Fuchsgeist Teil 4

Ihre Flucht trieb sie aus dem Dorf heraus, ihre Krallen gruben sich in weiches Gras, statt platt getretene Erde. Sie verließ den Schutz der Häuser und der schmalen Gassen, einer der Jäger erstarrte und nutzte seine letzte Gelegenheit den Dämon zur Strecke zu bringen.
Er spannte die Sehne seines Bogens und legte den Pfeil an. Das Rufen und die wütenden Befehle seiner Mitverfolger hörte er nicht mehr, alles was es für ihn noch gab war sein Pfeil, und seine Beute. Sein Atem stellte sich ein. Sekunden verstrichen. Dann ließ er los.
Xii heulte auf vor Schmerz als etwas ihre Sinne vernebelte. Ihre Füße gehorchten ihr nicht mehr, sie stürzte mitten im Lauf und rollte noch einige Meter weiter. Jubel und erstauntes Ausrufen drang an ihr Ohr. Schwer atmend blinzelte sie einige Male, bis sie wieder klar sehen konnte. Die Jäger klopften einem jungen Burschen auf die Schulter, dann rannten sie locker und nicht all zu schnell auf sie zu.
Xii hob den Kopf und blickte an sich hinab, zwischen ihren Rippen schaute der abgebrochene Schaft eines Pfeiles heraus. Er musste bei ihrem Sturz abgebrochen sein. Nein, hier und heute wollte sie nicht sterben, sie wollte kein Opfer der Menschen werden.
Schwerfällig rappelte sie sich wieder auf und rannte weiter, weiter in Richtung Waldesrand. Ihr Fluchtversuch blieb nicht unbemerkt, sofort spannten die Jäger wieder ihre Bögen und Armbrüste.
Xii´s gesamter Körper schmerzte, rebellierte gegen die Anstrengung die sie von ihm abverlangte, aber sie wusste, wenn sie langsamer werde würde, wäre es ihr Verhängnis. Pfeile sausten dicht an ihr vorbei, einer streifte sogar gefährlich knapp ihr Ohr, aber sie schaffte es den Wald zu erreichen.
Ihre Verfolger gaben nicht auf, es galt ehrenvoll zurück zu kehren und die frohe Botschaft zu übermitteln, dass man den Dämon getötet hatte. Das würden die Männer sich nicht nehmen lassen.
Xii rannte mit letzter Kraft immer tiefer in den Wald hinein, ihre Beine wurden schwerer und versagten schließlich ihren Dienst. Blauer Nebel hüllte ihre Gestalt ein, und sie nahm wieder die Gestalt an, die mehr Mensch denn Tier war.
Keuchend rollte sie sich auf den Bauch und zog sich über das weiche Laub das den Boden bedeckte. Kleine Steinchen und Äste stachen in ihre Haut, aber diesen Schmerz spürte sie schon nicht mehr. An ihre Ohren drang das Rascheln der trockenen Blätter als sie von den schweren Lederstiefeln zerdrückt wurden. Die Jäger waren außer Atem, aber ihr Ehrgeiz hatte sie so lange angetrieben, das sie die verwundete Janama schließlich einholen konnten.
Xii zog sich immer weiter über den Boden, Schuhspitzen tauchten in ihrem Augenwinkel auf, und schließlich versperrte ein dunkler Schatten ihr den Weg. Ihre Stirn legte sich auf das Laub, Gelächter ertönte, es war vorbei. Die Jäger hatten ihre Beute erlegt.
Einer der Männer drehte die Frau mit den Fuchsohren und dem buschigen Schwanz, mit seinem Fuß auf den Rücken. Xii blickte hinauf in ein schadenfrohes Grinsen.
„Du Idiot! Geh doch nicht so dicht an sie heran! Wenn sie dich nun verflucht“, ertönte eine atemlose, unsichere Stimme. „Ach, schau sie dir doch an. Der Dämon ist am Ende.“ Der Mann über ihr grinste noch ein wenig breiter und stellte seinen Stiefel auf den abgebrochenen Schaft des Pfeiles, welcher ihr zwischen den Rippen hinaus ragte.
Xii schrie auf vor Schmerz und griff nach seinem Bein. Jemand gab ihr einen heftigen Tritt in die Seite. Wieder schrie sie, und rollte sich zusammen als der Mann endlich den Fuß von ihr hinunter nahm. „Na? Willst du nicht um Gnade betteln du Stück Dreck?“
Die Janama presste die Augen zusammen und biss sich fest auf die Unterlippe um nicht vor Schmerz zu wimmern, diese Blöße würde sie sich nicht geben. Nur leise presste sie ihre Worte hervor. „Lieber erteile ich dir die Erlaubnis mich an meinem Arsch zu lecken.“ Stille trat ein.
„Was hast du da gerade gesagt?“ Der Mann beugte sich zu ihr hinab und umfasste mit seiner großen Hand ihr Kinn. Mit einem Ruck drehte er ihren Kopf zu sich und zwang sie so in seine wütende Fratze zu blicken. Nun grinste Xii hämisch. „Hast du es auf den Ohren? Waschen könnte Abhilfe schaffen.“ Ihr Grinsen erlosch als seine Faust sie hart ins Gesicht traf. Der Mann tobte und wollte gerade zu einem weiteren Schlag ausholen als jemand seinen Arm packte. Der junge Jäger, welcher ihr den Pfeil zwischen die Rippen gejagt hatte, blickte kopfschüttelnd auf ihn nieder. Seine Stimme war ruhig und ohne Groll. „Wir sollten es jetzt rasch beenden. Unser Dorf wartet, und es gibt viel Arbeit.“
Langsam erhob sich der Mann und befreite sich mit einem heftigen Ruck von dem Griff um seinen Arm. „Spiel dich mal hier nicht so auf Bursche! Es ist vorbei wenn ich es sage.“ Ein anderer Mann legte ihm seine Hand auf die Schulter und atmete tief durch. „Der Junge hat Recht. Wir beenden das nun, und kehren zurück.“ Nun waren zwei seiner Freunde gegen ihn? Das kam für den gestanden Mann gar nicht in Frage. Auch in den Gesichtern der restlichen Jäger konnte er ablesen, dass sie noch immer Furcht vor dem Dämon hatten, und es am liebsten schnell hinter sich bringen wollten.
Er bleckte wütend seine Zähne. „Gut ihr feigen Hunde! Aber ich beende es auf meine Art!“
Mit einem Ruck zerrte er Xii auf die Beine und grub seine Faust in ihr Haar. Sie war so schwach, dass sie nicht allein stehen konnte, also zerrte er sie mit sich. Sie presste die Lippen fest aufeinander, konnte jedoch ein Aufstöhnen nicht verbergen.
„Was machst du denn da jetzt du Narr?“ Unsicher liefen ihm die Männer nach, aber konnten ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen. Der Jäger zerrte sie auf den Rand eines Abhanges zu und blickte in die Tiefe. Einige Metern unter ihnen verlief ein breiter Fluss entlang.
„Zurück mit dir, in die Hölle, aus der du gekrochen bist!“ Mit diesen Worten stieß er Xii hinab in die Tiefe. Sie versuchte noch Halt an einer Wurzel zu finden, aber es gelang ihr nicht, sie rutschte unkontrolliert den Hang hinab und stürzte in den Fluss.
„Bist du noch zu retten? Was wenn sie das überlebt und zurück kehrt? Wenn sie dann Rache an uns nimmt, was dann?“ Jener, der seine Ängste aussprach, erntete nur einen kalten Blick. „Du bist ein Narr wenn du denkst, sie könnte es überlebt haben. Auch Dämonen sind nicht gegen alles immun.“
Herausfordernd streckte der Jäger sein Kinn vor, doch sein Freund schüttelte nur resignierend den Kopf. Die Gruppe beschloss dass es das Beste sein würde, wenn sie nun Heim kehrten, und im Dorf erzählten, dass das Wesen aus der Unterwelt tot sei, und keine Bedrohung mehr für sie sein würde.

Die Strömung des Flusses riss erbarmungslos an der Janama, sie kämpfte verzweifelt dagegen an, dass ihr Kopf nicht all zu lange unter Wasser geriet. Sie hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren als sie immerzu versuchte der Flut zu entkommen und am Ufer Halt zu finden.
Schließlich hatte das Schicksal mit ihr Erbarmen und sie blieb in einer großen Wurzel hängen, welche weit in das Flussbett hinein ragte und mit all seinen Verzweigungen wie ein Köcher wirkte.
Mit zitternden Händen hangelte sie sich an der Wurzel in Richtung Ufer. Die Dunkelheit zerrte an ihr, flüsterte verlockend in ihr Ohr, dass sie die Janama alsbald von ihren Qualen erlösen würde, sie müsste nur los lassen. Ihre Krallen gruben sich ins Erdreich als sie ihren Körper aus dem Wasser zog, jeden Zentimeter musste sie sich hart erkämpfen. Als auch ihre Zehen das feuchte Gras unter sich spürten, verließen sie ihre letzten Kräfte. Ihre Arme versagten ihren Dienst. Es war nicht schlimm. Das weiche Gras des Waldbodens bettete ihre Wange so angenehm, und wieder flüsterte die Dunkelheit ihre Verlockungen.
Sie wollte nicht dass es vorbei war, dass es so endete. Ein Ende ohne Erlösung. Mit dem Gesicht auf der Seite liegend, schlossen sich langsam ihre Augen. Eine Müdigkeit überrollte sie, so fordernd, dass sie sich ihr nicht widersetzen konnte.
Wie im Traum, spürte sie dass eine Hand ihren Kopf berührte und fast schon zärtlich über ihr Haar strich. Es war eine behutsame und kleine Hand, wie die eines Kindes. Auf Xiis Zügen bildete sich ein Lächeln. Entweder war die ewige Verdammnis grausamer als sie dachte, oder sollte der Schöpfer hoch oben doch Erbarmen gezeigt haben?
Die kleine Hand betastete ihr buschiges Ohr und zupfte an den feinen Härchen, das mochte Xii gar nicht. Die Berührung der kleinen Hand verschwand, doch kurz darauf spürte sie einen warmen Lufthauch nahe ihres Gesichtes. Es waren Atemzüge.
„Wer bist denn du?“ Xii hörte die fremde, weibliche Stimme in weiter Ferne. Wenn sie nicht gekommen war, um sie zu erlösen oder mit in die Dunkelheit zu begleiten, sollte sie gehen. Xii wollte ihre Ruhe haben. Doch die Präsenz erfüllte ihren Wunsch nicht. Sie spürte eine warme Berührung auf ihrem Rücken und ein leiser Singsang erklang.
„Ewiglich das Grün,
klar und reich dein Atem,
wohlbehütet im finsteren Grunde,
ruht immerdar dein Garten.
Kehre ein, mein Geist ist frei,
auf dass es gibt keine Macht, die uns entzwei.
Borge mir Leib und Seele nun,
kenne den Preis,
in deinen Armen werde ich ruhn.“
Xii spürte eine Wärme ihren Körper durchflutete, wie sie ihr die Sonne noch nie hatte schenken können. Diese Wärme ließ der Dunkelheit keinen Raum mehr und verdrängte sie, bis nichts mehr von ihr übrig war. Xii schlug die Augen auf als das Gefühl vollkommen abgeebbt war. Sämtliche Glieder schmerzten als sie ihren Körper zwang sich zu bewegen. Unter einem Ächzen stützte sie sich auf allen Vieren ab, und setzte sich langsam auf. Xii zuckte zusammen als die zarte Stimme neuerlich erklang.
„Geht es dir wieder besser? Mehr konnte ich leider nicht für dich tun, ich bin darin noch nicht so gut.“ Neben der Janama hockte ein kleines Mädchen auf ihren Fersen. Xii traute ihren Augen kaum, denn das Kind ähnelte zwar einem Menschen, aber ein paar Details straften diese Annahme Lügen.
Der Leib des Kindes war nicht etwa mit Kleidung bedeckt, sondern mit kleinen Blättern und Ranken. Aus ihrem kastanienbraunen Haar, direkt am Ansatz ihrer Stirn, wuchsen zwei kleine Äste empor, geschmückt mit gelben und roten Blättern wie sie auch die Bäume rings um sie herum trugen. Auf den Zügen des Mädchens lag ein müder, aber freundlicher Ausdruck. „Hallo, ich bin Lilly. Kannst du mich verstehen?“
Statt auf ihre Frage zu antworten wich Xii ein Stück zurück und während die das Kind musterte, wurde sie sich dem stechenden Schmerz in ihrem Oberschenkel bewusst. Doch irgendetwas war vollkommen anders als zuvor. Ohne die Fremde aus den Augen zu lassen tastete sie nach der Wunde, die ihr der Jäger verpasst hatte. Der abgebrochene Pfeil war fort, und dort wo die Wunde sein sollte, die er hinterlassen hatte, konnte sie Kruste unter ihren Fingerspitzen fühlen und eine kleine Wölbung.
Fassungslos starrte sie an sich hinab, deutlich stachen hier und dort blaue Flecken hervor, die frischen Wunden hatten sich geschlossen, manche waren sogar vollkommen verheilt, und zu ihren Füßen lag der abgebrochene Pfeilschaft. „Wie... wie ist das möglich?“
„Oh! Du kannst doch sprechen! Ich dachte schon...“, das Mädchen konnte ihren Satz nicht zu Ende bringen, da schnitt Xii ihr das Wort ab. „Warst du das? Hast du mich geheilt?“ Sie versuchte aufzustehen, doch ihre Beine fühlten sich weich an und versagten ihren Dienst. Lilly kratzte sich irritiert an ihrem Kinn, die Fremde redete mit ihr, jedoch antwortete sie nie auf ihre Fragen. „Du musst vorsichtig sein, du hast viel Blut verloren. Ja, ich habe dich geheilt, aber ich kann es noch nicht so gut. Die Hüterin sagt wenn ich wachse, kommt das schon noch.“ Xii kniff die Augen zusammen und leckte sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe. „Was bist du?“
Lilly legte den Kopf leicht schief, ihr Blick huschte immer wieder zu den flauschigen Ohren und dem buschigen Schwanz ihres Gegenüber. „Eine Ellydre.“ Xii riss ihre blauen Augen auf und schnappte nach Luft. Kurz war ihr schon der Gedanke gekommen eine Ellydre vor sich zu haben, aber wahrscheinlicher hatte sie es gehalten, vorhin doch gestorben zu sein, und dass dies nun ein Traum war, den man ihr gesandt hatte, um sie zu quälen. „Ich las einst in einem Buch über Ellydren, darin wurden sie als Mythos beschrieben, da es kaum eine Seele gab die euch zu Gesicht bekam. Was tust du denn hier, so ganz allein?“ Lilly erhob sich mit einem kleinen Hüpfer und deutete auf das dichte Unterholz hinter sich. „Du bist doch in unseren Hain gekommen, nicht ich zu dir. Hier wohnen wir, und sind ziemlich lebendig für einen Mythos, findest du nicht auch?“ Kichernd drückte sie sich beide Hände auf den Mund als sie über ihren eigenen Scherz lachen musste. Xii war fassungslos und gar nicht nach Späßen aufgelegt. Ihr Blick schweifte über die Gräser und die hohen Bäume. Sie erinnerte sich von den Ellydren gelesen zu haben dass sie an einem geheimnisvollen Ort mit dem Namen 'Ewiger Hain' leben sollten, doch hier sah es genauso aus wie in jedem anderen gewöhnlichen Wald auch. „Und was bist du?“ Lilly riss die Fuchsdame mit der Frage aus ihren Gedanken. Skeptisch taxierte sie die junge Ellydren, irgendwas stimmte hier nicht. Eben noch hatte man sie gejagt und fast getötet, und nun saß dieses kleine Wesen vor ihr, plauderte fast freundschaftlich mit ihr, und hatte sogar noch ihre schweren Wunden geheilt.
„Was willst du von mir? Warum hast du mir geholfen?“
Lilly zog beleidigt eine Schnute, jetzt hatte sie der Fremden so viele Fragen gestellt, ohne auch nur eine Antwort zu bekommen, und dass wo sie doch so neugierig war. Sie traute sich schon nicht mehr zu fragen ob die den buschigen Schwanz einmal umarmen dürfte. „Weil du doch verletzt warst! Was stellst du nur für komische Fragen?“ Xii schnaubte verächtlich. „Du willst mir sagen dass du mich geheilt hast, ohne auch nur einen Hintergedanken zu haben?“
„Ja natürlich.“ Es war die Art und Weise wie Lilly ihr bei dieser klaren Antwort direkt in die Augen sah, die Xii endlich verstehen ließ, dass dieses Wesen lediglich mit dem unschuldigen Herzen eines Kindes handelte. Ein Herz das nicht mit Ammenmärchen, Legenden oder Ängsten genährt wurde. Ganz langsam entspannten sich ihre Schultern. Lilly zupfte an einem der kleinen rötlichen Blätter die an einem der Äste wuchs, die sie auf dem Kopf trug. „Magst du mir jetzt vielleicht erzählen wer du bist?“
„Mein Name ist Xii. Ich bin eine Janama.“ Xii beugte ihren Oberkörper vor und legte beide Hände vor sich auf dem Boden. Sie senkte so weit den Blick dass sie lediglich die Füße von Lilly erkennen konnte. Sie war niemand die sich gern mit Demut vor jemandem verneigte, aber sie erinnerte sich an einen Ehrenkodex, den man ihr auferlegt hatte, als sie diese Gestalt annahm. Doch auch selbst wenn es diesen Kodex nicht gegeben hätte, sie war dem Kind dankbar. Wäre sie gestorben ohne den Sinn ihres Daseins zu erfüllen, wäre ihr keine Erlösung vergönnt gewesen. Nur ewiges Leid und Qualen.
„Ich verdanke dir mein Leben. Eine Lebensschuld ist nur durch Ebenbürtiges zu begleichen. Ich werde dich begleiten bis ich meine Schuld erfüllt habe.“ Lilly betrachtete mit großen Augen die Fuchsdame und schob sich nachdenklich den Zeigefinger in den Mund. Die Fremde rührte sich nicht mehr, also musste Lilly wohl irgendwas erwidern. Sie kniete sich vor Xiis gesenktem Kopf und tätschelte ihr Haar. „Ich freue mich dass wir jetzt Freunde sind! Du darfst auch mitkommen in unseren Hain. Aber nur wenn ich mal deinen Schwanz drücken darf ja? Er sieht so flauschig aus.“
Xii hob verwundert ihren Kopf und blickte in das strahlende Gesicht von Lilly. Etwas zögerlich rümpfte sie ihre Nase. „Du willst was? Kommt gar nicht in Frage.“ Sofort entgleisten die heiteren Gesichtszüge der jungen Ellydren und ihre Augen begannen sonderlich zu funkeln. Xii seufzte laut und rollte mit den Augen. „Na schön. Aber nur kurz...“ Frohlockend sprang Lilly auf und klatschte in die Hände. In der nächsten Sekunde umfasste sie den buschigen Schwanz mit beiden Armen und schmiegte ihre Wange daran. „Oh wie weich!“
Xii fragte sich, auf was sie sich eingelassen hatte, aber als sie das glückliche Kind betrachtete das sein Gesicht in ihr Fell drückte, bildete sich auch auf ihren Zügen der Hauch eines Lächelns.
Nach all den Grausamkeiten die sie heute erfahren hatte, tat es ganz gut wenn sie jemand nicht aufgrund ihres simplen Daseins verurteilte. Vielleicht würde sie in diesem Hain ja auch jenen finden, der mit ihrem Schicksal verbunden war. Jener, der in der Lage war sie zu erlösen.
Nachdem sie sich durch einen beherzten Schwanzwedler von der Ellydre befreit hatte, erhob sie sich. Noch fühlten sich ihre Beine schwach an, aber sie war in der Lage einen kleinen Marsch zu absolvieren. „Lass uns gehen, ich will diesen Ort hinter mir lassen.“
Lilly wollte ihre neue Freundin unbedingt den anderen Ellydren vorstellen, und ließ sich kein zweites Mal bitten. Nachdem sie einige Schritte vor gelaufen war, und bemerkte dass die Fuchsdame noch nicht ganz mit ihrem Tempo mithalten konnte, schlenderte sie an ihrer Seite entlang.
Immer wieder warf sie der schweigenden Xii neugierige Blicke zu. Diese seufzte schließlich laut. „Was möchtest du fragen?“ Sofort sprudelte Lilly mit ihrer ersten Frage los. „Was ist denn eine Janama?“ Xii warf ihr einen forschenden Blick aus dem Augenwinkel zu. Ihre Antwort kam erst nach langem Zögern. „Oft werden wir als Geister bezeichnet. Unsere Seelen lebten einst ein anderes Dasein. Erinnerungen an mein letztes Leben habe ich nicht, nur eines blieb. Der Grund wieso ich wieder her gesandt wurde. Es gibt eine Schuld die auf meinen Schultern lastet, ich weiß dass ich sie wieder gut machen muss.“ Lillys Augen wurden groß und ihre Schritte langsamer. „Ha? Soll das heißen du hast mal etwas böses gemacht?“ Xiis Blick richtete sich auf den Weg vor sich. „Ja.“
„Und du erinnerst dich nur an dieses Böse, sonst nichts? Nicht einmal wer du warst?“
„Richtig.“ Lilly senkte den Kopf, so etwas konnte sie sich gar nicht vorstellen. „Und jemand gibt dir eine Gelegenheit das wieder gut zu machen? Wer ist das denn? Er muss ja ganz schön stark sein.“
„Auf diese Frage darf ich dir keine Antwort geben. Selbst wenn ich wollte, die Worte kämen nie über meine Lippen. Es ist wie ein Bann.“
Lilly schob sich wieder ihren Zeigefinger in den Mund während sie überlegte. Erst nach langem Zögern stellte sie die Frage, die ihr so sehr unter den Nägeln brannte. „Was hast du denn Böses gemacht?“ Als hätte Xii bereits mit dieser Frage gerechnet, kam ihre Antwort sofort, und begleitet von einem eisigen Hauch in der Stimme. „Darüber will und werde ich nicht reden.“
Lilly runzelte die Stirn, dem Mädchen rauchte ganz schön der Kopf. „Aber darfst du dann sagen was du machen musst, um das Böse wieder gut zu machen?“ „Das weiß ich selbst nicht. Ich weiß nur, dass ich eine Aufgabe zu erfüllen habe. Welche es ist, mit wem sie zu tun hat, oder was ich genau dafür tun muss, weiß ich nicht. Ich muss suchen bis ich es gefunden habe.“ Ihre Stimme bekam einen bitteren Unterton, den Lilly allerdings nicht bemerkte. „Wie merkst du denn dann wenn es soweit ist? Also wenn du wirklich getan hast, was du tun musstest?“
„Ich sterbe.“
Lilly blieb mit einem Ruck stehen, ihr Unterkiefer erschlaffte. Mit großen Augen starrte sie zu Xii hinauf. Plötzlich begannen ihre Lippen zu beben und Tränen flossen ihre Wangen hinab. „Aber Xii! Das ist doch nicht richtig! Wenn man etwas gutes tut, darf man doch nicht als Belohnung sterben!“
Die Janama betrachtet das kleine Mädchen, dass diese so schnell von dem Schicksal einer Fremden ergriffen war, wunderte sie. Langsam ging sie vor Lilly in die Hocke und legte ihr die Hände auf die bebenden Schultern. „Für mich wäre es eine Erlösung. Tag und Nacht quälen mich die Erinnerung an meine Taten. Flehen, Schreie und Tränen bilden ein Echo in meinem Geist das ich niemals los werde. Außer ich sterbe, dann findet meine Seele ruhe.“ Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. „Hör nun auf zu weinen. Nicht immer bringt der Tod nur Schlechtes. Außerdem schenke ich so dem Wesen, dessen Körper ich borgte, wieder sein Leben.“ Lilly rieb sich mit ihren kleinen Fäusten die Augen um die Tränen fort zu wischen. „Was meinst du denn damit?“
Xii tippte sich an die Ohren. „Meine Seele wurde wieder in diese Welt gesandt, aber ich hatte keinen Körper mehr. Also musste ich mir einen borgen. Das kann bei jeder Janama unterschiedlich sein. Meine Seele übernahm den Körper eines Fuchses. Wenn ich sterbe, gebe ich ihn wieder frei, und schenke dem Fuchs sein Leben zurück.“
Lilly Augen glänzten noch immer als sie zu Xii hinauf blickte. Alles verstand sie nicht, von dem was sie ihr sagte, aber sie verstand dass ein Ende für Xii ein neuer Anfang bedeutete. Sie fiel ihrer neuen Freundin fest um den Hals. „Ich verspreche, dir bei deiner Suche zu helfen, und dich ganz viel von den bösen Erinnerungen abzulenken Xii!“
Noch nie hatte sie jemand umarmt. Erst hatte sie sich gegen die Berührung wehren wollen, stattdessen aber legte sie ihre Arme ebenfalls um den kleinen Körper von Lilly. Irgendwie mochte sie dieses Kind.
Behutsam drückte Xii das Mädchen wieder von sich und erhob sich um ihren Weg fortzusetzen. „Jetzt ist aber Schluss mit so viel Sentimentalitäten. Lass uns weiter gehen.“ Lilly rannte ihr eilig nach um sie wieder einzuholen und zupfte an dem transparenten Tuch, welches Xii als eine Art Umhang trug. „Trägst du mich? Vielleicht ist das ja schon die gute Tat, die du machen musst.“
Xii senkte den Blick. Beide mussten grinsen. „Du bist gar nicht so dumm wie du aussiehst. Dennoch, vergiss es.“

So war es denn dass die Janama Xii auf die kleine Ellydre Lilly traf, und beide zusammen ihren Weg fortsetzten, so verschieden sie auch waren. Manches Mal sollte ihr Pfad steinig sein, aber ihre Freundschaft wuchs mit jedem Schritt und jedem Stolpern.
Und wer weiß, vielleicht treffen wir die Beiden ja eines Tages wieder.

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