Fachidiot 6. Kapitel Teil 2

Die sonst so feinen Ranken waren viel dicker geworden und bildeten einen dichten Strang mit der sie den Faulvarul in ihrer Gewalt hielt. Mit ihrer Freien Hand stabilisierte sie ihren überwucherten Arm und schleuderte ihn zur Seite.
Der Faulvarul schrie wütend auf als seine Füße den Boden verloren, erst als sich unter ihm nur noch das tosende Wasser befand lösten sich die Schlingen um sein Gesicht und er fiel hinab.
Sein Schrei erstickte als man das Brechen seiner Knochen an einem der spitzen Steine hören konnte.
Philipp! Ist alles in Ordnung?“ Lillys Brust hob und senkte sich unter tiefen Atemzügen als sie ihn besorgt betrachtete.
Von einer Frau gerettet... Der junge Mann ließ die Schwertspitze sinken als er erkannte das keine Faulvaruls mehr übrig waren. Seine Begleiter hatten sie alle unschädlich gemacht, ohne das er seinen Beitrag hatte leisten können. Er kam sich so nutzlos vor. Sonst war doch er immer der große Held in den unzähligen Videospielen gewesen. Er war es, der unter seinen Freunden immer auf Platz Eins war, ungeschlagen.
Doch in der Realität zeigte sich wohl das all die Zeit die er vor dem Computer verbracht hatte nutzlos gewesen war.
Philipp?!“
Ja, schon gut. Mit mir ist alles in Ordnung.“
Xii und Ooku lauerten noch immer in Angriffsposition, sie trauten der Stille um sich herum nicht. Ooku ging an den Rand der Brücke, der widerwärtige Gestank war verschwunden. Dennoch wollte er nichts dem Zufall überlassen und hangelte sich an dem Geländer hinunter.
Hier ist niemand mehr, wir haben sie wirklich alle besiegt!“
Xii ging ein paar Schritte die Brücke entlang und starrte in den schmalen Streifen des Himmels hinauf, der durch die engen Felswände zu sehen war. Wie angespannt sie wirklich war, konnte man daran erkennen wie ihr flauschiger Schwanz immer hin und her zuckte.
Das war zu einfach. Die Falle zu plump. Ich kann mir nicht helfen aber ich traue dem ganzen irgendwie nicht.“
Als hätte jemand nur auf ihre skeptischen Worte gewartet, erfüllte ein dunkles Gelächter die Klamm, dazu wurde es von spöttischem Applaus begleitet. Alle Köpfe reckten sich in die Höhe, eine Frau trat dicht an den Rand der Klippe und blickte auf die Truppe hinab. Noch immer lachte sie höhnisch.
Shorana!“
Einem schönen Schauspiel durfte ich da beiwohnen. Wirklich unterhaltsam. Schade nur das ich dafür ein paar meiner kleinen süßen Babys opfern musste. Nun gut, so sei es. Jeder Zeit kann ich neue kleine Schätzchen zu mir rufen.“
In Shoranas rechter Hand verweilte der Stab Morendras, spielerisch drehte sie ihn in ihrer Handfläche immer wieder im Kreis. Ookus Augen verengten sich vor Zorn, das Heiligste seines Volkes in ihren Fingern zu sehen machte ihn rasend. Noch viel schlimmer war der Gedanke daran das sie ihn für ihre dunklen Machenschaften ausnutzen wollte.
Du verdammte Hexe! Wer gibt dir das Recht das älteste Relikt unseres Volkes zu stehlen? Gib ihn uns sofort zurück. Du kannst seine Macht sowieso nicht heraufbeschwören.“
Um eines direkt klar zu stellen kleines Waldwesen, ich bin keine Hexe, sondern eine Hexenmeisterin. Zudem muss ich dich weiter belehren das ich sehr wohl etwas mit eurem kleinen Stöckchen hier anfangen kann.“
Ihre Lippen verzogen sich zu einem grausamen Grinsen.
Alles was ich dafür brauche ist die Seele einer Ellydren. Je mehr, desto besser. Eigentlich sollte ich mich wohl bei dir bedanken das du freiwillig zu mir gekommen bist, das erspart mir die Mühe noch mehr von euch aus dem ewigen Hain zu locken.
Euch brauche ich auch nur im ersten Moment lebend, bis Morendras hier eure Seele absorbiert hat. Dann seid ihr nichts mehr als eine Hülle und euer Körper stirbt. Hat mir mein Freund hier verraten.“
Sie klopfte auf einen Lederbeutel den sie sich über die Schulter gehangen hatte. Was sich dort drin befinden könnte war aufgrund der Entfernung nicht auszumachen.
Lilly wich ein paar Schritte zurück, ihr Gesicht wurde weiß wie frischer Schnee. Für das Volk der Ellydren gab es unter natürlichen Umständen keinen endgültigen Tod, wenn die eigene Lebenszeit zu ende war, übergab man seinen Leib dem Symbionten, man starb nicht, sondern wechselte in eine andere Art des Daseins. Wenn dann irgendwann auch die Kraft des Symbionten verbraucht war und die Pflanze oder der Baum zu Grunde ging, entstand aus dessen Samen wieder neues Leben. Es war ein ewiger Kreislauf der niemals endete. Wenn aber ein Ellydre gewaltsam ums Leben kam, oder man ihn seiner Seele beraubte, war er für immer verloren. Man verschwand einfach, ohne Möglichkeit der Rückkehr.
Das war die schlimmste Vorstellung für einen Ellydren, das man von dieser Welt ging, allein, ohne den Zauber des neuen Lebens schenken zu können.
Lilly ballte ihre kleinen Hände zu Fäusten und trat wieder einen Schritt nach vorn.
Shorana hör doch auf mit diesem Wahnsinn! Du willst die Sümpfe der Verbannten über das ganze Land ausbreiten? Willst du das wirklich? An diesem dunklen Ort können die Menschen nicht überleben. Irgendwann wärst du ganz allein.
Niemand mit dem du Reden könntest würde noch existieren.
Alles Leben, was sich den Sümpfen nicht anpassen kann, stirbt. Das gesamte Gleichgewicht der Welt würde auseinander brechen.“
Die Antwort auf ihre kleine Predigt bestand lediglich aus einem höhnischen Gelächter. Shorana hob einen Arm und warf einen Blick über ihre Schulter. „Flammenwächter! Holt sie euch!“
In dem Augenblick als sich ihr Arm nieder senkte, prasselten kleine Geröllbrocken hinab in die Tiefe. Ein lautes Donnern übertönte das Rauschen des Flusses und der Himmel verdunkelte sich.
Ein riesiger Fels stürzte hinab in die Tiefe und prallte abwechselnd rechts und links an den rutschigen Steilwänden ab.
Xii stürzte nach vorn, sie musste Lilly beschützen! Eine Hand packte in letzter Sekunde ihren Oberarm und riss Xii grob nach hinten.
Ooku! Lasst mich los verdammt!“ Doch der Ellydren dachte nicht daran und zerrte sie ein gutes Stück zurück. Es ertönte ein gewaltiger Knall als der Felsbrocken auf die Brücke stürzte und die massiven Bretter ohne Mühe zerschlug.
Holzsplitter stoben in alle Richtungen und regneten einen Augenblick später auf alle Anwesenden nieder. Eine Wasserfontäne schoss in die Höhe, wo vor wenigen Sekunden noch die Brücke als Übergang durch die schmale Klamm gedient hatte.
Xii ließ den Arm langsam sinken den sie als Schutz über ihre Augen gelegt hatte. Sie blinzelte einige Male, ihr Herz schlug wie verrückt als sie versuchte etwas durch den feinen Sprühnebel zu erkennen. Das entstandene Loch war enorm und ihr wurde bewusst das Ooku ihr wahrscheinlich gerade das Leben gerettet hatte, diese Distanz hätte sie nicht überwinden können. Zum Glück waren die Stützstreben des Brückenteiles unbeschädigt geblieben auf dem sie standen, sonst wären sie mit in die Tiefe gerissen worden. Dennoch verfluchte sie ihn, ihre Aufgabe war Lilly zu beschützen, und dabei war sie gescheitert.
Der feine Wasserdunst legte sich und etwas regte sich auf der anderen Seite. Xii stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus als sie sah das Lilly und Philipp sich hinter der Brücke auf festem Boden, in Sicherheit hatten bringen können.
Die Ellydre erhob sich mit wackeligen Knien, neben ihr kam auch langsam der Mensch auf die Beine.
Zeit zum durchatmen blieb ihnen keine, schon verdeckten weitere Schatten den Himmel. Unter Shoranas Gelächter stürzten sich Wesen von den Steilhängen in die Tiefe die Lilly noch nie gesehen hatte.
Ihre Körper waren von langer, schmaler Gestalt, ähnlich der einer Schlange, nur das sie auf jeder Seite drei Beine besaßen. Den Sprung, den sie in die Tiefe vollführten, bremsten sie in letzter Sekunde ab, indem sie ihre vorderen Beine zur Seite streckten und lederne Segel zum Vorschein kamen. Philipp hatte den absurden Gedanken das sie wie chinesische Drachen aussahen deren Vorfahren ein Verhältnis mit Flughörnchen gehabt haben mussten. Als zwei dieser Kreaturen vor ihnen landeten und ihn aus ihren grünen Reptilienaugen anstarrten, fand er das ganz nicht mehr so amüsant.
Erst jetzt, wo er sie aus der Nähe sah, fiel ihm auf das die leuchtend rote Musterung ihrer Haut, keine Musterung war. Venen pulsierten unter der bräunlichen Haut und schienen kein Blut zu transportieren, sondern kochend heiße Lava. Zäh floss die rote Flüssigkeit deutlich sichtbar durch ihren langen Körper der mit Sicherheit gute Sechs Meter maß.
Obwohl sie noch sehr weit von ihnen fort standen, konnte er die Hitze spüren die von ihnen ausging.
Er bemerkte das auch auf der anderen Seite bei Xii und Ooku ebenfalls Kreaturen landeten. Ganze Sechs an der Zahl.
Lilly umschloss mit ihren Fingern noch fester den Kiefernzapfen in ihrer Hand, sie hob den Kopf zu Shorana die noch immer am oberen Rand des Felshanges stand und amüsiert zu ihnen hinab blickte.
Shorana! Lass bitte meine Freunde gehen. Du kannst meine Seele haben. Aber dafür musst du mir versprechen die anderen gehen zu lassen.“ Die Ellydre erntete viele ungläubige Blicke, Shorana aber konnte nur müde lächeln.
Die Hexenmeisterin sprang in die Tiefe und sprach einen raschen Zauber. Ihr Körper schien transparent und dunkel zu werden, ganz als ob sie zu einem Schatten ihrer selbst wurde.
Direkt hinter den beiden Kreaturen kam sie auf dem Boden auf. Indem sie tief in die Knie ging, federte sie den Sprung ab. Kleine Splitter und Staub wurden aufgewirbelt, die Erschütterung war immens, und doch schien Shorana sich nicht verletzt zu haben.
Mit einem breiten Grinsen auf den Zügen erhob sie sich in einer geschmeidigen Bewegung. Ihre Gestalt wurde wieder fester und kehrte in ihre Ursprüngliche Form zurück.
Naives kleines Wesen. Hast du in deinen hübschen Wäldern etwa zu viel der falschen Pilze gegessen? Dein dummer Vorschlag macht doch keinen Sinn.“
Die Hexenmeisterin leckte sich mit ihrer schwarzen Zunge über die Lippen, die kleinen Goldketten die an einem feinen Ring in ihrer Unterlippe befestigt waren, klimperten bei der Bewegung.
Philipp jagte ihr Blick einen kalten Schauer über den Rücken, sehr genau konnte er sich noch an die eisige Berührung der letzten Nacht erinnern.
Ich werde alle die ich nicht benötige töten, und mir dann von dir und deinem Bruder einfach holen was ich brauche. Verhandlungen habe ich nicht nötig.“
Lilly schloss ihre Augen, ihr war selbst bewusst gewesen wie dumm ihr Versuch gewesen war, und das Shorana niemals auf ihren Vorschlag eingehen würde, aber es hatte ihr genug Zeit eingebracht ihre Magie zu bündeln.
Ihre Knie gaben nach und die ging vor der Hexenmeisterin auf die Knie. Beide Hände legte sie auf den Boden, wölbte sie über den Zapfen in ihrer Hand und legte die Stirn darauf ab.
Shorana. Bitte. Ich flehe euch an... tut das dieser Welt nicht an. Denkt doch einmal an die vielen unschuldigen Seelen die durch euch den Tod finden würden.“
Philipp machte es wütend sie in solch unterwürfiger Pose zu sehen, was dachte sie sich bloß dabei? Shoranas Stimme schnarrte dunkel als würde sie den Anblick der verzweifelten Ellydre genießen.
Oh, daran denke ich fast ununterbrochen. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie sehr ich es genießen werde in ihrem Blut zu baden! Ihre Schreie werden Musik in meinen Ohren sein. Mit solchen Worten erreichst du gar nichts.“
Shorana hielt inne, sie bemerkte das Lilly ganz leise flüsterte und plötzlich begann etwas unter ihren Händen zu glimmen.
Sie bleckte ihre Zähne und durchschaute die Farce viel zu spät, mit dem Stab Morendras deutete sie auf die am Boden kniende Ellydre und brüllte den Kreaturen zu, sie sollten sie in Stücke reißen, aber noch genug an ihr dran lassen das sie überlebte.
Fest packte Philipp den Griff seines Schwertes mit beiden Händen als ihre Gegner zum Angriff über gingen, noch einmal würde er nicht versagen. Auch wenn er keine Ahnung hatte von dem was Lilly da tat, er wollte ihr genug Zeit verschaffen es zu Ende zu bringen.
Die zwei schlangenähnlichen Wesen bewegten sich auf ihren kurzen Beinen rasch vorwärts und hatten die Ellydre fest als Ziel anvisiert. Mit einem langen Ausfallschritt nach vorn ließ Philipp das Schwert nieder gehen, die eine Kreatur bemerkte ihn noch gerade rechtzeitig und brachte sich mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit, dabei rempelte es gegen die zweite Kreatur.
Sie öffneten ihre Mäuler und stießen ein drohendes Fauchen aus, ihre Köpfe zogen sie weit ein und ihre Kehlen blähten sich wie bei einem Frosch binnen Sekunden auf. Eine rote Flüssigkeit stieg in der Blase an und begann zu leuchten. Philipp konnte die Hitze spüren die ihm entgegen schlug.
Noch bevor sie ihren Angriff zu Ende führen konnten, begann der Boden unter ihren Füßen zu beben, das schwache Leuchten unter Lillys Händen entlud sich in einem grünen Lichtstrom der in die Höhe schoss und sich immer weiter ausbreitete bis er die Ellydre komplett eingehüllt hatte. Sie sprang auf und trat einige Schritte zurück.
Aus dem Zapfen den sie mit sich getragen hatte brachen von allen Seiten Äste hervor die sich windend und drehend immer schneller verformten.
Die beiden Wesen der Unterwelt wirbelten mit ihren Köpfen zu dem Lichtstrahl herum und blähten die mit Magma gefüllte Blase noch weiter auf.
Na los! Macht schon ihr dämlichen Biester!“ Shorana wurde zum ersten Mal wirklich wütend, der Zorn entstellte ihr Gesicht zu einer hässlichen Fratze. Ihre Diener zögerten nicht länger und warfen ihre eingezogenen Köpfe nach vorn. Aus ihrem Maul schoss ein kochend heißer Ball aus Lava der mit tausend Funken an der grünen Lichtsäule zerbarst.
Shorana konnte nicht glauben was sie sah, die Bälle verpufften wie nichts und aus dem Zapfen wuchs ein riesiger Baum empor. Die Magie der Ellydren war ihr gänzlich unbekannt, dennoch wollte sie kein Risiko eingehen. Sie hob ihre Hand und streckte sie in Richtung des neu gewachsenen Baumes aus. Ein violettes Feuer bildete sich um ihre Finger und züngelte um ihre Hand, doch auch Lilly war nicht bereit ihren Gegner noch einmal zu unterschätzen.
Mit beiden Händen entfachte sie einen mächtigen Windstoß der Shorana und ihre beiden Kreaturen nach hinten taumeln ließ. Keine Sekunde zu früh vollzog sich ihr Zauber und der Baum begann zu schwanken.
Philipp hätte fast sein Schwert fallen lassen als er sah das aus dem dicken Stamm zu beiden Seiten Arme und Beine heraus brachen. Ein dunkles Stöhnen war zu hören und etliche Blätter fielen auf das feuchte Holz der Brücke nieder.
Die Rinde platzte an einer Stelle auf und enthüllte ein Gesicht.
Lilly! Was ist das? Ein Treant?“
Mit einem Lächeln der Zuversicht auf den Lippen schüttelte sie den Kopf und betrachtete das schwindende grüne Licht um den Baumriesen.

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