Fachidiot 7. Kapitel Teil 2

Philipps Herz begann sich plötzlich schmerzhaft in seiner Brust zu verziehen. Gefühle zu zeigen war noch nie sein Fall gewesen, jemandem nun einfach sein gesamtes Leben und seine Empfindungen frei zu legen war da nochmal was ganz anderes.
„Kannst du es mir nicht einfach erzählen?“
Gedankenverloren betastete er seine Schläfe und warf dabei einen Seitenblick aus dem Fenster. Die Nacht war klar und überall strahlten erloschene Sterne um die Wette.
Jemand umfasste seine Hand, instinktiv zuckte er zusammen und entzog sie ihr ruckartig.
Seine Freundin aus einer anderen Welt sah ihn verwundert an. Nach einem kurzen Augenblick streckte sie die Hand wieder aus und ergriff die seine ganz behutsam.
Ihre Augen leuchteten nach so langer Zeit, wieder völlig unbesonnen und glücklich, als sich ein warmes Lächeln auf ihre Züge schlich.
„Nein. Ich möchte es dir gerne zeigen. Zuerst war ich etwas überrascht über deine Frage. Noch nie habe ich jemandem etwas mit meiner Seele gezeigt.
Aber wenn ich es mir genau überlege, würde ich sie vor niemandem lieber offen legen als vor dir.“
Philipps fühlte sich als würde sein Herz gleich kollabieren, so feste donnerte es in seiner Brust. Die ganze Situation überrollte ihn schutzlos, wollte sie ihm damit etwa was ganz bestimmtes sagen?
Aber er wusste auch ganz genau das sie oft Dinge sehr merkwürdig ausdrückte, weil sie es einfach nicht besser konnte.
Da ihr Menschenfreund nicht antwortete, und sie stattdessen wie ein Reh anstarrte das gerade in zwei grelle Scheinwerfer blickte, nahm Lilly seine Hand und zog sie an sich heran.
Philipp erwachte aus seiner Starre als seine Finger schon fast ihre Seele berührten.
„Mo... Moment mal! Ganz langsam! Ich weiß nicht ob das jetzt so eine gute Idee ist. Und ob ich das überhaupt will.“
Lilly beugte sich vor und stützte sich mit ihren Händen auf den Knien ab, nachdenklich begutachtete sie den Boden.
„In der Tat. Vielleicht sollten wir es nicht hier machen. Wir werden eine Weile lang erstarren, das könnte bei der Rückkehr unbequem sein. Komm, lass uns in dein Bett gehen!“
Ohne auf eine Reaktion zu warten, tänzelte sie zu der kleinen Treppe, welche zu der Galerie hinauf führte.
Philipp sprang schon fast panisch auf und versuchte noch nach ihr zu greifen. „Was? Mein Bett? Reden wir hier noch von diesem in die Seele blicken, oder was? Außerdem, was soll das mit der Rückkehr? Sag nicht wir reisen schon wieder durch irgendwelche Welten!“
Ihr Kopf ragte über das Brett das zum Schutz angebracht worden war, damit er beim schlafen nicht versehentlich in die Tiefe purzelte. Ungeduldig winkte sie ihn zu sich hinauf.
„So ein Quatsch! Wir bleiben hier, wieso sollten wir denn irgendwo hin reisen?“
Wenn sie glaubte, mit ihm irgendwelche Spielchen zu spielen, hatte sie sich gewaltig geirrt. Fluchend kletterte er in Windeseile die kleine Treppe hinauf, und deutete oben angekommen mit dem Zeigefinger auf sie, während er in geduckter Haltung auf sie zu rauschte.
„Jetzt hör mir mal zu! Ich weiß das du meine Fragen mit Absicht ignorierst und so tust als ob du nicht verstehen würdest was ich dir sage, aber so läuft das hier nicht Fräulein!“
Lilly griff nach seinem Zeigefinger und zerrte ihn grinsend auf die weiche Matratze. „Du musst keine Angst haben Philipp. Ich werde dir nicht weh tun. Und wenn es irgendwas gibt was dir peinlich ist, verspreche ich es nicht weiter zu erzählen.“
Direkt vor ihr ließ er sich auf den Knien nieder und versuchte heimlich sie mit seinem Blick zu töten, was leider nicht funktionierte. Grob entriss er ihr seinen Zeigefinger.
„Darum geht es doch gar nicht. Du hast selbst gesagt es ist etwas sehr intimes! Schön für dich wenn du bereit bist mir alles von dir offen zu legen, aber wer sagt denn das ich das selbe will?“
Die Klarheit in ihren freundlichen Augen und ihren direkten Worten zogen ihm den Boden unter den Füßen fort.
„Du hast zu mir gesagt das es nichts zu bedeuten habe, als du mich im Krankenhaus geküsst hast. Aber du hättest das sicher nicht getan wenn du mich nicht zumindest ein wenig mögen würdest, richtig?“ Ihr Lächeln wurde breiter als sie keine Antwort bekam.
„Außerdem hast du heute viel für mich riskiert und dich auf unserer Reise immer für mich eingesetzt.
Sogar als wir uns kaum kannten und ich mich als dein Gast eingeladen habe, hast du alles für mich getan und immer dafür gesorgt das ich mich wohl fühle.
Wie ich dir für alles jemals danken soll, weiß ich noch nicht. Aber es ist das mindeste dir mein volles Vertrauen entgegen zu bringen und dir alles was ich habe offen zu legen.
Du hast dabei nichts zu verlieren.“
Wieder griff sie nach seiner Hand ohne den Blick von seinen starren Augen zu nehmen. Er taxierte sie ganz genau während sein Verstand gerade ihr Gesagtes verarbeitete. Ihre Worte berührten etwas in ihm, das er sicher verschlossen geglaubt hatte, etwas dem niemand mehr zu nahe kommen sollte. Seinem Herz. Das gefiel ihm ganz und gar nicht, und doch wirkte nichts in diesem Moment falsch. Was diese Verbindung zu bedeuten hatte, wusste er nicht, nur das es nicht unangenehm sein könnte, diese Verbindung zu ihr zu haben.
Philipp ließ schweigend zu das sie seine Hand an ihre Seele führte und eine ihrer Hände darüber legte. „Fürchte dich nicht vor dem was du siehst, dir kann kein Leid geschehen.“
Das letzte was er sah, war wie sich ihre Augen schlossen.
Ein angenehmes Prickeln kitzelte seine Handinnenfläche die auf dem Bernstein unter ihrem Schlüsselbein auflag. Sanftes, grünes Licht hüllte ihn ein, schien ihn an einen anderen Ort zu tragen.
Der Geruch von Rauch stieg ihm in die Nase, wurde immer stärker, bis er schließlich ein helles Leuchten inmitten des Grün wahrnahm.
Philipp blinzelte einige Male und plötzlich befand er sich in einem dichten Wald wieder. Die Bäume waren riesig, es war nicht auszumachen wie weit sie in den Himmel hinauf ragten. Violette Pilze wuchsen an den Stämmen der Bäume und strahlten ein sanftes Leuchten aus. Von den Baumkronen hingen lange Lianen in die Tiefe die einige Meter über ihm endeten. Obwohl es Nacht war, konnte er alles um sich herum deutlich erkennen. Als sein Blick einen schmalen Pfad vor sich verfolgte, wusste er auch weshalb.
Hungrig fraß sich ein Feuer durch den dichten Wald und schlug seine Flammen hoch hinaus. Schreie drangen an sein Ohr und wütende Rufe gellten durch die Idylle.
Ohne zu wissen wieso, rannte er in die Richtung aus der das Feuer kam, irgendwas schien ihn dort zu sich zu rufen. Der Geruch von Rauch wurde immer drängender und brannte in seinen Lungen.
Die Hitze schlug ihm entgegen als er einem brennenden Baum auswich und auf eine kleine Lichtung stolperte.
Wenn man ihn gefragt hätte, ob er noch mehr Grauen an diesem Tag ertragen konnte, hätte er mit Nein geantwortet. Aber da war niemand der ihn gefragt hatte, es bot sich ihm einfach.
An ihm rannten Männer und Frauen in schweren Stahlrüstungen vorbei, an ihren Schwertern klebte frisches Blut, und auf ihren Gesichtern spiegelte sich wilde Entschlossenheit wieder.
Manche von ihnen zischten so dicht an ihm vorbei, das sie ihn um ein Haar über den Haufen gerannt hätten, aber sie schienen ihn nicht mal zu beachten.
Die Menschen stoben durch das Unterholz und schlugen mit ihren Waffen auf alles ein was sich bewegte. Überall hörte er das Schreien von Siegern und das der Sterbenden.
Ein blaues Licht erhellte den Wald rings herum und die Soldaten brüllten wild Befehle durcheinander. Jemand schrie Lillys Namen, jemand, dessen Stimme er kannte.
So schnell Philipps Beine ihn trugen, rannte er in die Richtung aus der er die Rufe vernommen hatte. Wieder brach ein blauer Feuerball durch das Unterholz und erwischte zwei Männer unweit von ihm.
Ihre Schreie bohrten sich in seinen Verstand als sie zu Boden gingen und ihre Körper immer mehr in sich zusammen fielen. Seine Augen weiteten sich, als Xii hinter einem großen Baum auftauchte und einem weiteren Angreifer mit den Klauen das Gesicht zerfetzte.
Die Janama atmete schwer, an ihrem Körper klebte überall Blut. Nicht nur ihr eigenes.
„Xii!“ Er rief ihren Namen, aber sie hörte ihn nicht. Stattdessen schrie sie immer wieder Lillys Namen und blickte sich panisch um.
Fluchend kehrte sie um als ein riesiger Ansturm Menschen auf sie zu kam.
Philipp versuchte ihr zu folgen, doch plötzlich begann die Welt um ihn herum sich zu verändern. Alles schwankte und deformierte sich.
Der Boden begann zu beben, das Weinen eines Kindes drang an sein Ohr und als er wieder etwas vor sich erkennen konnte, entdeckte er sie sofort.
Lilly hockte in einer kleinen Senke, direkt unter den massiven Wurzeln eines riesigen Baumes. Sie konnte nicht älter als sechs oder sieben Jahre alt sein. Bitterlich weinend hatte sie ihre Arme um beide Beine geschlungen und nah an ihren Körper heran gezogen.
Zwei Männer in Rüstung eilten mit erhobenen Schwertern heran und stockten als sie das Kind sahen. Auf ihren Gesichtern bildeten sich ein grausames Grinsen, sie flüsterten irgendwas das Philipp nicht verstehen konnte.
Mit langen Schritten gingen sie auf Lilly zu, einer von ihnen ließ das Schwert in seiner Hand kreisen.
Wut kochte in Philipp hoch, er rannte auf die beiden zu. „Hey! Wagt es nicht ihr etwas zu tun! Sie ist doch noch ein Kind verdammt!“
Doch die Männer schienen stumm für seine Worte zu sein.
Philipp erreichte Lilly vor ihnen, er schrie sie an, sie solle doch weglaufen, er versuchte nach ihrem Arm zu greifen, aber seine Hand fasste ins Leere.
Natürlich, dies war eine Erinnerung, er war eigentlich gar nicht hier.
Einer der Soldaten hob sein Schwert und holte für einen Schwung aus mit dem er das Kind erschlagen wollte, Philipp schlug das Herz bis zum Hals.
Plötzlich tauchte ein Schatten vor ihm auf, er musste von der kleinen Erhebung über ihm hinunter gesprungen sein. Schützend ging der Fremde vor Lilly in die Hocke und hob einen Arm zum Schutz über sein Gesicht.
Die Klinge des Schwertes grub sich tief in seinen Arm und die beiden Soldaten rissen überrascht ihre Augen auf.
Lilly sprang auf die Beine und rief laut. „Papa!“
Der Fremde streckte seine freie Hand nach ihr aus und blickte über die Schulter. „Bleib.“ Das Kind gehorchte.
Als er sich mit einem Ruck erhob, holte er mit seinem Arm aus, in dem das Schwert steckte, und schleuderte den Menschen, der es nicht los lassen wollte, somit zur Seite.
Philipp trat aus dem Schatten um ihn besser betrachten zu können.
Sein Atem stockte. Die Arme von Lillys Vater bestanden, wie einer von Ooku, aus Holz. Auf seinem Kopf thronte ein riesiges Geäst, geschmückt mit vielen grünen Blättern.
Fast sein ganzer Körper war mit Rinde überzogen, nur ein Stück seiner Brust war noch frei, und die Hälfte seines Gesichts.
Überall an seinem Körper wuchsen Blätter, groß und klein, dazu Moos und sogar einen Pilz meinte er an seinem Arm wachsen zu sehen.
Er riss an dem Schwert das sich tief in seine Borke gegraben hatte und zog es heraus. Zähes Harz floss aus der Wunde und tropfte zu Boden.
Der zweite Soldat ging mit erhobenem Schwert einige Schritte zurück und spie auf den Boden.
Lautes Gebrüll kündigte eine ganze Truppe von vielleicht zwölf weiteren Soldaten an die durch das Unterholz gelaufen kamen.
Kleine Erdbrocken rieselten an der Böschung hinunter, Ooku sprang das kurze Stück hinab, hielt sich an einer Wurzel fest und stellte sich neben seine Schwester. Mit Furcht in den Augen schaute er auf den Rücken seines Vaters.
Philipp schätzte ihn vielleicht auf ungefähr vierzehn Jahre, sein Körper war noch nicht mit Rinde bewachsen und die Äste auf seinem Kopf waren kaum mehr als kleine Stängel.
Der Vater der beiden bäumte sich vor den Soldaten auf und ballte die Hände zu Fäusten.
„Ihr seid in unseren Hain eingedrungen um zu töten.
Aber an dieser Stelle endet euer Weg. Weiter werdet ihr nicht kommen. Daher sage ich es euch ein letztes Mal im Frieden. Kehrt um, und betretet nie wieder diese Wälder.“
Er erntete als Antwort ein lautes Lachen, und Verhöhnung. Einer der Soldaten gab einen Befehl woraufhin alle anderen ihre Schwerter blank zogen.
Langsam drehte der Ellydren seinen Kopf nach hinten und lächelte seine Kinder an.
„Ooku, nimm Lilly und geh nach Norden, du findest dort eure Mutter. Dreh dich nicht um, und hör nicht eher auf zu laufen, ehe du dort angekommen bist. Versprich es mir.“
„Aber...“
„Ooku. Versprich es mir.“
Der junge Ellydren nickte und nahm seine Schwester hoch, sie fing sofort wieder an bitterlich zu weinen und streckte ihre kleinen Hände nach ihrem Vater aus.
Er schenkte ihr noch ein Lächeln, dann rannten die Soldaten auf sie zu.

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