Ihre
Flucht trieb sie aus dem Dorf heraus, ihre Krallen gruben sich in
weiches Gras, statt platt getretene Erde. Sie verließ den Schutz der
Häuser und der schmalen Gassen, einer der Jäger erstarrte und
nutzte seine letzte Gelegenheit den Dämon zur Strecke zu bringen.
Er
spannte die Sehne seines Bogens und legte den Pfeil an. Das Rufen und
die wütenden Befehle seiner Mitverfolger hörte er nicht mehr, alles
was es für ihn noch gab war sein Pfeil, und seine Beute. Sein Atem
stellte sich ein. Sekunden verstrichen. Dann ließ er los.
Xii
heulte auf vor Schmerz als etwas ihre Sinne vernebelte. Ihre Füße
gehorchten ihr nicht mehr, sie stürzte mitten im Lauf und rollte
noch einige Meter weiter. Jubel und erstauntes Ausrufen drang an ihr
Ohr. Schwer atmend blinzelte sie einige Male, bis sie wieder klar
sehen konnte. Die Jäger klopften einem jungen Burschen auf die
Schulter, dann rannten sie locker und nicht all zu schnell auf sie
zu.
Xii
hob den Kopf und blickte an sich hinab, zwischen ihren Rippen schaute
der abgebrochene Schaft eines Pfeiles heraus. Er musste bei ihrem
Sturz abgebrochen sein. Nein, hier und heute wollte sie nicht
sterben, sie wollte kein Opfer der Menschen werden.
Schwerfällig
rappelte sie sich wieder auf und rannte weiter, weiter in Richtung
Waldesrand. Ihr Fluchtversuch blieb nicht unbemerkt, sofort spannten
die Jäger wieder ihre Bögen und Armbrüste.
Xii´s
gesamter Körper schmerzte, rebellierte gegen die Anstrengung die sie
von ihm abverlangte, aber sie wusste, wenn sie langsamer werde würde,
wäre es ihr Verhängnis. Pfeile sausten dicht an ihr vorbei, einer
streifte sogar gefährlich knapp ihr Ohr, aber sie schaffte es den
Wald zu erreichen.
Ihre
Verfolger gaben nicht auf, es galt ehrenvoll zurück zu kehren und
die frohe Botschaft zu übermitteln, dass man den Dämon getötet
hatte. Das würden die Männer sich nicht nehmen lassen.
Xii
rannte mit letzter Kraft immer tiefer in den Wald hinein, ihre Beine
wurden schwerer und versagten schließlich ihren Dienst. Blauer Nebel
hüllte ihre Gestalt ein, und sie nahm wieder die Gestalt an, die
mehr Mensch denn Tier war.
Keuchend
rollte sie sich auf den Bauch und zog sich über das weiche Laub das
den Boden bedeckte. Kleine Steinchen und Äste stachen in ihre Haut,
aber diesen Schmerz spürte sie schon nicht mehr. An ihre Ohren drang
das Rascheln der trockenen Blätter als sie von den schweren
Lederstiefeln zerdrückt wurden. Die Jäger waren außer Atem, aber
ihr Ehrgeiz hatte sie so lange angetrieben, das sie die verwundete
Janama schließlich einholen konnten.
Xii
zog sich immer weiter über den Boden, Schuhspitzen tauchten in ihrem
Augenwinkel auf, und schließlich versperrte ein dunkler Schatten ihr
den Weg. Ihre Stirn legte sich auf das Laub, Gelächter ertönte, es
war vorbei. Die Jäger hatten ihre Beute erlegt.
Einer
der Männer drehte die Frau mit den Fuchsohren und dem buschigen
Schwanz, mit seinem Fuß auf den Rücken. Xii blickte hinauf in ein
schadenfrohes Grinsen.
„Du
Idiot! Geh doch nicht so dicht an sie heran! Wenn sie dich nun
verflucht“, ertönte eine atemlose, unsichere Stimme. „Ach, schau
sie dir doch an. Der Dämon ist am Ende.“ Der Mann über ihr
grinste noch ein wenig breiter und stellte seinen Stiefel auf den
abgebrochenen Schaft des Pfeiles, welcher ihr zwischen den Rippen
hinaus ragte.
Xii
schrie auf vor Schmerz und griff nach seinem Bein. Jemand gab ihr
einen heftigen Tritt in die Seite. Wieder schrie sie, und rollte sich
zusammen als der Mann endlich den Fuß von ihr hinunter nahm. „Na?
Willst du nicht um Gnade betteln du Stück Dreck?“
Die
Janama presste die Augen zusammen und biss sich fest auf die
Unterlippe um nicht vor Schmerz zu wimmern, diese Blöße würde sie
sich nicht geben. Nur leise presste sie ihre Worte hervor. „Lieber
erteile ich dir die Erlaubnis mich an meinem Arsch zu lecken.“
Stille trat ein.
„Was
hast du da gerade gesagt?“ Der Mann beugte sich zu ihr hinab und
umfasste mit seiner großen Hand ihr Kinn. Mit einem Ruck drehte er
ihren Kopf zu sich und zwang sie so in seine wütende Fratze zu
blicken. Nun grinste Xii hämisch. „Hast du es auf den Ohren?
Waschen könnte Abhilfe schaffen.“ Ihr Grinsen erlosch als seine
Faust sie hart ins Gesicht traf. Der Mann tobte und wollte gerade zu
einem weiteren Schlag ausholen als jemand seinen Arm packte. Der
junge Jäger, welcher ihr den Pfeil zwischen die Rippen gejagt hatte,
blickte kopfschüttelnd auf ihn nieder. Seine Stimme war ruhig und
ohne Groll. „Wir sollten es jetzt rasch beenden. Unser Dorf wartet,
und es gibt viel Arbeit.“
Langsam
erhob sich der Mann und befreite sich mit einem heftigen Ruck von dem
Griff um seinen Arm. „Spiel dich mal hier nicht so auf Bursche! Es
ist vorbei wenn ich es sage.“ Ein anderer Mann legte ihm seine Hand
auf die Schulter und atmete tief durch. „Der Junge hat Recht. Wir
beenden das nun, und kehren zurück.“ Nun waren zwei seiner Freunde
gegen ihn? Das kam für den gestanden Mann gar nicht in Frage. Auch
in den Gesichtern der restlichen Jäger konnte er ablesen, dass sie
noch immer Furcht vor dem Dämon hatten, und es am liebsten schnell
hinter sich bringen wollten.
Er
bleckte wütend seine Zähne. „Gut ihr feigen Hunde! Aber ich
beende es auf meine Art!“
Mit
einem Ruck zerrte er Xii auf die Beine und grub seine Faust in ihr
Haar. Sie war so schwach, dass sie nicht allein stehen konnte, also
zerrte er sie mit sich. Sie presste die Lippen fest aufeinander,
konnte jedoch ein Aufstöhnen nicht verbergen.
„Was
machst du denn da jetzt du Narr?“ Unsicher liefen ihm die Männer
nach, aber konnten ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen. Der Jäger
zerrte sie auf den Rand eines Abhanges zu und blickte in die Tiefe.
Einige Metern unter ihnen verlief ein breiter Fluss entlang.
„Zurück
mit dir, in die Hölle, aus der du gekrochen bist!“ Mit diesen
Worten stieß er Xii hinab in die Tiefe. Sie versuchte noch Halt an
einer Wurzel zu finden, aber es gelang ihr nicht, sie rutschte
unkontrolliert den Hang hinab und stürzte in den Fluss.
„Bist
du noch zu retten? Was wenn sie das überlebt und zurück kehrt? Wenn
sie dann Rache an uns nimmt, was dann?“ Jener, der seine Ängste
aussprach, erntete nur einen kalten Blick. „Du bist ein Narr wenn
du denkst, sie könnte es überlebt haben. Auch Dämonen sind nicht
gegen alles immun.“
Herausfordernd streckte der Jäger sein Kinn vor, doch sein Freund schüttelte nur resignierend den Kopf. Die Gruppe beschloss dass es das Beste sein würde, wenn sie nun Heim kehrten, und im Dorf erzählten, dass das Wesen aus der Unterwelt tot sei, und keine Bedrohung mehr für sie sein würde.
Herausfordernd streckte der Jäger sein Kinn vor, doch sein Freund schüttelte nur resignierend den Kopf. Die Gruppe beschloss dass es das Beste sein würde, wenn sie nun Heim kehrten, und im Dorf erzählten, dass das Wesen aus der Unterwelt tot sei, und keine Bedrohung mehr für sie sein würde.
Die
Strömung des Flusses riss erbarmungslos an der Janama, sie kämpfte
verzweifelt dagegen an, dass ihr Kopf nicht all zu lange unter Wasser
geriet. Sie hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren als sie
immerzu versuchte der Flut zu entkommen und am Ufer Halt zu finden.
Schließlich
hatte das Schicksal mit ihr Erbarmen und sie blieb in einer großen
Wurzel hängen, welche weit in das Flussbett hinein ragte und mit all
seinen Verzweigungen wie ein Köcher wirkte.
Mit
zitternden Händen hangelte sie sich an der Wurzel in Richtung Ufer.
Die Dunkelheit zerrte an ihr, flüsterte verlockend in ihr Ohr, dass
sie die Janama alsbald von ihren Qualen erlösen würde, sie müsste
nur los lassen. Ihre Krallen gruben sich ins Erdreich als sie ihren
Körper aus dem Wasser zog, jeden Zentimeter musste sie sich hart
erkämpfen. Als auch ihre Zehen das feuchte Gras unter sich spürten,
verließen sie ihre letzten Kräfte. Ihre Arme versagten ihren
Dienst. Es war nicht schlimm. Das weiche Gras des Waldbodens bettete
ihre Wange so angenehm, und wieder flüsterte die Dunkelheit ihre
Verlockungen.
Sie
wollte nicht dass es vorbei war, dass es so endete. Ein Ende ohne
Erlösung. Mit dem Gesicht auf der Seite liegend, schlossen sich
langsam ihre Augen. Eine Müdigkeit überrollte sie, so fordernd,
dass sie sich ihr nicht widersetzen konnte.
Wie
im Traum, spürte sie dass eine Hand ihren Kopf berührte und fast
schon zärtlich über ihr Haar strich. Es war eine behutsame und
kleine Hand, wie die eines Kindes. Auf Xiis Zügen bildete sich ein
Lächeln. Entweder war die ewige Verdammnis grausamer als sie dachte,
oder sollte der Schöpfer hoch oben doch Erbarmen gezeigt haben?
Die
kleine Hand betastete ihr buschiges Ohr und zupfte an den feinen
Härchen, das mochte Xii gar nicht. Die Berührung der kleinen Hand
verschwand, doch kurz darauf spürte sie einen warmen Lufthauch nahe
ihres Gesichtes. Es waren Atemzüge.
„Wer
bist denn du?“ Xii hörte die fremde, weibliche Stimme in weiter
Ferne. Wenn sie nicht gekommen war, um sie zu erlösen oder mit in
die Dunkelheit zu begleiten, sollte sie gehen. Xii wollte ihre Ruhe
haben. Doch die Präsenz erfüllte ihren Wunsch nicht. Sie spürte
eine warme Berührung auf ihrem Rücken und ein leiser Singsang
erklang.
„Ewiglich
das Grün,
klar
und reich dein Atem,
wohlbehütet
im finsteren Grunde,
ruht
immerdar dein Garten.
Kehre
ein, mein Geist ist frei,
auf
dass es gibt keine Macht, die uns entzwei.
Borge
mir Leib und Seele nun,
kenne
den Preis,
in
deinen Armen werde ich ruhn.“
Xii
spürte eine Wärme ihren Körper durchflutete, wie sie ihr die Sonne
noch nie hatte schenken können. Diese Wärme ließ der Dunkelheit
keinen Raum mehr und verdrängte sie, bis nichts mehr von ihr übrig
war. Xii schlug die Augen auf als das Gefühl vollkommen abgeebbt
war. Sämtliche Glieder schmerzten als sie ihren Körper zwang sich
zu bewegen. Unter einem Ächzen stützte sie sich auf allen Vieren
ab, und setzte sich langsam auf. Xii zuckte zusammen als die zarte
Stimme neuerlich erklang.
„Geht
es dir wieder besser? Mehr konnte ich leider nicht für dich tun, ich
bin darin noch nicht so gut.“ Neben der Janama hockte ein kleines
Mädchen auf ihren Fersen. Xii traute ihren Augen kaum, denn das Kind
ähnelte zwar einem Menschen, aber ein paar Details straften diese
Annahme Lügen.
Der
Leib des Kindes war nicht etwa mit Kleidung bedeckt, sondern
mit kleinen Blättern und Ranken. Aus ihrem kastanienbraunen Haar,
direkt am Ansatz ihrer Stirn, wuchsen zwei kleine Äste empor,
geschmückt mit gelben und roten Blättern wie sie auch die Bäume
rings um sie herum trugen. Auf den Zügen des Mädchens lag ein
müder, aber freundlicher Ausdruck. „Hallo, ich bin Lilly. Kannst
du mich verstehen?“
Statt
auf ihre Frage zu antworten wich Xii ein Stück zurück und während
die das Kind musterte, wurde sie sich dem stechenden Schmerz in ihrem
Oberschenkel bewusst. Doch irgendetwas war vollkommen anders als
zuvor. Ohne die Fremde aus den Augen zu lassen tastete sie nach der
Wunde, die ihr der Jäger verpasst hatte. Der abgebrochene Pfeil war
fort, und dort wo die Wunde sein sollte, die er hinterlassen hatte,
konnte sie Kruste unter ihren Fingerspitzen fühlen und eine kleine
Wölbung.
Fassungslos
starrte sie an sich hinab, deutlich stachen hier und dort blaue
Flecken hervor, die frischen Wunden hatten sich geschlossen, manche
waren sogar vollkommen verheilt, und zu ihren Füßen lag der
abgebrochene Pfeilschaft. „Wie... wie ist das möglich?“
„Oh!
Du kannst doch sprechen! Ich dachte schon...“, das Mädchen konnte
ihren Satz nicht zu Ende bringen, da schnitt Xii ihr das Wort ab.
„Warst du das? Hast du mich geheilt?“ Sie versuchte aufzustehen,
doch ihre Beine fühlten sich weich an und versagten ihren Dienst.
Lilly kratzte sich irritiert an ihrem Kinn, die Fremde redete mit
ihr, jedoch antwortete sie nie auf ihre Fragen. „Du musst
vorsichtig sein, du hast viel Blut verloren. Ja, ich habe dich
geheilt, aber ich kann es noch nicht so gut. Die Hüterin sagt wenn
ich wachse, kommt das schon noch.“ Xii kniff die Augen zusammen und
leckte sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe. „Was bist
du?“
Lilly
legte den Kopf leicht schief, ihr Blick huschte immer wieder zu den
flauschigen Ohren und dem buschigen Schwanz ihres Gegenüber. „Eine
Ellydre.“ Xii riss ihre blauen Augen auf und schnappte nach Luft.
Kurz war ihr schon der Gedanke gekommen eine Ellydre vor sich zu
haben, aber wahrscheinlicher hatte sie es gehalten, vorhin doch
gestorben zu sein, und dass dies nun ein Traum war, den man ihr
gesandt hatte, um sie zu quälen. „Ich las einst in einem Buch über
Ellydren, darin wurden sie als Mythos beschrieben, da es kaum eine
Seele gab die euch zu Gesicht bekam. Was tust du denn hier, so ganz
allein?“ Lilly erhob sich mit einem kleinen Hüpfer und deutete auf
das dichte Unterholz hinter sich. „Du bist doch in unseren Hain
gekommen, nicht ich zu dir. Hier wohnen wir, und sind ziemlich
lebendig für einen Mythos, findest du nicht auch?“ Kichernd
drückte sie sich beide Hände auf den Mund als sie über ihren
eigenen Scherz lachen musste. Xii war fassungslos und gar nicht nach
Späßen aufgelegt. Ihr Blick schweifte über die Gräser und die
hohen Bäume. Sie erinnerte sich von den Ellydren gelesen zu haben
dass sie an einem geheimnisvollen Ort mit dem Namen 'Ewiger Hain'
leben sollten, doch hier sah es genauso aus wie in jedem anderen
gewöhnlichen Wald auch. „Und was bist du?“ Lilly riss die
Fuchsdame mit der Frage aus ihren Gedanken. Skeptisch taxierte sie
die junge Ellydren, irgendwas stimmte hier nicht. Eben noch hatte man
sie gejagt und fast getötet, und nun saß dieses kleine Wesen vor
ihr, plauderte fast freundschaftlich mit ihr, und hatte sogar noch
ihre schweren Wunden geheilt.
„Was
willst du von mir? Warum hast du mir geholfen?“
Lilly
zog beleidigt eine Schnute, jetzt hatte sie der Fremden so viele
Fragen gestellt, ohne auch nur eine Antwort zu bekommen, und dass wo
sie doch so neugierig war. Sie traute sich schon nicht mehr zu fragen
ob die den buschigen Schwanz einmal umarmen dürfte. „Weil du doch
verletzt warst! Was stellst du nur für komische Fragen?“ Xii
schnaubte verächtlich. „Du willst mir sagen dass du mich geheilt
hast, ohne auch nur einen Hintergedanken zu haben?“
„Ja
natürlich.“ Es war die Art und Weise wie Lilly ihr bei dieser
klaren Antwort direkt in die Augen sah, die Xii endlich verstehen
ließ, dass dieses Wesen lediglich mit dem unschuldigen Herzen eines
Kindes handelte. Ein Herz das nicht mit Ammenmärchen, Legenden oder
Ängsten genährt wurde. Ganz langsam entspannten sich ihre
Schultern. Lilly zupfte an einem der kleinen rötlichen Blätter die
an einem der Äste wuchs, die sie auf dem Kopf trug. „Magst du mir
jetzt vielleicht erzählen wer du bist?“
„Mein
Name ist Xii. Ich bin eine Janama.“ Xii beugte ihren Oberkörper
vor und legte beide Hände vor sich auf dem Boden. Sie senkte so weit
den Blick dass sie lediglich die Füße von Lilly erkennen konnte.
Sie war niemand die sich gern mit Demut vor jemandem verneigte, aber
sie erinnerte sich an einen Ehrenkodex, den man ihr auferlegt hatte,
als sie diese Gestalt annahm. Doch auch selbst wenn es diesen Kodex
nicht gegeben hätte, sie war dem Kind dankbar. Wäre sie gestorben
ohne den Sinn ihres Daseins zu erfüllen, wäre ihr keine Erlösung
vergönnt gewesen. Nur ewiges Leid und Qualen.
„Ich
verdanke dir mein Leben. Eine Lebensschuld ist nur durch Ebenbürtiges
zu begleichen. Ich werde dich begleiten bis ich meine Schuld erfüllt
habe.“ Lilly betrachtete mit großen Augen die Fuchsdame und schob
sich nachdenklich den Zeigefinger in den Mund. Die Fremde rührte
sich nicht mehr, also musste Lilly wohl irgendwas erwidern. Sie
kniete sich vor Xiis gesenktem Kopf und tätschelte ihr Haar. „Ich
freue mich dass wir jetzt Freunde sind! Du darfst auch mitkommen in
unseren Hain. Aber nur wenn ich mal deinen Schwanz drücken darf ja?
Er sieht so flauschig aus.“
Xii
hob verwundert ihren Kopf und blickte in das strahlende Gesicht von
Lilly. Etwas zögerlich rümpfte sie ihre Nase. „Du willst was?
Kommt gar nicht in Frage.“ Sofort entgleisten die heiteren
Gesichtszüge der jungen Ellydren und ihre Augen begannen sonderlich
zu funkeln. Xii seufzte laut und rollte mit den Augen. „Na schön.
Aber nur kurz...“ Frohlockend sprang Lilly auf und klatschte in die
Hände. In der nächsten Sekunde umfasste sie den buschigen Schwanz
mit beiden Armen und schmiegte ihre Wange daran. „Oh wie weich!“
Xii
fragte sich, auf was sie sich eingelassen hatte, aber als sie das
glückliche Kind betrachtete das sein Gesicht in ihr Fell drückte,
bildete sich auch auf ihren Zügen der Hauch eines Lächelns.
Nach
all den Grausamkeiten die sie heute erfahren hatte, tat es ganz gut
wenn sie jemand nicht aufgrund ihres simplen Daseins verurteilte.
Vielleicht würde sie in diesem Hain ja auch jenen finden, der mit
ihrem Schicksal verbunden war. Jener, der in der Lage war sie zu
erlösen.
Nachdem
sie sich durch einen beherzten Schwanzwedler von der Ellydre befreit
hatte, erhob sie sich. Noch fühlten sich ihre Beine schwach an, aber
sie war in der Lage einen kleinen Marsch zu absolvieren. „Lass uns
gehen, ich will diesen Ort hinter mir lassen.“
Lilly
wollte ihre neue Freundin unbedingt den anderen Ellydren vorstellen,
und ließ sich kein zweites Mal bitten. Nachdem sie einige Schritte
vor gelaufen war, und bemerkte dass die Fuchsdame noch nicht ganz mit
ihrem Tempo mithalten konnte, schlenderte sie an ihrer Seite entlang.
Immer
wieder warf sie der schweigenden Xii neugierige Blicke zu. Diese
seufzte schließlich laut. „Was möchtest du fragen?“ Sofort
sprudelte Lilly mit ihrer ersten Frage los. „Was ist denn eine
Janama?“ Xii warf ihr einen forschenden Blick aus dem Augenwinkel
zu. Ihre Antwort kam erst nach langem Zögern. „Oft werden wir als
Geister bezeichnet. Unsere Seelen lebten einst ein anderes Dasein.
Erinnerungen an mein letztes Leben habe ich nicht, nur eines blieb.
Der Grund wieso ich wieder her gesandt wurde. Es gibt eine Schuld die
auf meinen Schultern lastet, ich weiß dass ich sie wieder gut machen
muss.“ Lillys Augen wurden groß und ihre Schritte langsamer. „Ha?
Soll das heißen du hast mal etwas böses gemacht?“ Xiis Blick
richtete sich auf den Weg vor sich. „Ja.“
„Und
du erinnerst dich nur an dieses Böse, sonst nichts? Nicht einmal wer
du warst?“
„Richtig.“
Lilly senkte den Kopf, so etwas konnte sie sich gar nicht vorstellen.
„Und jemand gibt dir eine Gelegenheit das wieder gut zu machen? Wer
ist das denn? Er muss ja ganz schön stark sein.“
„Auf
diese Frage darf ich dir keine Antwort geben. Selbst wenn ich wollte,
die Worte kämen nie über meine Lippen. Es ist wie ein Bann.“
Lilly
schob sich wieder ihren Zeigefinger in den Mund während sie
überlegte. Erst nach langem Zögern stellte sie die Frage, die ihr
so sehr unter den Nägeln brannte. „Was hast du denn Böses
gemacht?“ Als hätte Xii bereits mit dieser Frage gerechnet, kam
ihre Antwort sofort, und begleitet von einem eisigen Hauch in der
Stimme. „Darüber will und werde ich nicht reden.“
Lilly
runzelte die Stirn, dem Mädchen rauchte ganz schön der Kopf. „Aber
darfst du dann sagen was du machen musst, um das Böse wieder gut zu
machen?“ „Das weiß ich selbst nicht. Ich weiß nur, dass ich
eine Aufgabe zu erfüllen habe. Welche es ist, mit wem sie zu tun
hat, oder was ich genau dafür tun muss, weiß ich nicht. Ich muss
suchen bis ich es gefunden habe.“ Ihre Stimme bekam einen bitteren
Unterton, den Lilly allerdings nicht bemerkte. „Wie merkst du denn
dann wenn es soweit ist? Also wenn du wirklich getan hast, was du tun
musstest?“
„Ich
sterbe.“
Lilly
blieb mit einem Ruck stehen, ihr Unterkiefer erschlaffte. Mit großen
Augen starrte sie zu Xii hinauf. Plötzlich begannen ihre Lippen zu
beben und Tränen flossen ihre Wangen hinab. „Aber Xii! Das ist
doch nicht richtig! Wenn man etwas gutes tut, darf man doch nicht als
Belohnung sterben!“
Die
Janama betrachtet das kleine Mädchen, dass diese so schnell von dem
Schicksal einer Fremden ergriffen war, wunderte sie. Langsam ging sie
vor Lilly in die Hocke und legte ihr die Hände auf die bebenden
Schultern. „Für mich wäre es eine Erlösung. Tag und Nacht quälen
mich die Erinnerung an meine Taten. Flehen, Schreie und Tränen
bilden ein Echo in meinem Geist das ich niemals los werde. Außer ich
sterbe, dann findet meine Seele ruhe.“ Ihre Mundwinkel verzogen
sich zu einem schwachen Lächeln. „Hör nun auf zu weinen. Nicht
immer bringt der Tod nur Schlechtes. Außerdem schenke ich so dem
Wesen, dessen Körper ich borgte, wieder sein Leben.“ Lilly rieb
sich mit ihren kleinen Fäusten die Augen um die Tränen fort zu
wischen. „Was meinst du denn damit?“
Xii
tippte sich an die Ohren. „Meine Seele wurde wieder in diese Welt
gesandt, aber ich hatte keinen Körper mehr. Also musste ich mir
einen borgen. Das kann bei jeder Janama unterschiedlich sein. Meine
Seele übernahm den Körper eines Fuchses. Wenn ich sterbe, gebe ich
ihn wieder frei, und schenke dem Fuchs sein Leben zurück.“
Lilly
Augen glänzten noch immer als sie zu Xii hinauf blickte. Alles
verstand sie nicht, von dem was sie ihr sagte, aber sie verstand dass
ein Ende für Xii ein neuer Anfang bedeutete. Sie fiel ihrer neuen
Freundin fest um den Hals. „Ich verspreche, dir bei deiner Suche zu
helfen, und dich ganz viel von den bösen Erinnerungen abzulenken
Xii!“
Noch
nie hatte sie jemand umarmt. Erst hatte sie sich gegen die Berührung
wehren wollen, stattdessen aber legte sie ihre Arme ebenfalls um den
kleinen Körper von Lilly. Irgendwie mochte sie dieses Kind.
Behutsam
drückte Xii das Mädchen wieder von sich und erhob sich um ihren Weg
fortzusetzen. „Jetzt ist aber Schluss mit so viel
Sentimentalitäten. Lass uns weiter gehen.“ Lilly rannte ihr eilig
nach um sie wieder einzuholen und zupfte an dem transparenten Tuch,
welches Xii als eine Art Umhang trug. „Trägst du mich? Vielleicht
ist das ja schon die gute Tat, die du machen musst.“
Xii
senkte den Blick. Beide mussten grinsen. „Du bist gar nicht so dumm
wie du aussiehst. Dennoch, vergiss es.“
So
war es denn dass die Janama Xii auf die kleine Ellydre Lilly traf,
und beide zusammen ihren Weg fortsetzten, so verschieden sie auch
waren. Manches Mal sollte ihr Pfad steinig sein, aber ihre
Freundschaft wuchs mit jedem Schritt und jedem Stolpern.
Und
wer weiß, vielleicht treffen wir die Beiden ja eines Tages wieder.
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