Fachidiot 7. Kapitel Teil 4

„Danke.“, hauchte sie ihm leise entgegen während sie ihre Hand auf seine Wange legte.
Langsam griff Philipp nach dem Rahmen seiner Brille, zog sie sich von der Nase, und legte sie vorsichtig zur Seite.
Lillys Finger strichen an seiner Schläfe entlang. „Ich habe es dich schon einmal gefragt, soll ich das wirklich nicht mal heilen?“
Er grinste und schüttelte nur den Kopf. „Nicht nötig. Alles was mir nahe ist, kann ich klar und deutlich sehen.“
Die Ellydre verstand einfach nicht wieso er sich dagegen sträubte. Für ihn würde es doch eine Erleichterung sein, und für sie wären es höchstens ein paar Minuten die sie dafür von ihrer Lebenszeit hergeben musste.
Gedankenverloren grübelte sie noch darüber nach, als eine warme Hand ihre Wange berührte.
Bevor sie wusste wie ihr geschah, spürte sie seinen Kuss.
Ihr Herz machte einen Sprung, es klopfte wie wild. Sie schloss die Augen und legte beide Arme um seinen Hals. Es war so anders als damals im Krankenhaus, als er sich vor lauter überschwänglicher Freude ganz vergaß, und sie geküsst hatte. Bedeutend sanfter.
Viel zu früh lösten sich seine Lippen wieder, den Augenblick wollte sie lieber noch ein wenig auskosten. Nur ein klein wenig.
Bevor er sich auch nur einen Hauch von ihr entfernen konnte, reckte sie das Kinn vor und erhaschte wieder eine Lippen. Mit einem Mal war sein Kuss weniger zurückhaltend, ihr Kopf begann sich zu drehen, sie merkte gar nicht wie er seine Arme um ihren Rücken legte und sie langsam auf die weiche Matratze bettete.
Nur noch ein klein wenig sagte sie sich, wollte sie den Geschmack seiner Lippen bewahren, die tröstende Wärme seines Körpers dicht bei sich wissen und nur noch einen Augenblick lang all die Bilder des Tages vergessen.
Ganz kurz wollte sie noch sein weiches Haar zwischen ihren Fingern spüren, ganz kurz das Gefühl erfahren wie seine Hände über ihre Haut fuhren, verstehen woher dieses Kribbeln kam, und versuchen ihr pochendes Herz wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Ganz kurz, sich noch in der Woge verlieren die sein inniger werdender Kuss mit sich brachte. Nur einen kleinen Augenblick noch...
Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch das Dachfenster auf die kleine Galerie und begannen ihn durch die geschlossenen Lider zu wecken.
Philipp murrte und rieb sich müde die Augen ohne sie auch nur ein klein wenig zu öffnen. Er legte sich den Unterarm über die Stirn und rollte sich auf den Rücken. Das Gefühl seiner weichen Matratze war herrlich, genau das hatte er so vermisst.
Wieso hatte er das noch gleich vermisst? Lange musste er nicht überlegen, da fiel ihm ein wo er gestern noch gewesen war, und was er in der fremden Welt alles erlebt hatte.
Die Erinnerung des Abends verscheuchte die düsteren Bilder und ersetzten sie mit etwas viel schönerem, sogar ein leichtes Lächeln schlich sich auf seine Züge.
Träge rollte er auf die Seite und ließ die Hand über das zerwühlte Laken gleiten. Die Seite neben ihm war kalt und leer.
Als hätte man ihn mit einem Eimer Wasser übergossen, schreckte er hoch und war mit einem mal hell wach. Suchend schwenkte er den Kopf hin und her, beugte sich über die Bretter der Galerie und warf einen Blick nach unten, doch Lilly war nirgendwo zu sehen.
Unter einem genervten Stöhnen robbte er auf die Treppe zu und polterte hinunter, ihm fiel auf das der Stab Morendras und das Buch von Shorana fort waren.
„Ernsthaft jetzt?“ Wütend fuhr er sich durch sein Haar, ihm fiel auf dass das Fenster seines Zimmers offen stand. Skeptisch trat er vor und reckte den Kopf um einen Blick nach draußen zu werfen.
„Guten Morgen!“
Philipp kniff die Augen zusammen und beugte den Oberkörper weit aus dem Fenster, die Stimme hatte er schon mal erkannt, jetzt musste er das Fräulein nur noch finden um ihr die Ohren lang zu ziehen. Ein Kichern ließ seinen Blick höher wandern, irgendwas saß da im Walnussbaum vor seinem Fenster, das sie vielleicht von den Umrissen her hätte sein können.
„Was machst du denn da?“
„Ich konnte nicht mehr schlafen, da bin ich raus gegangen um dich nicht zu wecken. Erst habe ich dich eine ganze Weile lang beobachtet, aber ich dachte du könntest deshalb wütend werden.“
Lilly saß auf einem der breiten Äste und hatte sich den Stab Morendras über die Beine gelegt. Sie hielt das Buch von Shorana in die Höhe und winkte damit hin und her.
„Ich wollte gerade in dem Buch blättern. Da bist du schon aufgewacht.“
Philipp kratzte sich am Hinterkopf und fuhr sich mit der Hand durch sein Gesicht. „Warte da, ich komme raus.“ Wieder hörte er ein Kichern und Lilly trällerte ihm heiter entgegen.
„Vielleicht ziehst du dir zuvor aber eine Hose an. Ich meine, seit du an das Fenster getreten bist, kann ich nur noch deinen Nabel sehen, aber vorher...“
„Halt bloß den Mund! Du Früchtchen!“ Er knallte das Fenster zu und zog die Vorhänge zusammen. Erst dann musste er selbst ein wenig schmunzeln und schüttelte den Kopf.
Kleidung und Brille waren schnell zusammen gesucht, auf dem Weg nach unten kratzte er sich den Hinterkopf und geriet plötzlich ins stocken. Gestern hatte er dort noch eine dicke Beule gehabt, auch seine Kopfschmerzen waren fort.
Eilig hastete er an einen Spiegel der im Flur hing und betrachtete den Bereich seines Haaransatzes, die Wunde war ebenfalls verschwunden. Selbst die blauen Flecken die er davon getragen hatten, ließen sich nicht mehr finden. „Na warte...“
Wütend stapfte er hinaus in den Garten wo Lilly gerade von dem Baum hinunter geklettert kam und den Stab wie auch das Buch in weichen Gras ablegte.
„Erst schleichst du dich davon und dann ignorierst du auch noch was ich dir sage! Was denkst du dir eigentlich?“ Verwundert über seinen Zorn blieb die Ellydre wie angewurzelt stehen und legte nachdenklich den Kopf schief.
Ihre Lippen hatten noch keinen Ton von sich gegeben als Philipp seinen Zeigefinger auf ihre Nasenspitze drückte. „Tu nicht so! Du hast mich heimlich heute Nacht geheilt.“
Lillys Mundwinkel zuckten amüsiert. „Tut mir leid, ich war die ganze Nacht beschäftigt. Dazu wäre ich gar nicht gekommen.“
Philipp presste die Lippen feste zusammen als er sah wie sie mit einem Grinsen kämpfte. Er stellte sich wieder gerade hin und betastete seinen Kopf. „Aber alle meine Verletzungen sind weg.“
Lilly hob fragend die Schultern und verschränkte die Hände vor ihrem Schoß, ihre Augen richteten sich auf einen Grashalm vor seinen Füßen.
„Was ich dir nicht erzählt habe, wenn wir Ellydren älter werden, wird das Blut, welches in unseren Adern fließt, zu Harz. Dieses Harz wirkt wie ein Antibiotikum. Wir müssen also nicht immer Magie benutzen wenn wir heilen wollen.“
Genervt breitete Philipp die Arme aus und versuchte einen Blick in ihre Augen zu erhaschen, aber sie wich ihm immer wieder aus. „Und? Was soll mir das jetzt sagen? Ich erinnere mich nicht dein Blut getrunken zu haben.“
Lilly senkte den Kopf noch mehr, mit einem ihrer Füße zog sie einen Kreis auf dem Boden und schürzte die Lippen als sie wieder gegen ein Grinsen ankämpfte.
„Nein. Aber scheinbar, sind noch andere Dinge dazu in der Lage, zu heilen.“ Philipp zog die Stirn in tiefe Falten und hatte langsam genug von ihrem rumgedruckse, dann machte es auch bei ihm Klick.
Schweigen legte sich gefühlte Stunden zwischen sie während Philipp, eine durchaus gesunde, Gesichtsfarbe annahm.
Lilly lächelte ihn fast schüchtern an und zwickte ihn äußerst feste in den Bauch. „Fast hätte ich vergessen mich bei dir zu bedanken. Für deine Worte meine ich.“
Sie stellte sich wieder gerade hin und strahlte förmlich über das ganze Gesicht.
„Das du an mich glaubst, bedeutet mir mehr als du dir vorstellen kannst. Vorhin kam mir ein Gedanke, und ich wusste das ist der Weg den ich gehen möchte.“ Einen großen Schritt ging sie auf ihn zu und ballte beide Hände entschlossen zu Fäusten.
„Der Wunsch nach Frieden überall wird vielleicht auf ewig ein Traum bleiben. Aber nichts kann und wird mich davon abhalten einen friedlichen Platz zu schaffen für jeden der die selben Sehnsüchte hat wie ich. Woher man kommt, oder was man ist, soll dort keine Rolle spielen.“
Philipp riss die Brauen in die Höhe und schob seine Hände in die Hosentaschen.
„Du willst quasi, eine Art Zuflucht bauen? Habe ich das recht verstanden?“
Das Leuchten in ihren Augen nahm zu, sie nickte eifrig und ging aufgeregt einige Schritte auf und ab. „Noch weiß ich nicht wo, und wie ich das ganze bewerkstelligen soll, aber ich werde es tun.
Jeder der einen friedlichen Platz zum leben sucht, soll dort willkommen sein.
Vielleicht werde ich die Welt nicht für alle ändern können, auch wenn ich es gern möchte, dann aber für jeden der auf der Suche nach Frieden ist.“
„Ich will dich nicht bremsen, aber was ist mit den anderen. Du hast gesagt viele Ellydren wollen nicht das sich etwas ändert.“
Mit ihrem Zeigefinger deutete Lilly auf Morendras und grinste ihn frech an. „Ihn werde ich behalten. Morendras hat meine Bitten erhört, das können sie nicht ignorieren.
Der Legende nach soll Morendras jeden Herzenswunsch erfüllen, also wird er mir auch dabei helfen. Ganz sicher. Irgendwie werde ich damit fertig.“
Ihr Enthusiasmus brachte Philipp zum lächeln, sie schien sich wirklich an ihr Versprechen zu halten. Sie würde nicht aufgeben, das wusste er. „Du bist echt ein Sturkopf, und mittlerweile finde ich das auch gar nicht mehr so schlimm.“
Wie bei einem kleinen Hündchen tätschelte er ihren Kopf und lächelte schief.
„Jetzt muss ich erst einmal was richtiges zum Essen haben, und dann machen wir uns Gedanken wie wir dein Vorhaben in die Tat umsetzen.“ Seine Hand steckte er wieder zurück in die Hosentasche, dabei wandte er sich zum gehen ab und fügte noch ein paar Überlegungen an.
„Morgen ist Sonntag, ich werde meinen Eltern einfach sagen das wir einen Ausflug machen. Das sollte uns „Drüben“ ein paar Tage Zeit bringen, und dann müssen wir schauen... Bis zu meinen Semesterferien ist es noch etwas hin. Aber so lange können wir nicht warten, in deiner Welt würde zu viel Zeit vergehen.“
„Du wirst mich nicht wieder begleiten können Philipp.“
Ihre ruhigen, fast trockenen Worte trafen ihn wie einen Blitz. Seine Füße verharrten still, nur langsam gelang es ihm sich zu ihr herum zu drehen. „Was?“
Lilly stand nur einen Steinwurf weit entfernt, vollkommen ruhig, die Hände noch immer vor ihrem Schoß gefaltet, auf ihren Lippen lag der Hauch eines sanften Lächelns.
„Wenn ich gehe, dann allein.“
Ihr Herz krampfte sich zusammen als Philipp, sichtlich wütend wieder auf sie zu kam und direkt vor ihr stehen blieb.
„Das ist jetzt deine Art zu sagen das war´s?! Ist es das?“
Lillys Finger wurden weiß, so feste verschränkte sie diese ineinander. Leicht schüttelte sie den Kopf. „Philipp du hast hier deine Familie, Freunde, deine Vergangenheit, deine Pläne, deine Zukunft. Du kannst das nicht einfach alles wegwerfen.“
In einer herausfordernden Geste breitete er die Arme aus und legte den Kopf etwas schief. „Gar nichts wird hier weggeworfen. Immer wenn ich frei habe kann ich dich doch begleiten, wo soll das Problem liegen?“
Lilly warf einen Blick zurück auf den Stab Morendras, ihre Augen schlossen sich für einen kurzen Augenblick während sie tief Luft holte.
„Nur weil die Reise zwischen unseren Welten jetzt dreimal funktioniert hat, heißt das nicht, das ich Morendras beliebig oft darum bitten kann. Zumindest liegt das außerhalb meiner Vorstellungskraft.
Philipp, ich weiß ja nicht einmal mit Gewissheit ob ich wieder nach Hause zurück komme...“
Er fluchte innerlich, damals hatte er es besser gewusst. Die Mauer, welche er um sein Herz gebaut hatte, müsste noch viel stärker sein. So stark, das selbst er nicht mehr in der Lage gewesen wäre sie einzureißen. Seine eigene Dummheit schürte seinen Zorn, er fühlte sich wie der letzte Narr.
Lilly trat dicht an ihn heran und nahm vorsichtig seine Hand, eigentlich wollte er das sie ihm gar nicht mehr zu nahe kam, aber ein Blick in ihre Augen verriet ihm das auch sie nicht weniger litt als er in diesem Moment. Sie presste kurz die Lippen zusammen, es schien als müsste sie für ihre Worte, all ihren Mut mobilisieren.
„Vielleicht war es dumm, was gestern passiert ist. Aber ich bereue es nicht. Nicht einen Augenblick.
Ich will das du weißt, das ich nichts lieber erbitten würde als dass du mich auf meiner Reise begleitest. Das der Gedanke mich zerreißt dich nie wieder zu sehen.“
Sie schluckte hart und drückte seine Hand so fest das es fast schmerzte, aber sie wollte um nichts in der Welt wieder vor ihm Schwäche zeigen.
„Aber dein Platz ist hier. Ich kann dich dem nicht entreißen.
Denk doch nur an deine Eltern, wenn sie dich nie wieder sehen könnten, würde es ihnen das Herz brechen. Hier, in dieser Welt gibt es so Viele die dich lieben. Auf Dravasuum nur eine.“
Sie konnte in seinen Augen lesen, was er ihr sagen wollte, und klatschte ihm schnell die Hand auf den Mund um seine Lippen zu verschließen.

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