Fuchsgeist Teil 2

Ihre Geduld hatte ein Ende gefunden. „Ihr müsst ihr helfen, ihr Mistkerle! Sie stirbt sonst!“
Eine Gruppe von drei weiteren Männern kam um eine Häuserwand geschossen, einer von ihnen riss die Augen vor Schreck weit auf.
„Marlie! Meine kleine Marlie! Dieser verdammte Dämon hat mein kleines Mädchen auf dem Gewissen!“
Xii stieß ein wütendes Knurren aus, ihre Oberlippe begann zu zucken und entblößte zwei spitze Eckzähne. Ihre eisblauen Augen richteten sich auf den Mann, welcher ganz offensichtlich ihr Vater zu sein schien.
„Noch lebt sie, bald aber aber nicht mehr wenn ihr dämlichen Narren weiter Löcher in die Luft starrt, statt sich um sie zu kümmern!“ In all ihrem Zorn merkte sie gar nicht, dass sich einer der Männer an ihr vorbei geschlichen hatte. Die Präsenz in ihrem Rücken spürte sie erst, als es bereits zu spät war.
Grelle Blitze explodierten vor ihrem inneren Auge und ein entsetzlicher Schmerz, in ihrem gesamten Kopf, war das letzte was Xii spürte, bevor die tröstende Finsternis sie empfing, und jegliches Leid von ihr nahm.
Sie merkte nicht, wie ihr schlaffer Körper zusammen sackte und man ihr das kleine Bündel aus den Armen riss, oder wie die Männer genau jenen bejubelten, der sich von hinten an sie heran geschlichen hatte, und sie nieder schlug.

Ganz vorsichtig hatte der kleine Junge um die Häuserecke gelugt und die Männer dabei beobachtet wie sie die Fremde mit festen Stricken knebelten und davon brachten. Sein Herz donnerte wild in seiner Brust, schließlich kannte er Marlie. Mit ihr hatte er oft gespielt, und da ihre Eltern viele Kühe hatten, brachte sie ihm immer ein Stück Käse mit. Er liebte Käse.
Der kleine Junge zog die Kordel, die seine Leinenhose auf den Hüften hielt, fester zu und rannte den Pfad hinab zu dem Haus in dem er aufgewachsen war.
Krachend schlug die morsche Holztür gegen die Lehmwand, dass man fast befürchten musste, sie würde aus den Angeln brechen.
„Großvater! Großvater!“ Der kleine Junge rannte durch die kleine Stube, die allein durch ein winzig kleines Fenster und das Feuer des Ofens erhellt wurde. Auf der Kochstelle stand ein verbeulter Kessel, in dem eine Gemüsesuppe für das kommende Mahl köchelte. Vor der Wärmequelle saß ein alter Mann, in einer Hand hielt er einen knorrigen Stab, welcher ihm als Stütze diente.
Sein Bart war um den Mund herum gelb gefärbt vom Pfeifenrauch und ragte ihm bis auf die Brust.
Müde hob er den Kopf, er war eingenickt gewesen, bis sein Enkel hineingestürmt kam.
Leise und rau erklang seine Stimme. „Ben, was machst du denn solch einen Lärm? Mein Gehör ist eines der wenigen Dinge, die das Alter mir noch nicht genommen hat.“
Der Junge sprang aufgeregt vor seinem Großvater herum und zog an dessen mitgenommenen Kleidern. „Großvater! Ein böses Wesen ist in unser Dorf gekommen! Es hat Marlie getötet!“ Die Stimme des Jungen zitterte, und brach schließlich bevor sein Körper unter heftigen Schluchzen erbebte. Tröstend legte sein Großvater ihm eine Hand auf den dunklen Schopf und runzelte die Stirn. Sein Blick ging ins Leere, denn sein Augenlicht hatte er vor vielen, vielen Jahren in einem Kampf verloren.
„Ein böses Wesen? Kannst du es mir beschreiben?“
Der Junge schluchzte noch immer und wischte sich die Tränen mit seinem Ärmel ab. Es dauerte einen Moment lang bis er seinem Großvater antworten konnte. „Jemand nannte sie eine Janama. Sie sieht aus wie eine Frau, hat aber Ohren und den Schwanz eines Fuchses!“
Die Muskeln des alten Mannes versteiften sich, seine buschigen Brauen zogen sich zur Mitte seiner Stirn hin zusammen. Er sagte nichts.
„Großvater, was ist eine Janama?“
Feste schlossen sich seine Finger um den knorrigen Gehstock. Er verlagerte das Gewicht auf seinem Stuhl und lehnte sich ein kleines Stück zurück.
„Eine Janama ist ein Geisterwesen. Eine erloschene Seele, die zurück in unsere Welt gesandt wurde.
Und zwar von niemand geringerem als von dem namenlosen Verderber höchst persönlich.“
Ben schnappte nach Luft und setzte sich auf den Hosenboden, seine Beine zitterten wie kahle Äste im Wind. Der namenlose Verderber war der Herrscher der Finsternis, der dort lebte, wo kein Sonnenstrahl die Welt mehr erhellte. Jede böse Seele, welcher der Zutritt in das Paradies des Schöpfers verwehrt war, stürzte in sein dunkles Reich, um dort bis ans Ende der Zeit Buße zu tun.
Vielleicht hatte er einst einen Namen besessen, doch die Menschen glaubten, wenn sie ihn nannten, würde er sie hören und seinen kalten Blick auf sie richten.
Der Großvater senkte den Kopf, zu der Stelle wo er den hektischen Atem seines Enkelsohnes vernahm und fuhr mit seiner Erzählung fort.
„Sehr, sehr böse Menschen, die in ihrem Leben viele schreckliche Dinge getan haben, und nicht bereit sind Buße für all ihre Sünden zu tun, werden vom namenlosen Verderber auserwählt.
Er schickt sie wieder zurück in unsere Welt, damit sie fürchterliche Taten in seinem Namen verrichten. Wenn die Seele zurück kommt, übernimmt sie den Körper eines Tieres. Daher ihr Äußeres.“ Er ließ einen kurzen Moment verstreichen bevor er seine Geschichte weiter erzählte.
„Diese Seelen nennt man Janama. Glaub niemals ihren Lügen, oft tun sie so, als wollten sie dir helfen. In Wirklichkeit aber wollen sie deine Seele verführen und dann wird sie dem Verderber gehören. Auf ewig.“
Zitternd hob der alte Mann seinen Zeigefinger, und schaute hinab auf seinen Enkelsohn, welcher sich noch immer an seiner Kleidung festklammerte, als wäre es sein letzter Halt. Seine matten Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und er verfiel in einen Flüsterton.
„Diese Geisterwesen, diese Dämonen, gehören wieder dahin, woher sie kamen. In die alles verschlingende Finsternis.“
Ben kam innerhalb von einem Wimpernschlag wieder auf die Beine und starrte seinen Großvater aus weit aufgerissenen Augen an. Seine kleinen Hände, die sich zu Fäusten verkrampft hatten, begannen zu zittern. „Heißt das man muss sie töten?“
Ein Kopfschütteln begleitete die Antwort, welche der kleine Junge bekam. „Man kann nichts töten, was eigentlich schon tot ist, mein Junge. Dieses Wesen muss in die Finsternis gesandt werden. Mit Gebeten.“
„Aber wird dann auch Marlie wieder wach?“ Traurig bedachte sein Großvater ihn mit seinen blinden Augen, diese Frage konnte er seinem Jungen nicht beantworten, er wusste es nicht, und falsche Hoffnungen wollte er nicht nähren.
Ein frischer Lufthauch wehte in die kleine, gemütliche Behausung und ließ den Duft des späten Herbstes hinein. Kaum bemerkte der Blinde das Licht der geöffneten Tür, schob sich ein Schatten davor. Das Schluchzen seines Enkelsohnes erlosch.
Eine feste Männerstimme erklang. „Vater? Wir brauchen den Rat der Ältesten.“
„Ben hat mir bereits erzählt, dass wir unbeliebten Besuch bekommen haben“, seufzend erhob sich der alte Mann und strich dabei über den blonden Schopf seines Erben. „Bleib hier und warte auf uns. Es kann spät werden, nimm dir ruhig etwas von der Suppe.“

Bens Vater stützte den alten Mann, um ihn durch die Straßen zu führen. Der Junge wusste wohin sie gehen würden, zu dem Haus der Ältesten. Wenn es etwas zu besprechen gab, versammelten sich dort die weisesten Männer des Dorfes, vor denen jeder Respekt zollte.
Ben wartete bis die beiden den Pfad vom Haus verlassen hatten, und hinter einer Häuserecke verschwunden waren. Erst dann rannte er, wie von einer Biene gestochen, aus der Wohnstube. Ein paar Mal wäre er fast gestürzt, so eilig hatte er es. Genau wusste er wo er seine Freunde finden würde, auch ihre Väter hatten sich, mit Heugabeln bewaffnet, dem bösen Geist gestellt.
So wie die Ältesten ihr Haus hatten, hatten die Kinder des Dorfes die Scheune des Schafhirten um sich zu treffen. Wie erwartet waren alle seine Freunde schon da, und redeten wild durcheinander. Bis Ben auf die Gruppe von sechs Kindern zu rannte und dabei schnaufte, als wäre er dreimal um das gesamte Dorf geflitzt.
Jeder schwieg still und taxierte ihn mit Blicken, Bens Großvater war der Älteste überhaupt, also wusste auch Ben meist schon mehr als alle anderen wenn es Neuigkeiten gab.
Die sechs Kinder saßen im Kreis, vier Jungs und zwei Mädchen, Ben fiel vor ihnen auf dem weichen Heu auf die Knie und ließ sich selbst nicht einmal Zeit wieder zu Atem zu kommen.
„Ich habe das Geisterwesen gesehen! Es war eine Janama, sagt Großvater.“
Die anderen Kinder bekamen große Augen, eines der Mädchen mit rot gelocktem Haar, presste sich beide Hände auf die Brust und beugte sich vor. „Du hast schon mit deinem Großvater gesprochen, und das Wesen selbst gesehen?“
Die Worte sprudelten aus Bens Mund so schnell hervor, dass seine Freunde ihn manches Mal bremsen mussten, um überhaupt mit zu kommen. Er erzählte ihnen alles was sein Großvater ihm gesagt hatte, natürlich wurden hier und da einige Kleinigkeiten noch mehr in den Vordergrund gehoben oder dramatisiert, damit er vor unsäglichem Wissen nur so strotzte.
Das Mädchen mit den roten Locken brach in Tränen aus als es hörte dass ihre beste Freundin Marlie wohl tot sei. Die Kinder brüllten wild durcheinander und wollten Rache für ihre Freundin nehmen.
Erwachsene mussten alles immer erst Stunde um Stunde beratschlagen, wer wusste ob sich die Gesandte des namenlosen Verderber bis dahin nicht die Freiheit ergaunert hatte, und bereits auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer war.
So beschlossen die Kinder selbst zu handeln, sie stachelten sich mit ihren Zwischenrufen immer weiter auf, und jeder fühlte sich noch heldenhafter bei all den Drohungen welche sie gegen das Geisterwesen aussprachen.
Eines der Kinder hatte sogar gesehen, wohin man das Wesen der Finsternis gebracht hatte, nun stand ihnen nichts mehr im Weg.

Es stank nach fauligem Heu, Urin und anderen Dingen die ihr in der Nase brannten. Bevor sie wieder ganz bei Besinnung war, spürte sie bereits die entsetzlichen Kopfschmerzen. Blitze zuckten durch ihren Schädel, sie fühlte sich als sei ihr Kopf auf einem Igel gebettet worden.
Stöhnend rollte ihr Kopf auf die Schulter. Xii schlug langsam ihre Augen auf.
Nach einer Weile klärte sich ihr Blick, und sie konnte die Details ihrer Umgebung trotz der Dunkelheit erkennen. Man musste sie in eine alte Scheune gebracht haben, das Heu auf dem Boden war schon lange nicht mehr gewechselt worden, und zwischen den Brettern, die das Vieh vor der Witterung schützen sollte, klafften große Spalte. Hier und da hatte man begonnen neuere Bretter über die großen Löcher zu nageln, aber auch diese waren schon dabei morsch zu werden.
Ein Unterschlupf für Tiere war dieser Platz schon eine Weile nicht mehr.
Xii wollte ihre Hand heben, um sich den schmerzenden Kopf zu massieren, als sie sich bewusst wurde, dass man ihre Handgelenke gefesselt hatte. Das leise klirren von Ketten war zu hören, zudem waren ihre Finger taub, so fest hatten sie die Fesseln gespannt.
Wütend bleckte sie ihre Zähne und fauchte leise in die Dunkelheit hinein. Oft schon hatte sie auf ihren Reisen Menschen getroffen, die sich vor der Magie fürchteten, aber noch nie hatte man sie so behandelt. Vielleicht auch, weil sie sich noch nie hatte fangen lassen.
Sie schalt sich selbst einen Narren, überlistet worden zu sein, von einer Horde Bauern.
Feste schloss Xii die Augen und atmete einige Male tief durch. In Gedanken hoffte sie, dass diese Menschen zumindest dem Kind hatten helfen können.
Ihre tauben Hände ballten sich zu Fäusten. Schon wieder hatte sie ihre Bestimmung nicht gefunden, wo sie doch schon jahrelang auf der Suche war. Sie wollte sie endlich finden, um schlafen zu können. Für immer. Ohne all die Schreie, die qualvollen Gesichter und die Bilder welche sie heimsuchten sobald sie die Augen schloss.
Langsam war sie müde all der Reisen und der Suche. Der Suche nach Vergebung.
Bevor sie noch weiter in ihre Gedanken eintauchen konnte, vernahm ihr feines Gehör das Flüstern von mehreren Stimmen. Xii schlug ihre eisblauen Augen auf und taxierte die Tür zu ihrem modrigen Gefängnis ganz genau.
In der einsetzenden Abendsonne erkannte sie kleine Schatten die unter dem Türspalt tanzten. Jemand wollte ihr wohl einen Besuch abstatten.
Der Türriegel knarzte leise als jemand ihn aus den Angeln hob, noch viel lauter aber war die Pforte selbst, als sie vorsichtig aufgeschoben wurde. Wütendes Geflüster erfüllt die angespannte Atmosphäre.

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