Ihre Geduld hatte ein Ende gefunden.
„Ihr müsst ihr helfen, ihr Mistkerle! Sie stirbt sonst!“
Eine Gruppe von drei weiteren Männern kam um eine Häuserwand geschossen, einer von ihnen riss die Augen vor Schreck weit auf.
Eine Gruppe von drei weiteren Männern kam um eine Häuserwand geschossen, einer von ihnen riss die Augen vor Schreck weit auf.
„Marlie! Meine kleine Marlie! Dieser
verdammte Dämon hat mein kleines Mädchen auf dem Gewissen!“
Xii stieß ein wütendes Knurren aus,
ihre Oberlippe begann zu zucken und entblößte zwei spitze Eckzähne.
Ihre eisblauen Augen richteten sich auf den Mann, welcher ganz
offensichtlich ihr Vater zu sein schien.
„Noch lebt sie, bald aber aber nicht
mehr wenn ihr dämlichen Narren weiter Löcher in die Luft starrt,
statt sich um sie zu kümmern!“ In all ihrem Zorn merkte sie gar
nicht, dass sich einer der Männer an ihr vorbei geschlichen hatte.
Die Präsenz in ihrem Rücken spürte sie erst, als es bereits zu
spät war.
Grelle Blitze explodierten vor ihrem
inneren Auge und ein entsetzlicher Schmerz, in ihrem gesamten Kopf,
war das letzte was Xii spürte, bevor die tröstende Finsternis sie
empfing, und jegliches Leid von ihr nahm.
Sie merkte nicht, wie ihr schlaffer
Körper zusammen sackte und man ihr das kleine Bündel aus den Armen
riss, oder wie die Männer genau jenen bejubelten, der sich von
hinten an sie heran geschlichen hatte, und sie nieder schlug.
Ganz vorsichtig hatte der kleine Junge
um die Häuserecke gelugt und die Männer dabei beobachtet wie sie
die Fremde mit festen Stricken knebelten und davon brachten. Sein
Herz donnerte wild in seiner Brust, schließlich kannte er Marlie.
Mit ihr hatte er oft gespielt, und da ihre Eltern viele Kühe hatten,
brachte sie ihm immer ein Stück Käse mit. Er liebte Käse.
Der kleine Junge zog die Kordel, die
seine Leinenhose auf den Hüften hielt, fester zu und rannte den Pfad
hinab zu dem Haus in dem er aufgewachsen war.
Krachend schlug die morsche Holztür
gegen die Lehmwand, dass man fast befürchten musste, sie würde aus
den Angeln brechen.
„Großvater! Großvater!“ Der
kleine Junge rannte durch die kleine Stube, die allein durch ein
winzig kleines Fenster und das Feuer des Ofens erhellt wurde. Auf der
Kochstelle stand ein verbeulter Kessel, in dem eine Gemüsesuppe für
das kommende Mahl köchelte. Vor der Wärmequelle saß ein alter
Mann, in einer Hand hielt er einen knorrigen Stab, welcher ihm als
Stütze diente.
Sein Bart war um den Mund herum gelb
gefärbt vom Pfeifenrauch und ragte ihm bis auf die Brust.
Müde hob er den Kopf, er war
eingenickt gewesen, bis sein Enkel hineingestürmt kam.
Leise und rau erklang seine Stimme.
„Ben, was machst du denn solch einen Lärm? Mein Gehör ist eines
der wenigen Dinge, die das Alter mir noch nicht genommen hat.“
Der Junge sprang aufgeregt vor seinem
Großvater herum und zog an dessen mitgenommenen Kleidern.
„Großvater! Ein böses Wesen ist in unser Dorf gekommen! Es hat
Marlie getötet!“ Die Stimme des Jungen zitterte, und brach
schließlich bevor sein Körper unter heftigen Schluchzen erbebte.
Tröstend legte sein Großvater ihm eine Hand auf den dunklen Schopf
und runzelte die Stirn. Sein Blick ging ins Leere, denn sein
Augenlicht hatte er vor vielen, vielen Jahren in einem Kampf
verloren.
„Ein böses Wesen? Kannst du es mir
beschreiben?“
Der Junge schluchzte noch immer und wischte sich die Tränen mit seinem Ärmel ab. Es dauerte einen Moment lang bis er seinem Großvater antworten konnte. „Jemand nannte sie eine Janama. Sie sieht aus wie eine Frau, hat aber Ohren und den Schwanz eines Fuchses!“
Der Junge schluchzte noch immer und wischte sich die Tränen mit seinem Ärmel ab. Es dauerte einen Moment lang bis er seinem Großvater antworten konnte. „Jemand nannte sie eine Janama. Sie sieht aus wie eine Frau, hat aber Ohren und den Schwanz eines Fuchses!“
Die Muskeln des alten Mannes
versteiften sich, seine buschigen Brauen zogen sich zur Mitte seiner
Stirn hin zusammen. Er sagte nichts.
„Großvater, was ist eine Janama?“
Feste schlossen sich seine Finger um
den knorrigen Gehstock. Er verlagerte das Gewicht auf seinem Stuhl
und lehnte sich ein kleines Stück zurück.
„Eine Janama ist ein Geisterwesen.
Eine erloschene Seele, die zurück in unsere Welt gesandt wurde.
Und zwar von niemand geringerem als von
dem namenlosen Verderber höchst persönlich.“
Ben schnappte nach Luft und setzte sich
auf den Hosenboden, seine Beine zitterten wie kahle Äste im Wind.
Der namenlose Verderber war der Herrscher der Finsternis, der dort
lebte, wo kein Sonnenstrahl die Welt mehr erhellte. Jede böse Seele,
welcher der Zutritt in das Paradies des Schöpfers verwehrt war,
stürzte in sein dunkles Reich, um dort bis ans Ende der Zeit Buße
zu tun.
Vielleicht hatte er einst einen Namen besessen, doch die Menschen glaubten, wenn sie ihn nannten, würde er sie hören und seinen kalten Blick auf sie richten.
Vielleicht hatte er einst einen Namen besessen, doch die Menschen glaubten, wenn sie ihn nannten, würde er sie hören und seinen kalten Blick auf sie richten.
Der Großvater senkte den Kopf, zu der
Stelle wo er den hektischen Atem seines Enkelsohnes vernahm und fuhr
mit seiner Erzählung fort.
„Sehr, sehr böse Menschen, die in
ihrem Leben viele schreckliche Dinge getan haben, und nicht bereit
sind Buße für all ihre Sünden zu tun, werden vom namenlosen
Verderber auserwählt.
Er schickt sie wieder zurück in unsere
Welt, damit sie fürchterliche Taten in seinem Namen verrichten. Wenn
die Seele zurück kommt, übernimmt sie den Körper eines Tieres.
Daher ihr Äußeres.“ Er ließ einen kurzen Moment verstreichen
bevor er seine Geschichte weiter erzählte.
„Diese Seelen nennt man Janama. Glaub
niemals ihren Lügen, oft tun sie so, als wollten sie dir helfen. In
Wirklichkeit aber wollen sie deine Seele verführen und dann wird sie
dem Verderber gehören. Auf ewig.“
Zitternd hob der alte Mann seinen
Zeigefinger, und schaute hinab auf seinen Enkelsohn, welcher sich
noch immer an seiner Kleidung festklammerte, als wäre es sein
letzter Halt. Seine matten Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen
und er verfiel in einen Flüsterton.
„Diese Geisterwesen, diese Dämonen,
gehören wieder dahin, woher sie kamen. In die alles verschlingende
Finsternis.“
Ben kam innerhalb von einem
Wimpernschlag wieder auf die Beine und starrte seinen Großvater aus
weit aufgerissenen Augen an. Seine kleinen Hände, die sich zu
Fäusten verkrampft hatten, begannen zu zittern. „Heißt das man
muss sie töten?“
Ein Kopfschütteln begleitete die
Antwort, welche der kleine Junge bekam. „Man kann nichts töten,
was eigentlich schon tot ist, mein Junge. Dieses Wesen muss in die
Finsternis gesandt werden. Mit Gebeten.“
„Aber wird dann auch Marlie wieder
wach?“ Traurig bedachte sein Großvater ihn mit seinen blinden
Augen, diese Frage konnte er seinem Jungen nicht beantworten, er
wusste es nicht, und falsche Hoffnungen wollte er nicht nähren.
Ein frischer Lufthauch wehte in die
kleine, gemütliche Behausung und ließ den Duft des späten Herbstes
hinein. Kaum bemerkte der Blinde das Licht der geöffneten Tür,
schob sich ein Schatten davor. Das Schluchzen seines Enkelsohnes
erlosch.
Eine feste Männerstimme erklang.
„Vater? Wir brauchen den Rat der Ältesten.“
„Ben hat mir bereits erzählt, dass
wir unbeliebten Besuch bekommen haben“, seufzend erhob sich der
alte Mann und strich dabei über den blonden Schopf seines Erben.
„Bleib hier und warte auf uns. Es kann spät werden, nimm dir ruhig
etwas von der Suppe.“
Bens Vater stützte den alten Mann, um
ihn durch die Straßen zu führen. Der Junge wusste wohin sie gehen
würden, zu dem Haus der Ältesten. Wenn es etwas zu besprechen gab,
versammelten sich dort die weisesten Männer des Dorfes, vor denen
jeder Respekt zollte.
Ben wartete bis die
beiden den Pfad vom Haus verlassen hatten, und hinter einer
Häuserecke verschwunden waren. Erst dann rannte er, wie von einer
Biene gestochen, aus der Wohnstube. Ein paar Mal wäre er fast
gestürzt, so eilig hatte er es. Genau wusste er wo er seine Freunde
finden würde, auch ihre Väter hatten sich, mit Heugabeln bewaffnet,
dem bösen Geist gestellt.
So wie die Ältesten ihr
Haus hatten, hatten die Kinder des Dorfes die Scheune des Schafhirten
um sich zu treffen. Wie erwartet waren alle seine Freunde schon da,
und redeten wild durcheinander. Bis Ben auf die Gruppe von sechs
Kindern zu rannte und dabei schnaufte, als wäre er dreimal um das
gesamte Dorf geflitzt.
Jeder schwieg still und
taxierte ihn mit Blicken, Bens Großvater war der Älteste überhaupt,
also wusste auch Ben meist schon mehr als alle anderen wenn es
Neuigkeiten gab.
Die sechs Kinder saßen
im Kreis, vier Jungs und zwei Mädchen, Ben fiel vor ihnen auf dem
weichen Heu auf die Knie und ließ sich selbst nicht einmal Zeit
wieder zu Atem zu kommen.
„Ich habe das
Geisterwesen gesehen! Es war eine Janama, sagt Großvater.“
Die anderen Kinder
bekamen große Augen, eines der Mädchen mit rot gelocktem Haar,
presste sich beide Hände auf die Brust und beugte sich vor. „Du
hast schon mit deinem Großvater gesprochen, und das Wesen selbst
gesehen?“
Die Worte sprudelten aus
Bens Mund so schnell hervor, dass seine Freunde ihn manches Mal
bremsen mussten, um überhaupt mit zu kommen. Er erzählte ihnen
alles was sein Großvater ihm gesagt hatte, natürlich wurden hier
und da einige Kleinigkeiten noch mehr in den Vordergrund gehoben oder
dramatisiert, damit er vor unsäglichem Wissen nur so strotzte.
Das Mädchen mit den
roten Locken brach in Tränen aus als es hörte dass ihre beste
Freundin Marlie wohl tot sei. Die Kinder brüllten wild durcheinander
und wollten Rache für ihre Freundin nehmen.
Erwachsene mussten alles
immer erst Stunde um Stunde beratschlagen, wer wusste ob sich die
Gesandte des namenlosen Verderber bis dahin nicht die Freiheit
ergaunert hatte, und bereits auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer
war.
So beschlossen die Kinder
selbst zu handeln, sie stachelten sich mit ihren Zwischenrufen immer
weiter auf, und jeder fühlte sich noch heldenhafter bei all den
Drohungen welche sie gegen das Geisterwesen aussprachen.
Eines der Kinder hatte
sogar gesehen, wohin man das Wesen der Finsternis gebracht hatte, nun
stand ihnen nichts mehr im Weg.
Es stank nach fauligem
Heu, Urin und anderen Dingen die ihr in der Nase brannten. Bevor sie
wieder ganz bei Besinnung war, spürte sie bereits die entsetzlichen
Kopfschmerzen. Blitze zuckten durch ihren Schädel, sie fühlte sich
als sei ihr Kopf auf einem Igel gebettet worden.
Stöhnend rollte ihr Kopf
auf die Schulter. Xii schlug langsam ihre Augen auf.
Nach einer Weile klärte
sich ihr Blick, und sie konnte die Details ihrer Umgebung trotz der
Dunkelheit erkennen. Man musste sie in eine alte Scheune gebracht
haben, das Heu auf dem Boden war schon lange nicht mehr gewechselt
worden, und zwischen den Brettern, die das Vieh vor der Witterung
schützen sollte, klafften große Spalte. Hier und da hatte man
begonnen neuere Bretter über die großen Löcher zu nageln, aber
auch diese waren schon dabei morsch zu werden.
Ein Unterschlupf für
Tiere war dieser Platz schon eine Weile nicht mehr.
Xii wollte ihre Hand
heben, um sich den schmerzenden Kopf zu massieren, als sie sich
bewusst wurde, dass man ihre Handgelenke gefesselt hatte. Das leise
klirren von Ketten war zu hören, zudem waren ihre Finger taub, so
fest hatten sie die Fesseln gespannt.
Wütend bleckte sie ihre
Zähne und fauchte leise in die Dunkelheit hinein. Oft schon hatte
sie auf ihren Reisen Menschen getroffen, die sich vor der Magie
fürchteten, aber noch nie hatte man sie so behandelt. Vielleicht
auch, weil sie sich noch nie hatte fangen lassen.
Sie schalt sich selbst
einen Narren, überlistet worden zu sein, von einer Horde Bauern.
Feste schloss Xii die
Augen und atmete einige Male tief durch. In Gedanken hoffte sie, dass
diese Menschen zumindest dem Kind hatten helfen können.
Ihre tauben Hände
ballten sich zu Fäusten. Schon wieder hatte sie ihre Bestimmung
nicht gefunden, wo sie doch schon jahrelang auf der Suche war. Sie
wollte sie endlich finden, um schlafen zu können. Für immer. Ohne
all die Schreie, die qualvollen Gesichter und die Bilder welche sie
heimsuchten sobald sie die Augen schloss.
Langsam war sie müde all
der Reisen und der Suche. Der Suche nach Vergebung.
Bevor sie noch weiter in
ihre Gedanken eintauchen konnte, vernahm ihr feines Gehör das
Flüstern von mehreren Stimmen. Xii schlug ihre eisblauen Augen auf
und taxierte die Tür zu ihrem modrigen Gefängnis ganz genau.
In der einsetzenden
Abendsonne erkannte sie kleine Schatten die unter dem Türspalt
tanzten. Jemand wollte ihr wohl einen Besuch abstatten.
Der Türriegel knarzte
leise als jemand ihn aus den Angeln hob, noch viel lauter aber war
die Pforte selbst, als sie vorsichtig aufgeschoben wurde. Wütendes
Geflüster erfüllt die angespannte Atmosphäre.
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