine ganze Weile lang beobachtet und alles fein säuberlich notiert. Doch eine Frage stellte er sich, die ich mir auch gestellt habe. Warum das alles? Wieso mussten all diese Menschen sterben?“
Schweigen machte sich in dem Raum breit, noch einmal ging der Kommandant im Geiste nach wie schnell er wohl sein Schwert erreichen würde. Ganz langsam ging er beiläufig in die Richtung des Objekts seiner Begierde. „Wofür wollt Ihr das noch wissen Jäger? Welche Rolle spielt es für Euch? Ihr knallt mich doch sowieso ab. Feige, ohne mir eine Chance zu geben, mich zu wehren.“
Das Lächeln auf Fisks Lippen blieb bestehen während seine blauen Augen noch immer jeder Bewegung des Kommandanten folgten.
„Falsch. Ich habe ganz andere Dinge im Sinn. Es hätte mich nur interessiert um es später den Bewohnern von Kraic mitzuteilen. Letzte Chance es mir in Ruhe zu beichten. Sonst wird es unangenehm.“
Der Kommandant konnte nicht mehr an sich halten und brach in lautes Lachen aus. Wie absurd diese ganze Situation war, und dann tat der Jäger noch so als sei er ihm eine Erläuterung schuldig. Dieser Kerl würde ein vorzügliches Opfer abgeben, vielleicht würde es dann wieder alles seinen gewohnten Gang gehen.
„Ihr seid wahrlich ein Narr Nebeljäger. Spuckt hier große Töne, als hättet ihr etwas gegen mich in der Hand.“ Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und seine dünnen Lippen bildeten eine blasse Linie. Ein dunkles Knurren aus seiner Kehle untermalte seine gepressten Worte.
„Ihr hättet niemals hier her kommen sollen. Heute Nacht werde ich mir das Buch des Greises aus Euren kalten, toten Händen holen!“
Alles setzte er auf diese eine Karte die er hatte und stürmte los. Um einem möglichen Pfeil zu entgehen, rollte der Kommandant über den Boden ab, sein Arm streckte sich in die Länge und seine Finger schlossen sich um die Scheide seines Schwertes. Geschafft. Nun musste er nur noch seine Klinge in den Leib des Jägers stoßen.
Ein höhnisches Gelächter erklang hinter ihm. Eisiger Wind fegte durch den Raum und brachte in einem Wimpernschlag die brennenden Dochte der Kerzen zum erlöschen. Finsternis hüllte den Raum ein.
Der Kommandant sprang auf die Beine und zog sein Schwert blank. Jegliches Licht um ihn herum war erloschen, für einen Moment überlief ein Schauer seinen Rücken, nur das fahle Mondlicht im Türrahmen gab ihm einen Anhaltspunkt. Doch wo war der Jäger hin? Seine Augen huschten umher, wollten sich nicht an die satte Dunkelheit gewöhnen, er fand ihn einfach nicht.
Angestrengt lauschte er in das Dunkel, kein Laut drang zu ihm durch, nicht einmal ein leiser Atemzug war zu hören, außer seinem eignen.
Plötzlich erklang die Stimme des Jägers erneut, der Kommandant wirbelte herum, doch sie schien viel mehr aus seinem Geist zu ihm zu sprechen. „Du hast deine Chance vertan. Nun werde ich keine Gnade mehr walten lassen. Blut für Blut ist das einzige dass diesen Fluch noch beenden kann.“
„Was redest du da für einen Scheiß? Stell dich mir wie ein Mann und verstecke dich nicht!“
Der Kommandant rannte zu dem einzigen Anhaltspunkt den er hatte, die Ausgangstür. Das fahle Licht des Mondes das hier und da durch die Wolken drang, würde ihm zumindest ein wenig Orientierung bieten. Als er über die Schwelle hinaus in die eiskalte Nacht trat, sah er all seine aufgestellten Wachen in ihrem eigenen Blut am Boden liegen. „Du verdammter Scheißkerl! Das wirst du bezahlen!“
Unverhofft traf ihn ein Fußtritt in den Rücken und der Kommandant stürzte mit rudernden Armen nach vorn. Schnell hatte er sich wieder gefangen und wirbelte mit der Klinge voran umher, doch sein Hieb ging ins Leere. Stattdessen erklang hinter ihm die leise Stimme des Jägers.
„Lauf so schnell wie deine Beine dich tragen können.“
Knurrend drehte sich der Kommandant wieder herum und funkelte den Schatten vor sich an.
„Niemals werde ich weglaufen! Ich bin keine feige Sau wie du!“
Alle Kraft legte er in seinen Angriff, hob das Schwert weit über den Kopf und stürmte auf den Jäger zu. Als seine Klinge nieder ging, flogen feine Funken als sie auf die verstärkten Arme der Armbrust traf, die der Jäger zu seiner Verteidigung hoch gezogen hatte.
Mit einem kraftvollen Stoß trieb er den Kommandanten wieder ein wenig fort von sich, sofort setzte er ihm nach und stieß ihm sein Knie tief in die Magengrube. Würgend taumelte der Getroffene zurück und presste seine Hände auf die schmerzende Stelle. Nachdem er sich wieder gefangen hatte, wischte er sich den Speichel aus dem Mundwinkel und setzte wieder zum Angriff an. Immer wieder sauste seine Klinge durch die Nacht und verfehlte ihr Ziel knapp.
Der Jäger packte den Schwertarm des Kommandanten und drehte ihm diesen auf den Rücken, für einen Moment noch versuchte er seinen Arm wieder frei zu bekommen, aber dann explodierte seine Welt in einem Gewitter aus Schmerzen die ihn kurzzeitig lähmten. Das Klirren seiner Klinge hallte in seinen Ohren, sie musste seinen Fingern entglitten sein. Er merkte dass der Jäger schon wieder von ihm abgelassen haben musste, doch der Schmerz ließ ihn kaum einen klaren Gedanken fassen. Sein Arm baumelte unbrauchbar an seiner Seite.
Keuchend betastete er seinen Arm bis zu seiner Schulter hinauf und musste feststellen dass sie ausgekugelt war. „Du verdammter Schweinehund! Versteckst dich hier wie eine feige Sau in der Dunkelheit!“ Sein Körper bebte und er betrachtete voller Hass den Schatten vor sich. „Du bist selbst ein verdammter Dämon!“
Eine Wolke gab die Sicht auf den vollen Mond frei. Sein helles Licht leuchtete auf die Welt herab, noch hier und da rieselten ein paar feine Schneeflocken durch die Nacht. Die Augen des Jägers lagen unter dem Schatten seines Hutes verborgen, von seinen Lippen war das amüsierte Lächeln verschwunden. Seine Stimme erklang leise und rau.
„Wäre ich ein Dämon, hätte ich mich Eurer schon entledigt. Unter dem Kommandanten der Stadtwache hätte ich mir etwas anderes vorgestellt. Ihr seid ein schwächlicher Versager. Ihr langweilt mich.“
Der Jäger führte seine Finger zu den Lippen und stieß einen lauten Pfiff aus. Der Kommandant blickte sich um, seine Kameraden mussten doch aufmerksam werden und endlich heran eilen. Er hatte sie schließlich überall in Kraic verteilt. Doch alles was kam, war ein Biest das sich aus dem Dunklen schälte, größer als ein Wolf, den Nacken breit wie der eines Bären. Zwei Hörner, mit den Spitzen nach vorn ausgerichtet, thronten auf seiner Stirn, die Lefzen waren hochgezogen und ein dunkles Grollen wie herannahender Donner drang aus seiner Kehle.
„Das ist mein Freund Veldig. Er schlägt seine Fänge nicht in jedes Stück ordinäres Fleisch. Aber wenn es sein muss, wird er mir gehorchen. Lauft Kommandant, oder ich verspreche Euch, Ihr würdet Euch wünschen Euer Schwert noch halten zu können um Euch selbst die Kehle zu zerschneiden.“
Veldig fletschte die Zähne und der Kommandant wich ein paar Schritte zurück, dann rannte er die kleine Seitenstraße hinunter so schnell er konnte, die Hand presste er auf seine schmerzende Schulter. „Soldaten! Hier her! Bewegt eure verdammten Ärsche hier her!“
Doch die Nacht blieb still, alles was man hörte, waren seine eigenen Schritte die über das Kopfsteinpflaster hasteten. Er rannte die Hauptstraße weiter hinab, an eine Stelle wo er genau wusste dass er dort drei Männer stationiert hatte. Als er an dem kleinen Brunnen in der Nähe des Marktplatzes ankam, sah er ihre leblosen Körper am Boden liegen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Hinter ihm kam die Bestie die Straße hinab gerannt. „Nein! Das kann doch alles nicht wahr sein!“
Panik kroch in ihm hoch, er rannte weiter, auf eines der kleineren Tore zu, welches aus der Stadt führte, doch auch dort langen seine Kameraden schweigend auf den kalten Steinen und rührten sich nicht mehr. „Mörder! Ihr seid ein feiger, verdammter Mörder! Dafür werdet ihr hängen!“
Ein leises Lachen erklang in seiner Nähe. „Auch ich bin ein Mörder, auch an meinen Händen klebt Blut. In dieser Nacht mehr als ich wollte. Aber im Gegensatz zu Euren Händen, klebt an meinen das Blut der Schuldigen. Ihr alle ward beteiligt.“
Feste donnerte das Herz des Kommandanten in seiner Brust, er verfluchte dass er selbst nicht das Buch gefunden hatte. Mit dem Rücken lehnte er sich an die Mauern des Dorfes und blickte den Weg weiter, mitten in das finstere Dickicht des Waldes.
Wieder erklang die Stimme des Jägers und er konnte seine Silhouette vor sich auf dem Weg erkennen. Gemächlich kam er auf den Kommandanten zu. „Wollt Ihr wissen wo das Buch ist? Es befindet sich in den Händen der Menschen, die bald das Sagen über diesen Ort haben werden. In diesen Minuten lesen sie Seite um Seite über das Grauen das Ihr angerichtet habt.
Keiner Eurer Leute kann Euch noch zur Seite stehen, alle die in dem Buch erwähnt wurden, liegen in ihrem eigenen Blut. Über die Restlichen kann ich nicht richten, daher habe ich sie in eine Eurer gemütlichen Zellen gesteckt.“
Der Jäger blieb einige Meter von ihm entfernt stehen und legt den Kopf leicht auf die Seite. „Der Bürgermeister schlummert noch immer in seinem Sessel. Wie eine Ratte im Brot, vollkommen überfressen. Er war nur Eure Spielfigur. Ein dummer Bauer den ihr auf Eurem Schachbrett hin und her geschoben habt wie es Euch passte. Ihr brauchtet jemanden der das Sagen hatte, und den Dorfbewohnern die Zügel anlegen konnte.“
Auf den Lippen des Kommandanten erschien ein gequältes Lächeln. „Scheiße, dieser alte Mann hat mehr gesehen als ich dachte. Er dachte er wäre unsichtbar, aber einmal da habe ich ihn gesehen. Zwischen den Büschen. Wie er uns beobachtet hatte.
Es hat ein wenig gedauert, aber dann fand ich seine Hütte im Wald. Er wollte uns beim Bürgermeister anschwärzen. Das dufte ich nicht zulassen.“
Fisk hatte sich schon gedacht dass Müllebreck von all dem wirklich nichts wusste, er war einfach nur ein gieriger, verfressener Egoist. Jemand der sich um das Wohl Anderer nicht scherte solang sein eigenes nicht bedroht war. Der Kommandant zeigte mit dem Finger auf Fisk und brüllte ihn voller Zorn an. „Wenn diese dämliche Kuh dich nicht her gerufen hätte, wäre alles wieder gut geworden! Wir hätten das Problem wieder in den Griff bekommen! Wir haben mit dem Dämon im Wald einen Pakt geschlossen, wir haben ihnen einmal in der Woche ein Opfer angeboten und dafür ließen sie uns in Ruhe! Aber ihr habt den Dämon erzürnt, indem ihr ihm das Opfer wieder genommen habt.“
Auf diese Aussage war Fisk nicht gefasst, dass diese Narren ihren selbst erschaffenen Dämon noch genährt hatten. „Ihr meint den Baum, an dem ihr all die Menschen erhangen habt? Und zu dessen Wurzeln ihr die Toten in der Erde verscharrtet? Er existiert nicht mehr. Ich habe ihn geläutert.“
Nun war es der Kommandant der ungläubige Augen machte. Einen hastigen Blick warf er in das Dunkel des Waldes. „Nein! Unmöglich!“
Hinter ihm erklang ein dumpfes Stöhnen und Schatten rückten langsam im Unterholz heran.
Leise flüsterte die Stimme des Waidmanns, während er näher kam. „Aber ihren Zorn kann ich nicht beenden. Das könnt nur Ihr Kommandant. Los. Alles wofür Euer jämmerliches Leben noch dient ist diesem Wald seinen Frieden wieder zu geben.“
Als die Augen des Kommandanten das Grauen erkannten was sich auf ihn zubewegte, wurden seine Knie weich und etwas drückte seine Kehle zu. „Nein. Nein. Nein. So darf das alles nicht passieren.“ Mit Panik in der zitternden Stimme wandte er sich wieder dem Waidmann zu. „Verschone mich! Lass sie mich nicht holen! Ich werde das alles wieder irgendwie gut machen!“
Vollster Abscheu rümpfte Fisk seine Nase. „Gnade war für Euch immer ein Fremdwort. Im Buch des Druiden habe ich gelesen wie die Männer Euch um ihr Leben anflehten. Sie bettelten, doch ihr stelltet Euch taub. Als Ihr sie aufgeknöpft habt, habt Ihr es so gemacht dass sie noch einen Moment lang lebten. Ihr ließt sie baumeln bis ihre Körper nicht mehr zuckten. Lachend habt ihr ihnen dabei zugesehen. Das letzte was ich für Euch habe Kommandant, ist Gnade.“
Als er merkte wie hoffnungslos die Situation für ihn war, stürmte der Kommandant wieder los. Er wollte den Waidmann überlisten und sich an ihm vorbei drängen, aber Veldig war sofort zur Stelle und schnitt ihm den Fluchtweg ab. Hungrig fletschte er die Zähne und schnappte nach dem Flüchtigen.
In seiner tiefen Verzweiflung nahm der Kommandant den einzigen Weg der ihm noch geblieben war. Hinein in das Dunkel des Waldes. Fort von dem Jäger und den Toten die ihm nahe kamen. So schnell wie ihn seine Füße trugen, rannte er immer weiter hinein in den Wald. Hier und da wagte er einen Blick über seine Schulter, doch einen Verfolger konnte er nicht abschütteln so schnell er auch lief. Den Jäger.
Die Schmerzen in seiner Schulter ließen ihn noch schneller außer Atem kommen, tief hängende Äste peitschten in sein Gesicht. Den Weg vor ihm konnte er nur erahnen, hier und da drang etwas Mondlicht durch die Baumkronen. Immer wieder stolperte er über Wurzeln und Steine, verlor fast das Gleichgewicht, schaffte es aber immer wieder sich zu fangen und weiter zu rennen.
Mal rechts, mal links von ihm donnerte die Bestie des Jägers durch den Wald. Kam näher, ging wieder etwas auf Abstand. Der Kommandant merkte erst das seine Schritte in eine bestimmte Richtung gelenkt wurden, als er auf eine helle, vom Mondlicht beschienene Lichtung stolperte. Auch wenn dieser Ort so anders aussah, als in seiner Erinnerung, er erkannte ihn sofort wieder. Es war der Platz, an dem der große Baum gestanden hatte. Der Platz wo sie ihre blutigen Taten begangen hatten. Der Platz an dem sie all die Leichen verscharrt hatten.
Fassungslos starrte er, nach Atem ringend, auf das Gewirr aus abgeschlagenen Ästen, zerwühlter Erde, Knochen und schwarzen Federn.
Inmitten des Chaos auf der einst idyllischen Lichtung, lag der Rest des Baumes. Ein zertrümmerter Stamm, bedeckt von feinen Rissen die kaum merklich in einem violetten Licht schimmerten. Er war vollkommen entwurzelt und befand sich in leichter Schräglage. Der Kommandant hatte keine blasse Ahnung von dem was an diesem Ort vor sich gegangen war.
Hinter ihm knirschte der gefrorene Boden unter langsamen Schritten die sich näherten.
Noch immer vor Anstrengung schnaufend, drehte er sich langsam um, kalter Schweiß tropfte von seinem Kinn. „Und nun? Du hast mich an diesen Ort getrieben um mir das Grauen nochmal vor Augen zu führen? Ich werde nicht noch mal um mein Leben betteln!“
Stumm blieb der Jäger wenige Meter vor ihm stehen, die Bestie trat dicht an seine Seite und setzte sich ruhig auf ihre Hinterläufe. Er blieb stumm.
Die Verzweiflung über seine Lage wuchs in dem Kommandanten heran, raubte ihm den Verstand, neben dem Schmerz den ihm seine Schulter bereitete. Grinsend bleckte er die Zähne und brach in ein hämisches Lachen aus. „Soll ich dir was sagen? Ich bereue gar nichts! Im Gegenteil! Jeden einzelnen ihrer Schmerzensschreie habe ich genossen! Ich liebte es sie zu Tode zu quälen!“
Noch immer blieb der Jäger stumm, und starrte ihn an. Der Kommandant malte sich aus wie herrlich es sein würde, im mit der Faust das Gesicht zu zertrümmern. Im Geiste sagte er sich, dass er es wagen sollte. Was hatte er denn noch zu verlieren? Gerade als er seinen Gedanken Taten folgen lassen wollte, vernahm er hinter sich ein leises Knarren, etwas brachte den Boden unter seinen Füßen zum vibrieren.
Der Kommandant drehte sich herum und blickte direkt auf die zersplitterte Borke des entwurzelten Baumes. Seiner Kehle entwich ein Schrei. Wurzeln gruben sich in den Boden unter seinen Füßen und hoben ihn ein Stück weit in die Höhe. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte nach vorn. Inmitten des Stammes tat sich ein Riss auf. Kleine Splitter flogen im entgegen.
Er fiel in den aufgerissenen Schlund des Baumes, schrie erneut in Panik auf, bis sein Fleisch an den scharfen Zacken aufriss. Blut sickerte an dem Stamm herab als sich sein Maul wieder schloss. Noch einen Moment lang vernahm der Jäger den schrillen Schrei des Kommandanten aus dem Inneren des Baumes. Ein Knacken ertönte, fuhr ihm durch Mark und Bein, dann kehrte Stille ein.
Langsam versank der Baumstamm in der Erde als sei sie nichts weiter als Morast. Nur noch ein kleines Stück ragte heraus bis er schließlich inne hielt. Das violette Licht erlosch und Fisk konnte spüren wie die Last von diesem Ort fiel. Nicht gänzlich, vielleicht war es auch nur ein Hauch dieser Last, aber der Baum, der so viel Leid erfahren hatte, fand zu seiner Rache die ihm endlich Frieden schenkte.
Noch eine sehr lange Weile verblieb der Waidmann an diesem Ort bis er sich wieder auf den Rückweg zu dem Dorf Kraic machte.

Als Fisk die Mauern des Dorfes erreicht hatte, brach gerade ein neuer Morgen an. Der Himmel war wolkenverhangen und ein eisiger Wind fegte über das Land. Sicherlich würde es heute wieder schneien, und vor ihm lag noch eine lange beschwerliche Reise.
Etwas fiel ihm auf als er das Eingangstor passierte, die Leichen der Stadtwachen waren verschwunden. Ihr getrocknetes Blut zeichnete sich allerdings noch immer auf den Pflastersteinen des Bodens ab. Schon bald würden auch diese Spuren von einer Decke aus Schnee verborgen werden.
Rufe hallten durch die Straßen, er vernahm viele Stimmen die wirr durcheinander redeten in der Ferne. Er musste nicht lange horchen, bis er sich sicher sein konnte, dass der Tumult in der Nähe des Rathauses stattfand. Fisk seufzte leise. Er hatte darauf bestanden dass sich alle versteckt und die Füße ruhig hielten bis er eintraf. Irgendwie hatte er schon befürchtet dass man nicht auf ihn hören würde.
Eine Stimme donnerte durch die Straßen. „Der Nebeljäger ist zurück!“
Fisk bog um eine Straßenecke und erblickte vor sich den ausladenden Vorhof und das dazugehörige Rathaus. Eine Menschenmenge hatte sich darum gebildet und trug Säcke mit Vorräten hinaus. Mehl, Reis, Zucker, Hirse, Linsen, Äpfel, getrocknetes Fleisch und vieles mehr trug man zu einem Karren. Einige Männer diskutierten angeregt wie man all die Vorräte aufteilen sollte.
„Jäger Fisk!“ Mina rannte ihm entgegen, ihre Augen wirkten eingefallen und tiefe Schatten zeichneten sich darunter ab. Fast alle Dorfbewohner verfielen in Schweigen und blickten zu ihm hinüber. Wieder seufzte Fisk leise. Es hatte doch viel mehr Vorzüge wenn man sich im Voraus bezahlen lassen konnte.
Mina blieb dicht vor ihm stehen, ihr blondes, leicht gewelltes Haar stand in alle Richtungen ab, sie musste diese Nacht kein Auge zugemacht haben. Ihr Blick verriet Unsicherheit. „Nebeljäger... Ihr seid zurück.“
Fisk verzog den Mund und blickte hinüber zu den Menschen die ihn argwöhnisch beäugten. „Und Ihr habt nicht zugehört. Oder wolltet es nicht.“
„Was redet Ihr denn da? Wir konnten doch nicht alle tatenlos in der Hütte des Totengräbers hocken und abwarten nachdem wir das Buch des Waldkauzes gelesen hatten. Außerdem hörten wir das Brüllen dass unser Kommandant von sich gab. Wir alle wollten wissen was geschehen war.“ Sie senkte etwas den Blick und zog ihren warmen Überwurf fester um ihre Schultern. „Ihr habt ein Blutbad angerichtet. Viele wissen nicht was sie davon halten sollen.“
Fisk zuckte mit den Schultern und senkte den Blick auf die Wirtin. „Mir ist gänzlich egal was andere von mir oder meinen Taten halten. Ich tue dass was für die Erledigung meines Auftrags nötig ist. Da ihr das Buch gelesen habt, wisst auch Ihr was diese Männer taten. Richtig?“
Minas Lippen begannen zu beben, ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie rang schweigend um ihre Fassung. Langsam senkte sich ihr Blick zu Boden und ihre Stimme war nicht mehr als ein leises, ersticktes Flüstern. „Ich wusste es. Tief in meinem Herzen wusste ich dass er tot ist. Tobias erzählte mir was Ihr gesehen habt.“
Vorsichtig und mit Bedacht legte sie eine Hand auf des Jägers Brust, langsam hob sie ihren Blick wieder zu ihm. „Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Von all dem Grauen ist mir noch immer Übel. So viele unserer Männer sind dort draußen ermorden worden.
Bitte sagt mir was Ihr mit dem Kommandanten gemacht habt, und wieso er das unseren Männern angetan hat.“
Flüchtig warf Fisk einen Blick auf eine Gruppe von Dorfbewohnern die sich ihm langsam näherten, er erkannte sogar die zwei Jäger die ihn in der Gaststätte angesprochen hatten. „Der Kommandant hat sein Ende gefunden. Mehr kann ich Euch leider nicht sagen, weil ich mehr nicht weiß. Ich fragte ihn nach dem wieso, aber er gab mir keine Antwort. Gier, die einfache Lust am Töten. Ich weiß es nicht, aber ich schätze es ist eine dieser menschlichen Triebe die ihn dazu verleitete.“
Die Gruppe von etwa sieben Männern blieb bei ihm stehen. Sie hatten seine letzten Worte gehört, der Jäger Ron erhob das Wort. „Es ist lange her, da tranken eine Gruppe von Männern der Stadtwache in Lady Bachs Gaststätte einen über den Durst. Einer von ihnen ärgerte sich über den Kommandanten. Sagte dieser lasse seinen Missmut immer an ihnen aus. Seine Launen seien stellenweise unerträglich gewesen. Er wollte lieber am Hofe des Königs dienen. Stattdessen hätte man ihn in so ein kleines Dorf am Rande der Welt versetzt, soll er geflucht haben.“ Ron zuckte mit den Schultern und schüttelte leicht den Kopf. „Wenn er tatsächlich diese Tat aus Wut oder Frust begangen hat, ist dies eine bittere Neuigkeit. Von denen hatten wir heute reichlich.“
Fisk nickte, niemand konnte ihnen eine eindeutige Antwort auf diese Frage geben, außer vielleicht den Stadtwachen die er in einen der Kerker gesteckt hatte. „Was habt ihr mit dem Bürgermeister gemacht?“
Mina erhob das Wort bevor es einer der anderen Männer tun konnte und bemerkte das ihre Hand noch immer auf der Brust des Jägers ruhte. Langsam ließ sie diese wieder sinken. „Ihn haben wir ebenfalls in den Kerker gesteckt. In dem Tagebuch stand zwar, dass der Kommandant ihn für eine Witzfigur hielt die er nach seinen Plänen lenken konnte, aber viele sind sich nicht sicher ob er nun wirklich unschuldig ist, oder nicht.“
Fisk nickte, er blickte noch einmal zu den Menschen die sich wieder daran machten die Speisekammer des Bürgermeisters Müllebreck zu räumen. Einer der Männer trat einen Schritt vor, er wirkte angespannter als die anderen, Unsicherheit schwang in seiner Stimme mit. „Sagt ist es wahr? Der Waldkauz soll von einem Baum geschrieben haben, an dem viele unserer Freunde erhängt worden. Und er soll... gestöhnt haben. Wie ein lebendiges Wesen.“
Fisk schürzte die Lippen, wog seine Worte einen Augenblick lang ab. „Ja. Der Fluch der eure Wälder heim suchte, hatte diesen Baum zur Ursache. All das Leid was er an seinen Ästen hatte tragen müssen, machten die Seele des Baumes krank und verderbten sie. Dieser Fluch wurde aus all diesen Qualen geboren. Quasi von Menschenhand selbst auferlegt.“
Die Männer schluckten, manche warfen sich schweigende Blicke zu, jener der gefragt hatte, machte große Augen und stotterte seine zweite Frage mit leiser Stimme hervor. „Und nun? Habt ihr den Fluch gebannt?“
Kurz sah er noch einmal in die Gesichter der Männer. Einmal atmete er tief ein und aus. „Der Baum ist erlöst. Der Wald aber wird noch eine Weile brauchen. Auf dem Weg zurück sah ich keine Wurzelhexen mehr, ein gutes Zeichen. Auch die Ruhelosen Körper der Toten, lagen regungslos am Boden. Dennoch solltet ihr zur Sicherheit bis zum Frühjahr warten bis ihr den Wald wieder betretet. Die Geister des Waldes sind erschöpft und könnten sich ihre benötigte Lebensenergie überall her holen.“
Niemandem schien die Antwort auf ihre Frage so richtig zu gefallen, doch bevor einer von ihnen noch eine weitere Frage stellen konnte, kam der Jäger ihnen zuvor.
„Ich müsste noch einen Augenblick mit der Lady Bach alleine die Details meines Auftrages besprechen.“
Missmutig musterten ihn einige der Männer doch sie willigten ein und zogen sich wieder zurück. Jedoch nicht ohne Mina zu signalisieren dass sie nur rufen müsste, falls es Ärger geben sollte.
Fisk verschränkte die Arme vor der Brust und blickte mit einem lauten Seufzen in ihre fragenden Augen. „Mein Auftrag ist beendet, daher bitte ich um meine Bezahlung.“
Mina zuckte regelrecht zusammen und rief hastig ihren Sohn zu sich. Der Junge eilte an ihre Seite und blickte zu Fisk hinauf. Das erste Gesicht das ihn anlächelte. Bevor er auch nur ein Wort mit dem Jäger wechseln konnte, bat ihn seine Mutter aus dem Haus des Bürgermeisters den gewünschten Betrag zu holen. Der Totengräber wachte über das kleine Vermögen damit es sich nicht jemand unter den Nagel reißen konnte in all dem Chaos.
Während sie auf den Jungen warteten richtete Fisk wieder sein Wort an die Witwe. „Was werdet ihr nun tun, ohne Bürgermeister oder Stadtwache?“
Mina verlagerte ihr Gewicht und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich denke wir werden unseren nächsten Bürgermeister weise auswählen und eine neue Stadtwache aus Leuten bilden, denen wir vertrauen können. Unser Leben wurde auf den Kopf gestellt, aber ich bin sicher es hat uns weit genug zusammen geschweißt, dass wir die Sache in die Hand nehmen können.
Nun, und mit Müllebrecks Vorräten kommen wir alle sicherlich über den Winter.“
Tobias rannte den beiden mit einem kleinen, klimpernden Lederbeutel entgegen. Mina warf einen Blick hinein und schnürte ihn wieder zu. Mit beiden Händen hielt sie ihm dem Jäger entgegen und umschloss seine Finger als er danach griff. „Ihr habt viel für uns getan! Und auch wenn vieles noch nicht im Reinen sein sollte, weiß ich nicht wo uns all dies noch hingeführt hätte. Ich danke Euch.“
Wortlos entnahm Fisk ihr den Beutel, nur zögerlich nahm Mina ihre Hände wieder zurück.
„Ihr rieft mich, gabt mir einen Auftrag, und ich erfüllte ihn. Daher sage ich Lebewohl.“
Mina legte eine Hand um Tobias Schultern und zog ihn dicht an sich heran. Die ersten dicken Flocken des Tages fielen vom Himmel hinab. „Nein. Ihr habt Euer Leben für uns riskiert. Ihr seid eingeladen den Winter bei uns zu bleiben. Das Zimmer steht Euch frei und natürlich kann ich nun auch wieder meine Gäste versorgen.“ Besorgt warf sie einen Blick gen Himmel. „Heute wird es sicherlich viel schneien. Es wäre verrückt wenn Ihr Euch bei dem Wetter auf den Weg machtet.“
Bevor sie noch weiter reden konnte, hob Fisk seine Hand und lenkte ein.
„Ich weiß Euer freundliches Angebot zu schätzen. Aber ich muss weiter.“
Stur schüttelte Mina ihren Kopf, mit ihrem Sohn wandte sie sich um und deutete auf den Karren voller Vorräte vor sich. „Redet keinen Unsinn. Kommt. Ihr helft uns ein wenig die Lage hier wieder in den Griff zu bekommen, außerdem haben viele Bewohner noch einige Fragen. Ihr würdet uns wirklich sehr weiterhelfen.“
Der Jäger verwehrte ihr eine Antwort, also blickte Mina über ihre Schulter um zumindest seinen Gesichtsausdruck zu sehen. Jedoch war alles was sie sah, eine leere Straße und das wilde Gestöber des frischen Schnees.
„Nebeljäger?!“ Verwirrt huschte ihr Blick hin und her, sie erkannte noch seine Spuren im Schnee, sie endeten an einer Hauswand. Tobias rief seinen Namen noch einige Male. Doch der Jäger war fort. Seine Jagd beendet.

Stunde um Stunde wurde das Schneetreiben immer stärker. Die Sicht war schlecht und ein kalter Wind kroch in Mark und Bein. Schwer stapften Pranken durch den Schnee, kleine gefrorene Klumpen blieben in dem dichten Fell haften.
Viel Haut war nicht zu sehen, seinen Hut hatte er Tief in sein Gesicht gezogen, den Schal bis unter die Augen, und dennoch schien sein ganzes Gesicht aufgrund der Kälte zu brennen.
Fisk wusste ungefähr in welche Richtung er musste und lenkte Veldig über die zugeschneiten Straßen. Genug Proviant hatte er, und zum Notfall ein Zelt das ihn in der Nacht vor der Kälte schützen konnte. Dennoch wünschte er sich ganz woanders zu sein. So sollte es laut Vertrag auch nicht sein. Gerade als er damit begann stille Flüche zu murmeln, ließ das Schneetreiben ein wenig nach, wenn auch noch immer einige Flocken vom Himmel fielen. Vor ihm, an einer Wegkreuzung, stach etwas dunkles aus der weißen Winterpracht heraus.
Eine Schwarze Kutsche, bespannt mit einem Ross das unruhig mit seinem Huf scharrte, stand am Rand des Pfades. Es war eine Frau, gehüllt in einen roten Umhang die auf dem überdachten Kutschbock saß und die Zügel locker in Händen hielt.
Über Fisks Lippen huschte ein bitteres Lächeln. Er lenkte Veldig in die Richtung der Kutsche. Eine vertraute Stimme erklang leise. „Da bist du ja, guter Jäger. Du hast dir Zeit gelassen.“
Sie stieg hinab und warf eine Plane auf der Rückseite der Kutsche zur Seite. Die Ladefläche war mit warmen Fellen ausgelegt und ein paar Kisten waren am Rand befestigt damit sie nicht hin und her rutschten.
Fisk stieg von Veldigs Rücken und schnallte seine Reisetaschen ab, und schließlich auch den Sattel. Nachdem er alles auf der Ladefläche verstaut hatte, gab er Veldig ein Zeichen, und sein Begleiter hüpfte hinein.
Die Frau im roten Umhang schloss die Planen wieder, ihre Kapuze hing ihr tief ins Gesicht sodass er ihre Züge nicht sehen konnte. „Er sieht aus als hätte er viel mitgemacht.“
Fisk antwortete ihr leicht gereizt. „Hat er auch. Vielleicht wäre ich besser vorbereitet gewesen wenn Ihr mir mehr Informationen mitgegeben hättet! Und sagt mir nicht, Ihr hattet keine mehr. Ich weiß es!“
Sie hob leicht den Kopf, ihre Augen lagen im Schatten, doch er konnte ein amüsiertes Aufblitzen darin erkennen. „Steig auf guter Jäger. Wir sollten los, du weißt wie sehr ich es hasse zu frieren.“
Als sie beide auf dem Bock Platz genommen hatten, nahm sie wieder die Zügel in die Hand, schnalzte mit der Zunge, und das Pferd trabte an. Es hatte eine schwere Last zu ziehen und schnaufte, doch schnell hatte es seinen Schwung gefunden und zog die Kutsche durch den Schnee.
Die Frau griff hinter sich und zog eine Kanne aus Gusseisen hervor. Sie schenkte zwei Becher voll Tee ein, dann griff sie nach einer weiteren Flasche und gab noch einen guten Schuss der klaren Flüssigkeit in einen der Becher. Sie reichte ihn dem Jäger. Ihre rot geschminkten Lippen zeigten ein Lächeln. „Sei nicht so mürrisch. Trink, es wird deine Laune heben.“
Seufzend lehnte sich Fisk nach hinten und nahm einen großen Schluck. Es tat ihm tatsächlich gut. Er nahm seinen Hut ab, an dessen Seite hatte er einen großen Holzsplitter hinein gesteckt. Diesen reichte er ihr. „Auftrag erledigt. Dafür war die Jagd eine der langweiligsten die ich jemals hatte. Allerdings war der Grund des Fluches sehr beeindruckend. Ich denke ich habe später noch Zeit Euch über alle Details zu unterweisen.“
Vorsichtig nahm sie das Holz entgegen und strich mit den Fingern über die tiefen Kerben. „Ich wusste du bist der richtige für diesen Auftrag.“
Nach einem weiteren, großen Schluck lehnte sich Fisk zurück, streckte die Füße von sich und schlug die Stiefel übereinander.
„Dafür brauche ich allerdings eine kleine Auffrischung was das Bestiarium angeht. Kurz bevor ich den Ort erreichte wo der Kern des Fluches lag, bin ich Kreaturen begegnet die ich noch nicht kannte.“
Die Frau im roten Gewandt war erst amüsiert, zog ihren Schüler auf, ob er denn den Unterricht bei ihr geschwänzt hätte, doch nach seiner Beschreibung erlosch das Lächeln auf ihren Zügen.
Langsam drehte sie das Gesicht zu Fisk, er konnte Besorgnis in ihren grünen Augen sehen. Es dauerte eine Weile bis sie das Schweigen beendete. „Sie lähmten dich mit einem Schrei? Mit Runen bestickte Kutten? So etwas habe ich selbst noch nie gesehen.“
Das war wahrlich ein Grund besorgt zu sein. Ein Schauer fuhr ihm eiskalt den Rücken hinab. „Ich musste Magie einsetzen um es zu töten, sonst säße ich nun nicht mehr hier. Dieser Auftrag hat mir mehr genommen als das ich wieder gut machen konnte. Einige Menschen verloren durch mich ihr Leben.“
Eine schwere Stimmung legte sich nieder, sie presste ihre Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, dann wandte sie den Blick wieder nach vorn, tat es ihm gleich und lehnte sich mit dem Rücken an das Polster.
„Vielleicht hast du nicht so viel verloren wie du denkst.“
Eine Weile lang herrschte Schweigen zwischen den Beiden, er warf ihr einen verstohlenen Blick aus dem Augenwinkel zu. „Wohin?“
Unter dem Schatten ihrer Kapuze zeichnete sich wieder ein Lächeln ab. „In das Winterquartier. Du hast es dir verdient, guter Jäger.“
Auch er musste schmunzeln, ließ sich noch mehr in das Polster sinken und legte sich seinen Hut über das Gesicht. „Dann weckt mich wenn wir da sind. Ich fühle mich als hätte ich seit Nächten nicht geschlafen.“
Kaum dass seine Brust sich unter tiefen Atemzügen begann zu heben und zu senken, ruhte ihr Blick auf dem schlafenden Jäger. Eine lange Zeit. Vielleicht hatte sie ihm dieses Mal zu viel zugemutet. Vielleicht aber war dies auch nur der Anfang, eine Vorbereitung auf das was kommen sollte.
Und etwas würde kommen, das wusste sie. Ihre Finger fuhren über den Holzsplitter den der Waidmann ihr mitgebracht hatte. Als sie mit ihren nackten Fingerkuppen langsam die Rillen nach fuhr, schimmerten sie in einem violetten Licht auf.


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