Philipps
Herz begann sich plötzlich schmerzhaft in seiner Brust zu verziehen.
Gefühle zu zeigen war noch nie sein Fall gewesen, jemandem nun
einfach sein gesamtes Leben und seine Empfindungen frei zu legen war
da nochmal was ganz anderes.
„Kannst
du es mir nicht einfach erzählen?“
Gedankenverloren
betastete er seine Schläfe und warf dabei einen Seitenblick aus dem
Fenster. Die Nacht war klar und überall strahlten erloschene Sterne
um die Wette.
Jemand
umfasste seine Hand, instinktiv zuckte er zusammen und entzog sie ihr
ruckartig.
Seine
Freundin aus einer anderen Welt sah ihn verwundert an. Nach einem
kurzen Augenblick streckte sie die Hand wieder aus und ergriff die
seine ganz behutsam.
Ihre
Augen leuchteten nach so langer Zeit, wieder völlig unbesonnen und
glücklich, als sich ein warmes Lächeln auf ihre Züge schlich.
„Nein.
Ich möchte es dir gerne zeigen. Zuerst war ich etwas überrascht
über deine Frage. Noch nie habe ich jemandem etwas mit meiner Seele
gezeigt.
Aber
wenn ich es mir genau überlege, würde ich sie vor niemandem lieber
offen legen als vor dir.“
Philipps
fühlte sich als würde sein Herz gleich kollabieren, so feste
donnerte es in seiner Brust. Die ganze Situation überrollte ihn
schutzlos, wollte sie ihm damit etwa was ganz bestimmtes sagen?
Aber
er wusste auch ganz genau das sie oft Dinge sehr merkwürdig
ausdrückte, weil sie es einfach nicht besser konnte.
Da
ihr Menschenfreund nicht antwortete, und sie stattdessen wie ein Reh
anstarrte das gerade in zwei grelle Scheinwerfer blickte, nahm Lilly
seine Hand und zog sie an sich heran.
Philipp
erwachte aus seiner Starre als seine Finger schon fast ihre Seele
berührten.
„Mo...
Moment mal! Ganz langsam! Ich weiß nicht ob das jetzt so eine gute
Idee ist. Und ob ich das überhaupt will.“
Lilly
beugte sich vor und stützte sich mit ihren Händen auf den Knien ab,
nachdenklich begutachtete sie den Boden.
„In
der Tat. Vielleicht sollten wir es nicht hier machen. Wir werden eine
Weile lang erstarren, das könnte bei der Rückkehr unbequem sein.
Komm, lass uns in dein Bett gehen!“
Ohne
auf eine Reaktion zu warten, tänzelte sie zu der kleinen Treppe,
welche zu der Galerie hinauf führte.
Philipp
sprang schon fast panisch auf und versuchte noch nach ihr zu greifen.
„Was? Mein Bett? Reden wir hier noch von diesem in die Seele
blicken, oder was? Außerdem, was soll das mit der Rückkehr? Sag
nicht wir reisen schon wieder durch irgendwelche Welten!“
Ihr
Kopf ragte über das Brett das zum Schutz angebracht worden war,
damit er beim schlafen nicht versehentlich in die Tiefe purzelte.
Ungeduldig winkte sie ihn zu sich hinauf.
„So
ein Quatsch! Wir bleiben hier, wieso sollten wir denn irgendwo hin
reisen?“
Wenn
sie glaubte, mit ihm irgendwelche Spielchen zu spielen, hatte sie
sich gewaltig geirrt. Fluchend kletterte er in Windeseile die kleine
Treppe hinauf, und deutete oben angekommen mit dem Zeigefinger auf
sie, während er in geduckter Haltung auf sie zu rauschte.
„Jetzt
hör mir mal zu! Ich weiß das du meine Fragen mit Absicht ignorierst
und so tust als ob du nicht verstehen würdest was ich dir sage, aber
so läuft das hier nicht Fräulein!“
Lilly
griff nach seinem Zeigefinger und zerrte ihn grinsend auf die weiche
Matratze. „Du musst keine Angst haben Philipp. Ich werde dir nicht
weh tun. Und wenn es irgendwas gibt was dir peinlich ist, verspreche
ich es nicht weiter zu erzählen.“
Direkt
vor ihr ließ er sich auf den Knien nieder und versuchte heimlich sie
mit seinem Blick zu töten, was leider nicht funktionierte. Grob
entriss er ihr seinen Zeigefinger.
„Darum
geht es doch gar nicht. Du hast selbst gesagt es ist etwas sehr
intimes! Schön für dich wenn du bereit bist mir alles von dir offen
zu legen, aber wer sagt denn das ich das selbe will?“
Die
Klarheit in ihren freundlichen Augen und ihren direkten Worten zogen
ihm den Boden unter den Füßen fort.
„Du
hast zu mir gesagt das es nichts zu bedeuten habe, als du mich im
Krankenhaus geküsst hast. Aber du hättest das sicher nicht getan
wenn du mich nicht zumindest ein wenig mögen würdest, richtig?“
Ihr Lächeln wurde breiter als sie keine Antwort bekam.
„Außerdem
hast du heute viel für mich riskiert und dich auf unserer Reise
immer für mich eingesetzt.
Sogar
als wir uns kaum kannten und ich mich als dein Gast eingeladen habe,
hast du alles für mich getan und immer dafür gesorgt das ich mich
wohl fühle.
Wie
ich dir für alles jemals danken soll, weiß ich noch nicht. Aber es
ist das mindeste dir mein volles Vertrauen entgegen zu bringen und
dir alles was ich habe offen zu legen.
Du
hast dabei nichts zu verlieren.“
Wieder
griff sie nach seiner Hand ohne den Blick von seinen starren Augen zu
nehmen. Er taxierte sie ganz genau während sein Verstand gerade ihr
Gesagtes verarbeitete. Ihre Worte berührten etwas in ihm, das er
sicher verschlossen geglaubt hatte, etwas dem niemand mehr zu nahe
kommen sollte. Seinem Herz. Das gefiel ihm ganz und gar nicht, und
doch wirkte nichts in diesem Moment falsch. Was diese Verbindung zu
bedeuten hatte, wusste er nicht, nur das es nicht unangenehm sein
könnte, diese Verbindung zu ihr zu haben.
Philipp
ließ schweigend zu das sie seine Hand an ihre Seele führte und eine
ihrer Hände darüber legte. „Fürchte dich nicht vor dem was du
siehst, dir kann kein Leid geschehen.“
Das
letzte was er sah, war wie sich ihre Augen schlossen.
Ein
angenehmes Prickeln kitzelte seine Handinnenfläche die auf dem
Bernstein unter ihrem Schlüsselbein auflag. Sanftes, grünes Licht
hüllte ihn ein, schien ihn an einen anderen Ort zu tragen.
Der
Geruch von Rauch stieg ihm in die Nase, wurde immer stärker, bis er
schließlich ein helles Leuchten inmitten des Grün wahrnahm.
Philipp
blinzelte einige Male und plötzlich befand er sich in einem
dichten Wald wieder. Die Bäume waren riesig, es war nicht
auszumachen wie weit sie in den Himmel hinauf ragten. Violette Pilze
wuchsen an den Stämmen der Bäume und strahlten ein sanftes Leuchten
aus. Von den Baumkronen hingen lange Lianen in die Tiefe die einige
Meter über ihm endeten. Obwohl es Nacht war, konnte er alles um sich
herum deutlich erkennen. Als sein Blick einen schmalen Pfad vor sich
verfolgte, wusste er auch weshalb.
Hungrig
fraß sich ein Feuer durch den dichten Wald und schlug seine Flammen
hoch hinaus. Schreie drangen an sein Ohr und wütende Rufe gellten
durch die Idylle.
Ohne
zu wissen wieso, rannte er in die Richtung aus der das Feuer kam,
irgendwas schien ihn dort zu sich zu rufen. Der Geruch von Rauch
wurde immer drängender und brannte in seinen Lungen.
Die
Hitze schlug ihm entgegen als er einem brennenden Baum auswich und
auf eine kleine Lichtung stolperte.
Wenn
man ihn gefragt hätte, ob er noch mehr Grauen an diesem Tag ertragen
konnte, hätte er mit Nein geantwortet. Aber da war niemand der ihn
gefragt hatte, es bot sich ihm einfach.
An
ihm rannten Männer und Frauen in schweren Stahlrüstungen vorbei, an
ihren Schwertern klebte frisches Blut, und auf ihren Gesichtern
spiegelte sich wilde Entschlossenheit wieder.
Manche
von ihnen zischten so dicht an ihm vorbei, das sie ihn um ein Haar
über den Haufen gerannt hätten, aber sie schienen ihn nicht mal zu
beachten.
Die
Menschen stoben durch das Unterholz und schlugen mit ihren Waffen auf
alles ein was sich bewegte. Überall hörte er das Schreien von
Siegern und das der Sterbenden.
Ein
blaues Licht erhellte den Wald rings herum und die Soldaten brüllten
wild Befehle durcheinander. Jemand schrie Lillys Namen, jemand,
dessen Stimme er kannte.
So
schnell Philipps Beine ihn trugen, rannte er in die Richtung aus der
er die Rufe vernommen hatte. Wieder brach ein blauer Feuerball durch
das Unterholz und erwischte zwei Männer unweit von ihm.
Ihre
Schreie bohrten sich in seinen Verstand als sie zu Boden gingen und
ihre Körper immer mehr in sich zusammen fielen. Seine Augen weiteten
sich, als Xii hinter einem großen Baum auftauchte und einem weiteren
Angreifer mit den Klauen das Gesicht zerfetzte.
Die
Janama atmete schwer, an ihrem Körper klebte überall Blut. Nicht
nur ihr eigenes.
„Xii!“
Er rief ihren Namen, aber sie hörte ihn nicht. Stattdessen schrie
sie immer wieder Lillys Namen und blickte sich panisch um.
Fluchend
kehrte sie um als ein riesiger Ansturm Menschen auf sie zu kam.
Philipp
versuchte ihr zu folgen, doch plötzlich begann die Welt um ihn herum
sich zu verändern. Alles schwankte und deformierte sich.
Der
Boden begann zu beben, das Weinen eines Kindes drang an sein Ohr und
als er wieder etwas vor sich erkennen konnte, entdeckte er sie
sofort.
Lilly
hockte in einer kleinen Senke, direkt unter den massiven Wurzeln
eines riesigen Baumes. Sie konnte nicht älter als sechs oder sieben
Jahre alt sein. Bitterlich weinend hatte sie ihre Arme um beide Beine
geschlungen und nah an ihren Körper heran gezogen.
Zwei
Männer in Rüstung eilten mit erhobenen Schwertern heran und
stockten als sie das Kind sahen. Auf ihren Gesichtern bildeten sich
ein grausames Grinsen, sie flüsterten irgendwas das Philipp nicht
verstehen konnte.
Mit
langen Schritten gingen sie auf Lilly zu, einer von ihnen ließ das
Schwert in seiner Hand kreisen.
Wut
kochte in Philipp hoch, er rannte auf die beiden zu. „Hey! Wagt es
nicht ihr etwas zu tun! Sie ist doch noch ein Kind verdammt!“
Doch
die Männer schienen stumm für seine Worte zu sein.
Philipp
erreichte Lilly vor ihnen, er schrie sie an, sie solle doch
weglaufen, er versuchte nach ihrem Arm zu greifen, aber seine Hand
fasste ins Leere.
Natürlich,
dies war eine Erinnerung, er war eigentlich gar nicht hier.
Einer
der Soldaten hob sein Schwert und holte für einen Schwung aus mit
dem er das Kind erschlagen wollte, Philipp schlug das Herz bis zum
Hals.
Plötzlich
tauchte ein Schatten vor ihm auf, er musste von der kleinen Erhebung
über ihm hinunter gesprungen sein. Schützend ging der Fremde vor
Lilly in die Hocke und hob einen Arm zum Schutz über sein Gesicht.
Die
Klinge des Schwertes grub sich tief in seinen Arm und die beiden
Soldaten rissen überrascht ihre Augen auf.
Lilly
sprang auf die Beine und rief laut. „Papa!“
Der
Fremde streckte seine freie Hand nach ihr aus und blickte über die
Schulter. „Bleib.“ Das Kind gehorchte.
Als
er sich mit einem Ruck erhob, holte er mit seinem Arm aus, in dem das
Schwert steckte, und schleuderte den Menschen, der es nicht los
lassen wollte, somit zur Seite.
Philipp
trat aus dem Schatten um ihn besser betrachten zu können.
Sein
Atem stockte. Die Arme von Lillys Vater bestanden, wie einer von
Ooku, aus Holz. Auf seinem Kopf thronte ein riesiges Geäst,
geschmückt mit vielen grünen Blättern.
Fast
sein ganzer Körper war mit Rinde überzogen, nur ein Stück seiner
Brust war noch frei, und die Hälfte seines Gesichts.
Überall
an seinem Körper wuchsen Blätter, groß und klein, dazu Moos und
sogar einen Pilz meinte er an seinem Arm wachsen zu sehen.
Er
riss an dem Schwert das sich tief in seine Borke gegraben hatte und
zog es heraus. Zähes Harz floss aus der Wunde und tropfte zu Boden.
Der
zweite Soldat ging mit erhobenem Schwert einige Schritte zurück und
spie auf den Boden.
Lautes
Gebrüll kündigte eine ganze Truppe von vielleicht zwölf weiteren
Soldaten an die durch das Unterholz gelaufen kamen.
Kleine
Erdbrocken rieselten an der Böschung hinunter, Ooku sprang das kurze
Stück hinab, hielt sich an einer Wurzel fest und stellte sich neben
seine Schwester. Mit Furcht in den Augen schaute er auf den Rücken
seines Vaters.
Philipp schätzte ihn vielleicht auf ungefähr vierzehn Jahre, sein Körper war noch nicht mit Rinde bewachsen und die Äste auf seinem Kopf waren kaum mehr als kleine Stängel.
Philipp schätzte ihn vielleicht auf ungefähr vierzehn Jahre, sein Körper war noch nicht mit Rinde bewachsen und die Äste auf seinem Kopf waren kaum mehr als kleine Stängel.
Der
Vater der beiden bäumte sich vor den Soldaten auf und ballte die
Hände zu Fäusten.
„Ihr
seid in unseren Hain eingedrungen um zu töten.
Aber
an dieser Stelle endet euer Weg. Weiter werdet ihr nicht kommen.
Daher sage ich es euch ein letztes Mal im Frieden. Kehrt um, und
betretet nie wieder diese Wälder.“
Er
erntete als Antwort ein lautes Lachen, und Verhöhnung. Einer der
Soldaten gab einen Befehl woraufhin alle anderen ihre Schwerter blank
zogen.
Langsam
drehte der Ellydren seinen Kopf nach hinten und lächelte seine
Kinder an.
„Ooku,
nimm Lilly und geh nach Norden, du findest dort eure Mutter. Dreh
dich nicht um, und hör nicht eher auf zu laufen, ehe du dort
angekommen bist. Versprich es mir.“
„Aber...“
„Ooku.
Versprich es mir.“
Der
junge Ellydren nickte und nahm seine Schwester hoch, sie fing sofort
wieder an bitterlich zu weinen und streckte ihre kleinen Hände nach
ihrem Vater aus.
Er
schenkte ihr noch ein Lächeln, dann rannten die Soldaten auf sie zu.
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