Fuchsgeist
Die Jahre kamen, zogen an ihr vorüber,
allein um den Zweck zu verfolgen, als verlorene Zeit zu vergehen.
Ohne dass etwas blieb. Ohne dass sie ihre Bestimmung gefunden hatte.
Wärmende Sonnenstrahlen fielen durch
das Blätterdach und ein Windhauch trug den Duft des frühen Herbstes
mit sich.
Das Grün der Bäume, wich bereits
einer bunten Farbenpracht, von Rot und Brauntönen.
Ein Eichhörnchen, die Backen
vollgestopft mit Nüssen, sprang vor ihre Füße und erstarrte. Es
blickte hinauf, zuckte nervös mit seinem buschigen Schwanz, und
rannte im nächsten Augenblick so schnell es konnte fort. Als fürchte
es, jemand könnte ihm seine Ausbeute streitig machen.
Sie lächelte.
Sehnsucht kam abermals in ihr auf, ein
Leben zu führen, welches so unbekümmert war, wie das der Wesen in
diesem Wald. Aber so würde es niemals sein. Nie wieder. Sie hatte
ihre Gelegenheit vertan.
Ein einzelnes Blatt löste seine
Verbindung zu dem Baum, an welchem es gehangen hatte, und fiel in
kleinen Kreisen hinab. Es landete auf ihrer schwarzen Nasenspitze.
Viel zu sehr war sie in ihren Gedanken
versunken, als dass ihr der Geruch aufgefallen wäre. Der Geruch
eines Menschen.
Ein junges Mädchen, vielleicht erst
sieben Sommer alt, gefror auf dem schmalen Waldpfad, den sie entlang
gegangen war. Vor ihrem Bauch trug sie mit beiden Armen einen
Weidenkorb, gefüllt mit
Pilzen die sie seit dem Morgen
gesammelt hatte.
Ihre braunen Augen waren weit
aufgerissen, als sie die Gestalt am Wegesrand erblickt hatte. Ein
Fuchs, so groß wie ein Wolf, stand zwischen den kniehohen Farnen und
drehte langsam den Kopf zu ihr.
Das Fell war so leuchtend Orange, dass
es nicht natürlich wirkte. Doch waren es viel mehr die Augen, kalt
wie Eis, die ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagten.
Sie waren so klar, als würde das Wesen
ihr direkt in die Seele starren. Schon oft hatte sie Füchse in
diesen Wäldern gesehen, daher war sie sich sicher, dies war kein
Fuchs.
Die Lippen des Mädchens waren einen
kleinen Spalt geöffnet und ihr Kinn begann vor Furcht zu zittern.
Langsam trat der Fuchs einen Schritt
vor, ohne sie aus den Augen zu lassen. Endlich erinnerte sich das
Mädchen wieder, wofür ihr der große Schöpfer ihre Beine gegeben
hatte.
Sie stieß einen gellenden Schrei aus
und ließ den Weidenkorb mit den Pilzen fallen. Ihre blonden Zöpfe,
die sie sich zu beiden Seiten des Kopfes geflochten hatte, peitschten
hinter ihr her, als sie den Waldpfad entlang rannte.
Die Füchsin atmete tief ein, und
schüttelte den Kopf. Die Menschen abseits der größeren Städte,
fürchteten sich vor allem. Sogar vor ihrem eigenen Schatten, wenn
gerade nicht geeigneteres in der Nähe war.
Sie drehte sich um, wollte ihrer Wege
gehen und weiter ziehen. Plötzlich übertönte ein Kreischen die
friedliche Stille des Waldes. Ein paar Vögel schreckten auf und
flatternden davon.
Ihre Ohren zuckten als ein verzweifelte
Rufen sie erreichte. Ohne zu zögern, sprintete sie los, in die
Richtung, in welche das Mädchen gelaufen war.
Schnell wurden die Hilferufe immer
lauter, weit konnte es nicht mehr sein.
Die Füchsin gelangte, hinter einem
dichten Gestrüpp aus allerlei Schlingpflanzen, an eine Böschung die
sich ein paar wenige Meter in die Tiefe verlor.
Unter ihr befand sich ein See, in
welchen das Mädchen bei ihrer Flucht gestürzt war. Die Hilferufe
waren verstummt, die Füchsin kniff die Augen zusammen und erkannte
einen Arm, der aus dem Wasser auftauchte und ins Leere griff, bevor
er wieder zwischen all den Seerosenblättern verschwand.
Sie ging rasch ein paar Schritte
rückwärts, nahm Anlauf und sprang ohne zu zögern hinab in die
Tiefe.
Das Wasser empfing sie mit eisiger
Kälte, doch sie ließ sich nicht beirren. Unter der Wasseroberfläche
riss sie ihre Augen auf, suchte nach den blonden Zöpfen, oder dem
gelben Kleid welches das Kind getragen hatte.
Mit allen vier Pfoten strampelte sie
durch das kalte Nass. Sekunden wirkten wie eine Ewigkeit, bis sie
endlich einen Arm vor sich im schummrigen Licht erkennen konnte. Mit
ihren Zähnen schnappte sie sich einen Ärmel des Kleides und zog das
leblose Mädchen an den Rand des sonst so idyllisch wirkenden Sees.
Ihr nasses Fell zog schwer an ihr, es
kostete sie einige Mühe an dem glitschigem Gras des Ufers Halt zu
finden. Als sie es endlich vollbracht hatte, geriet ihr Herz ins
Stocken. Das Mädchen atmete nicht mehr.
Ein bläulicher Nebel bildete sich um
die Füchsin, hüllte ihren gesamten Körper ein und in den
schemenhaften Umrissen ließ sich erkennen wie sich die Gestalt zu
verändern begann.
Aus Läufen wurden Arme und Beine, und
aus der Tiergestalt wurde die eines Menschen. Nicht jedes Merkmal
verschwand mit ihrer schnellen Verwandlung. Der bläuliche Nebel
verzog sich so rasch wie er gekommen war und offenbarte etwas das
weder Tier, noch Mensch war.
Arme und Beine waren bis zu den
Ellenbogen und Knien mit schwarzem Fell bedeckt. Mitten auf ihrem
Haupt, ragten die zwei Fuchsohren hinaus, umrahmt von schwarzem Haar,
dessen Enden in ein leuchtendes Rot verliefen. Sogar der buschig,
weiche Schwanz war ihr geblieben.
In ihrem menschlich wirkenden Gesicht
trug sie rote Male auf Wangen und ihrer Stirn. Den Leib verhüllte
spärliche Kleidung aus weichem Leder. Geschmückt mit dünnen
Bändern und bunten Federn.
Neben dem leblosen Mädchen fiel sie
auf die Knie, beugte sich über sie, und legte beide Hände auf ihre
Brust. Immer und immer wieder stemmte sie sich auf den zierlichen
Körper und betete im Stillen, dass es ihr gelingen sollte das Kind
zurück ins Leben zu holen.
Wieder schien die Zeit still zu stehen
während sie ein Stoßgebet nach dem anderen gen Himmel schickte.
Dabei sollte sie es doch am besten wissen, dass es selten vorkam,
dass sie erhört wurden.
Nicht so aber an diesem Tage.
Ein Schwall Wasser sprudelte zwischen
den Lippen des Kindes hervor und sie hustete heftig. Jemand setzte
sie auf, strich ihr behutsam die nassen Strähnen ihres Haares von
der Stirn und sprach beruhigend auf sie ein. „Gut so. Atme.“
Schwer hoben sich die Lider des
Mädchens an, es brauchte einen Augenblick bis sich ihr trüber Blick
geklärt hatte.
Auf dem Gesicht einer fremden Frau, die
ihr einen Arm unter den Rücken geschoben hatte um sie zu stützen,
lag ein freundliches Lächeln. Sie erkannte die eisigen, blauen Augen
wieder, aber dieses Mal erfüllte es sie nicht mit Angst.
Leise ertönte ihre röchelnde Stimme.
„Wer... seid Ihr? Ihr habt... mir das Leben...“, ihre Worte
brachen ab, als sie neuerlich zu husten begann.
„Ruhig. Schon dich.“
Das Mädchen reckte einen Arm in die
Höhe, um nach dem Gesicht der Fremden zu greifen, leise flüsterte
sie dabei ihre Frage. „Euren Namen...?“
„Ich heiße Xii. Und nun schweig
besser still. Du brauchst deine Kraft.“ Kaum verließ die letzte
Silbe ihre Lippen, da begann der Körper des Kindes zu zittern und
ihre Augen verdrehten sich so weit, dass nur noch das Weiß darin zu
erkennen war.
Einen Augenblick später erschlaffte
der kleine Leib in ihren Armen. Xii weitete die Augen und rüttelte
das kleine Bündel durch. „He! Wach auf!“
Ganz dicht brachte sie ihr Ohr an den
Mund des Mädchens und starrte dabei auf ihren Brustkorb. Sie spürte
einen feinen Lufthauch, und erkannte eine schwache Bewegung. Sie
lebte noch, aber wer wusste wie lange.
Xii war keine Heilerin, jemand musste
dem Kind helfen. Sie erinnerte sich an ein kleines Dorf, welches sie
großzügig umgangen hatte, nicht weit von diesem Ort entfernt.
Vielleicht wohnte das Mädchen dort und die Menschen würden ihr
helfen.
Das kleine Bündel in den Armen
tragend, eilte Xii so schnell sie konnte durch das Unterholz des
dichten Waldes. In ihrer Fuchsgestalt wäre sie mit Sicherheit um
einiges schneller gewesen, aber wie sollte sie so das Mädchen
tragen? Immer wieder senkte sie ihren sorgenvollen Blick, um sicher
zu gehen, dass das Kind noch atmete. Noch war nichts verloren, aber
das Leben in ihren Armen wurde von Augenblick zu Augenblick immer
schwächer.
Die Äste vor ihr lichteten sich, gaben
den Weg mehr und mehr frei, bis sie endlich zwischen den letzten
Baumreihen, freies Feld erblickte.
Schnell, wie kein Mensch zu sein
vermochte, brach sie durch das Unterholz und rannte über das saftig,
grüne Weideland. Deutlich konnte sie vor sich bereits die kleinen
Hütten des Dorfes erkennen.
Zäune aus Holz, mehr provisorisch auf
die Schnelle errichtet, hielten Kühe, Schweine und Schafe im Zaum.
Lediglich die Hühner besaßen die Freiheit sich am Tag in den
kleinen Straßen frei zu bewegen.
Ein Bauer, wohlgenährt und leicht
untersetzt, hockte auf einem kleinen Schemel auf der Kuhweide und
molk eines der Tiere. Als er merkte, dass die Tiere unruhig wurden,
blickte er suchend umher. Was hatten sie gesehen? Er musste nicht
lange suchen um sie zu erblicken.
Langsam erhob er sich von seinem
Hocker, verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen um die Gestalt
besser erkennen zu können und hob die Krempe seines Hutes etwas an.
Mit einem Mal stieß er einen lauten
Schrei aus, taumelte nach hinten und stürzte über den kleinen
Hocker. Unsanft landete er im Gras, die Kuh, welche er eben noch
gemolken hatte, erschrak und trat mit beiden Hinterläufen aus. Sie
sah lieber zu, dass sie sich in den Schutz ihrer Herde begab und
trottete davon.
Auch
der Bauer kämpfte sich schwer wieder auf und rannte die
wenigen Meter zurück in das Dorf. Mit beiden Armen gestikulierte er
wild, während er den verdutzt dreinblickenden Mitbürgern zubrüllte,
dass ein Dämon auf das Dorf zugerannt kam.
Sofort brach blanke Panik unter den
Dörflern aus, Frauen kreischten, holten ihre Männer herbei, die
sich sogleich bewaffnen sollten.
Xii hatte die ersten Häuser erreicht,
laut schlugen die Verängstigten die Türen vor ihrer Nase zu,
Fensterläden wurden von innen verriegelt, und jeder der sie
erblickte, suchte sein Heil in der Flucht.
„So wartet doch! Ihr müsst dem Kind
helfen! Bitte. Sie ist im Wald in einen See gestürzt.“
Verzweifelt rannte sie weiter, rief den
Leuten zu dass sie stehen bleiben sollten, doch niemand hörte auf
ihre Worte.
Plötzlich kam aus einer Gasse eine
Gruppe von Männern angerannt. Stämmige, dürre, junge und alte,
alle nahmen sie mit erhobenen Heugabeln, Sensen, Äxten, oder was man
sonst auf die Schnelle gefunden hatte, Stellung vor dem
vermeintlichen Dämon auf.
Xii stockte als sie in die grimmigen
Mienen schaute, ein ungutes Gefühl kroch in ihr hoch.
Einer der Männer, vielleicht hatte er
schon den fünfzigsten Sommer erlebt, zog scharf die Luft ein und
trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. Dafür hob er seine
Heugabel ein kleines Stück höher, als könnte er sich so besser für
einem Angriff wappnen.
„Das ist kein Dämon ihr Narren. Es
ist eines dieser Geisterwesen“, schnarrte er mit dunkler Stimme.
Vereinzelte Augenpaare starrten ihn aus
dem Augenwinkel an, während sie warteten bis er seinen Satz
vollendet hatte.
„Das ist eine Janama.“ Leicht
verwirrt tauschten die Männer Blicke aus, bis sich einer von ihnen
traute, leise seine Frage auszusprechen. „Ja und? Ist das nun
besser oder schlechter für uns?“
Der alte Mann kam nicht dazu, die an
ihn gerichtete Frage zu beantworten, da hob Xii das leblose Kind in
ihren Armen an und ging einen Schritt auf die Männer zu.
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