Fuchsgeist Teil 1

Fuchsgeist


Die Jahre kamen, zogen an ihr vorüber, allein um den Zweck zu verfolgen, als verlorene Zeit zu vergehen. Ohne dass etwas blieb. Ohne dass sie ihre Bestimmung gefunden hatte.
Wärmende Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach und ein Windhauch trug den Duft des frühen Herbstes mit sich.
Das Grün der Bäume, wich bereits einer bunten Farbenpracht, von Rot und Brauntönen.
Ein Eichhörnchen, die Backen vollgestopft mit Nüssen, sprang vor ihre Füße und erstarrte. Es blickte hinauf, zuckte nervös mit seinem buschigen Schwanz, und rannte im nächsten Augenblick so schnell es konnte fort. Als fürchte es, jemand könnte ihm seine Ausbeute streitig machen.
Sie lächelte.
Sehnsucht kam abermals in ihr auf, ein Leben zu führen, welches so unbekümmert war, wie das der Wesen in diesem Wald. Aber so würde es niemals sein. Nie wieder. Sie hatte ihre Gelegenheit vertan.
Ein einzelnes Blatt löste seine Verbindung zu dem Baum, an welchem es gehangen hatte, und fiel in kleinen Kreisen hinab. Es landete auf ihrer schwarzen Nasenspitze.
Viel zu sehr war sie in ihren Gedanken versunken, als dass ihr der Geruch aufgefallen wäre. Der Geruch eines Menschen.

Ein junges Mädchen, vielleicht erst sieben Sommer alt, gefror auf dem schmalen Waldpfad, den sie entlang gegangen war. Vor ihrem Bauch trug sie mit beiden Armen einen Weidenkorb, gefüllt mit
Pilzen die sie seit dem Morgen gesammelt hatte.
Ihre braunen Augen waren weit aufgerissen, als sie die Gestalt am Wegesrand erblickt hatte. Ein Fuchs, so groß wie ein Wolf, stand zwischen den kniehohen Farnen und drehte langsam den Kopf zu ihr.
Das Fell war so leuchtend Orange, dass es nicht natürlich wirkte. Doch waren es viel mehr die Augen, kalt wie Eis, die ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagten.
Sie waren so klar, als würde das Wesen ihr direkt in die Seele starren. Schon oft hatte sie Füchse in diesen Wäldern gesehen, daher war sie sich sicher, dies war kein Fuchs.
Die Lippen des Mädchens waren einen kleinen Spalt geöffnet und ihr Kinn begann vor Furcht zu zittern.
Langsam trat der Fuchs einen Schritt vor, ohne sie aus den Augen zu lassen. Endlich erinnerte sich das Mädchen wieder, wofür ihr der große Schöpfer ihre Beine gegeben hatte.
Sie stieß einen gellenden Schrei aus und ließ den Weidenkorb mit den Pilzen fallen. Ihre blonden Zöpfe, die sie sich zu beiden Seiten des Kopfes geflochten hatte, peitschten hinter ihr her, als sie den Waldpfad entlang rannte.
Die Füchsin atmete tief ein, und schüttelte den Kopf. Die Menschen abseits der größeren Städte, fürchteten sich vor allem. Sogar vor ihrem eigenen Schatten, wenn gerade nicht geeigneteres in der Nähe war.
Sie drehte sich um, wollte ihrer Wege gehen und weiter ziehen. Plötzlich übertönte ein Kreischen die friedliche Stille des Waldes. Ein paar Vögel schreckten auf und flatternden davon.
Ihre Ohren zuckten als ein verzweifelte Rufen sie erreichte. Ohne zu zögern, sprintete sie los, in die Richtung, in welche das Mädchen gelaufen war.
Schnell wurden die Hilferufe immer lauter, weit konnte es nicht mehr sein.
Die Füchsin gelangte, hinter einem dichten Gestrüpp aus allerlei Schlingpflanzen, an eine Böschung die sich ein paar wenige Meter in die Tiefe verlor.
Unter ihr befand sich ein See, in welchen das Mädchen bei ihrer Flucht gestürzt war. Die Hilferufe waren verstummt, die Füchsin kniff die Augen zusammen und erkannte einen Arm, der aus dem Wasser auftauchte und ins Leere griff, bevor er wieder zwischen all den Seerosenblättern verschwand.
Sie ging rasch ein paar Schritte rückwärts, nahm Anlauf und sprang ohne zu zögern hinab in die Tiefe.
Das Wasser empfing sie mit eisiger Kälte, doch sie ließ sich nicht beirren. Unter der Wasseroberfläche riss sie ihre Augen auf, suchte nach den blonden Zöpfen, oder dem gelben Kleid welches das Kind getragen hatte.
Mit allen vier Pfoten strampelte sie durch das kalte Nass. Sekunden wirkten wie eine Ewigkeit, bis sie endlich einen Arm vor sich im schummrigen Licht erkennen konnte. Mit ihren Zähnen schnappte sie sich einen Ärmel des Kleides und zog das leblose Mädchen an den Rand des sonst so idyllisch wirkenden Sees.
Ihr nasses Fell zog schwer an ihr, es kostete sie einige Mühe an dem glitschigem Gras des Ufers Halt zu finden. Als sie es endlich vollbracht hatte, geriet ihr Herz ins Stocken. Das Mädchen atmete nicht mehr.
Ein bläulicher Nebel bildete sich um die Füchsin, hüllte ihren gesamten Körper ein und in den schemenhaften Umrissen ließ sich erkennen wie sich die Gestalt zu verändern begann.
Aus Läufen wurden Arme und Beine, und aus der Tiergestalt wurde die eines Menschen. Nicht jedes Merkmal verschwand mit ihrer schnellen Verwandlung. Der bläuliche Nebel verzog sich so rasch wie er gekommen war und offenbarte etwas das weder Tier, noch Mensch war.
Arme und Beine waren bis zu den Ellenbogen und Knien mit schwarzem Fell bedeckt. Mitten auf ihrem Haupt, ragten die zwei Fuchsohren hinaus, umrahmt von schwarzem Haar, dessen Enden in ein leuchtendes Rot verliefen. Sogar der buschig, weiche Schwanz war ihr geblieben.
In ihrem menschlich wirkenden Gesicht trug sie rote Male auf Wangen und ihrer Stirn. Den Leib verhüllte spärliche Kleidung aus weichem Leder. Geschmückt mit dünnen Bändern und bunten Federn.
Neben dem leblosen Mädchen fiel sie auf die Knie, beugte sich über sie, und legte beide Hände auf ihre Brust. Immer und immer wieder stemmte sie sich auf den zierlichen Körper und betete im Stillen, dass es ihr gelingen sollte das Kind zurück ins Leben zu holen.
Wieder schien die Zeit still zu stehen während sie ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel schickte. Dabei sollte sie es doch am besten wissen, dass es selten vorkam, dass sie erhört wurden.
Nicht so aber an diesem Tage.
Ein Schwall Wasser sprudelte zwischen den Lippen des Kindes hervor und sie hustete heftig. Jemand setzte sie auf, strich ihr behutsam die nassen Strähnen ihres Haares von der Stirn und sprach beruhigend auf sie ein. „Gut so. Atme.“
Schwer hoben sich die Lider des Mädchens an, es brauchte einen Augenblick bis sich ihr trüber Blick geklärt hatte.
Auf dem Gesicht einer fremden Frau, die ihr einen Arm unter den Rücken geschoben hatte um sie zu stützen, lag ein freundliches Lächeln. Sie erkannte die eisigen, blauen Augen wieder, aber dieses Mal erfüllte es sie nicht mit Angst.
Leise ertönte ihre röchelnde Stimme. „Wer... seid Ihr? Ihr habt... mir das Leben...“, ihre Worte brachen ab, als sie neuerlich zu husten begann.
„Ruhig. Schon dich.“
Das Mädchen reckte einen Arm in die Höhe, um nach dem Gesicht der Fremden zu greifen, leise flüsterte sie dabei ihre Frage. „Euren Namen...?“
„Ich heiße Xii. Und nun schweig besser still. Du brauchst deine Kraft.“ Kaum verließ die letzte Silbe ihre Lippen, da begann der Körper des Kindes zu zittern und ihre Augen verdrehten sich so weit, dass nur noch das Weiß darin zu erkennen war.
Einen Augenblick später erschlaffte der kleine Leib in ihren Armen. Xii weitete die Augen und rüttelte das kleine Bündel durch. „He! Wach auf!“
Ganz dicht brachte sie ihr Ohr an den Mund des Mädchens und starrte dabei auf ihren Brustkorb. Sie spürte einen feinen Lufthauch, und erkannte eine schwache Bewegung. Sie lebte noch, aber wer wusste wie lange.
Xii war keine Heilerin, jemand musste dem Kind helfen. Sie erinnerte sich an ein kleines Dorf, welches sie großzügig umgangen hatte, nicht weit von diesem Ort entfernt. Vielleicht wohnte das Mädchen dort und die Menschen würden ihr helfen.
Das kleine Bündel in den Armen tragend, eilte Xii so schnell sie konnte durch das Unterholz des dichten Waldes. In ihrer Fuchsgestalt wäre sie mit Sicherheit um einiges schneller gewesen, aber wie sollte sie so das Mädchen tragen? Immer wieder senkte sie ihren sorgenvollen Blick, um sicher zu gehen, dass das Kind noch atmete. Noch war nichts verloren, aber das Leben in ihren Armen wurde von Augenblick zu Augenblick immer schwächer.
Die Äste vor ihr lichteten sich, gaben den Weg mehr und mehr frei, bis sie endlich zwischen den letzten Baumreihen, freies Feld erblickte.
Schnell, wie kein Mensch zu sein vermochte, brach sie durch das Unterholz und rannte über das saftig, grüne Weideland. Deutlich konnte sie vor sich bereits die kleinen Hütten des Dorfes erkennen.
Zäune aus Holz, mehr provisorisch auf die Schnelle errichtet, hielten Kühe, Schweine und Schafe im Zaum. Lediglich die Hühner besaßen die Freiheit sich am Tag in den kleinen Straßen frei zu bewegen.
Ein Bauer, wohlgenährt und leicht untersetzt, hockte auf einem kleinen Schemel auf der Kuhweide und molk eines der Tiere. Als er merkte, dass die Tiere unruhig wurden, blickte er suchend umher. Was hatten sie gesehen? Er musste nicht lange suchen um sie zu erblicken.
Langsam erhob er sich von seinem Hocker, verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen um die Gestalt besser erkennen zu können und hob die Krempe seines Hutes etwas an.
Mit einem Mal stieß er einen lauten Schrei aus, taumelte nach hinten und stürzte über den kleinen Hocker. Unsanft landete er im Gras, die Kuh, welche er eben noch gemolken hatte, erschrak und trat mit beiden Hinterläufen aus. Sie sah lieber zu, dass sie sich in den Schutz ihrer Herde begab und trottete davon.
Auch der Bauer kämpfte sich schwer wieder auf und rannte die wenigen Meter zurück in das Dorf. Mit beiden Armen gestikulierte er wild, während er den verdutzt dreinblickenden Mitbürgern zubrüllte, dass ein Dämon auf das Dorf zugerannt kam.
Sofort brach blanke Panik unter den Dörflern aus, Frauen kreischten, holten ihre Männer herbei, die sich sogleich bewaffnen sollten.
Xii hatte die ersten Häuser erreicht, laut schlugen die Verängstigten die Türen vor ihrer Nase zu, Fensterläden wurden von innen verriegelt, und jeder der sie erblickte, suchte sein Heil in der Flucht.
„So wartet doch! Ihr müsst dem Kind helfen! Bitte. Sie ist im Wald in einen See gestürzt.“
Verzweifelt rannte sie weiter, rief den Leuten zu dass sie stehen bleiben sollten, doch niemand hörte auf ihre Worte.
Plötzlich kam aus einer Gasse eine Gruppe von Männern angerannt. Stämmige, dürre, junge und alte, alle nahmen sie mit erhobenen Heugabeln, Sensen, Äxten, oder was man sonst auf die Schnelle gefunden hatte, Stellung vor dem vermeintlichen Dämon auf.
Xii stockte als sie in die grimmigen Mienen schaute, ein ungutes Gefühl kroch in ihr hoch.
Einer der Männer, vielleicht hatte er schon den fünfzigsten Sommer erlebt, zog scharf die Luft ein und trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. Dafür hob er seine Heugabel ein kleines Stück höher, als könnte er sich so besser für einem Angriff wappnen.
„Das ist kein Dämon ihr Narren. Es ist eines dieser Geisterwesen“, schnarrte er mit dunkler Stimme.
Vereinzelte Augenpaare starrten ihn aus dem Augenwinkel an, während sie warteten bis er seinen Satz vollendet hatte.
„Das ist eine Janama.“ Leicht verwirrt tauschten die Männer Blicke aus, bis sich einer von ihnen traute, leise seine Frage auszusprechen. „Ja und? Ist das nun besser oder schlechter für uns?“
Der alte Mann kam nicht dazu, die an ihn gerichtete Frage zu beantworten, da hob Xii das leblose Kind in ihren Armen an und ging einen Schritt auf die Männer zu.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen