Fachidiot 3. Kapitel Teil 5

Herzhaft gähnend schob er seine Brille nach oben und rieb sich den Schlaf aus den Augen, als er versuchte sich zu strecken schmerzte sein Körper ungemein. Für solche Schlafpositionen war er einfach zu alt, Schlaf war ihm heilig, und den vollzog er für gewöhnlich in seinem Heiligtum. Seinem Bett.
Träge rollte sein Kopf zur Seite, er wollte sehen wie es Lilly mittlerweile erging. Mit einem Schlag war er hellwach, denn ihr fast schon vertrautes Gesicht war fort. Ruckartig versuchte er aufzuspringen, was nicht so elegant aussah wenn man die ganze Nacht lang in einen Sitzsatz hinein gesogen wurde und nun versuchte aus einem Loch heraus zu krabbeln.
Wie eine Schildkröte auf dem Rücken ruderte er mit seinen Armen, gab es schließlich auf und rollte sich seitlich von seinem Gesäßgefängnis weg.
Lilly!?“ Auf Knien robbte er die wenigen Zentimeter auf die Badewanne zu und zog sich an deren Rand etwas in die Höhe, aber bis auf ein wenig Wasser war darin nichts zu sehen.
Guten Morgen! Was bist du denn so aufgeregt?“
Ihre Stimme zu hören versetzte seinem Herzen einen Stromstoß, und es traute sich wieder zu schlagen. Sein Kopf schwenkte zur Seite und kaum hatte er sie erblickt, erschlaffte seine Kinnlade.
Lilly kniete auf den blanken Fliesen des Badezimmers, direkt vor dem Fenster, dort wo die wärmende Sonne des Morgens hinein fiel und hatte den Kopf über ihre Schulter zu ihm gedreht. Ihre Arme waren zu beiden Seiten hin ausgebreitet als würde sie etwas anbeten. Das alles wäre noch kein Grund gewesen gleich die Fassung zu verlieren, wäre da nicht die Tatsache das er sehen konnte das ihre Haut sich wieder regeneriert hatte. Sie gewann an Farbe und wirkte straffer, nicht so knittrig am gestrigen Tag. Zu übersehen war das nicht, denn sie kniete dort wie Morendras sie nach ihrem Glauben hin geschaffen hatte. Splitterfasernackt.
Uah! Was machst du denn da schon wieder verdammt!!!“
Eilig drehte er ihr den Rücken zu und schlug sich die Hände vor das Gesicht. Lilly hingegen verstand seine Aufregung nicht, sie fühlte sich wie neu geboren.
Das Wasser hat schon gut getan, aber ich brauche auch dringend Sonnenlicht. Mit eurer komischen Kleidung, die fast die ganze Haut bedeckt, kann ich es doch nicht aufnehmen.“ Ihre nackten Füße platschten leise auf dem Boden und kamen ihm bedrohlich nahe. „Jetzt bin ich wieder völlig bei Kräften! Ist das herrlich!“
Noch immer hielt Philipp sich die Hände vor sein Gesicht und stöhnte genervt auf. In gewohnter Manier pöbelte er ihr entgegen das sie sich sofort anziehen soll, der schreckliche Anblick wäre ja nicht zum aushalten.

Als er sein Frühstück zu sich genommen hatte, beschlossen die beiden sich auf die Suche nach Xii zu machen. Lilly hätte nie gedacht das ihre Freundin so lange schmollen und die ganze Nacht draußen verbringen würde. Ihre Füße trieben sie an die gewohnte Stelle, dort wo sie damals vom Himmel gefallen waren.
Weit ab des kleinen Weges wo sich um diese Zeit viele Spaziergänger aufhielten riefen sie immer wieder den Namen des kleinen Fuchses, eine Antwort aber blieb aus. Mehr und mehr wuchs große Sorge in Lilly heran, denn auf dem erblühenden Waldboden konnte sie nicht eine Spur ausmachen. Immer tiefer gingen sie hinein in die friedliche Idylle des Waldes, Vögel zwitscherten überall und ein herrlicher Duft von erwachendem Leben erfüllte ihre Nasen, nichts davon nahm die Ellydre wahr, alles was sie wollte war Xii zu finden.
Plötzlich rief Philipp ihren Namen und deutet auf ein kleine Anhöhe, nur wenige Meter entfernt von ihnen. Mehr als nur ein Stein fiel ab von Lillys Herzen, denn dort oben saß ihre Freundin mit dem Rücken zu ihnen.
Xii!!!“ Sofort stürmte sie den kleinen Hang hinauf und blieb dicht hinter dem Fuchs stehen.
Wieso antwortest du mir denn nicht? Weißt du was ich mir für Sorgen gemacht habe?!“
Beleidigt schaute Xii weiterhin in die Ferne ohne auch nur einen Blick zurück geworfen zu haben. Vor ihnen erstreckte sich eine herrliche Aussicht auf ein Tal aus Laub- und Nadelbäumen, alles wirkte so friedlich in der Frühlingssonne. Die Bewohner des Waldes sangen ihre Lieder und der Wind säuselte über ihnen durch die grünen Blätter. Irgendwo schnatterte ein Eichhörnchen und Vögel huschten von Ast zu Ast. Philipp hätte das ganze sicherlich auch sehr entspannend gefunden, würden die beiden nicht gut einen Meter vor einem steilen Abhang stehen und ihr zorniges Schweigen austragen.
Wollen wir nicht nach Hause gehen und ihr...“ ,aber seinen Worten wurde einfach keine Beachtung geschenkt, stattdessen flötete Xii vollkommen unbeeindruckt los.
Ich habe nur das getan was Ihr hättet schon lange tun sollen. Das Relikt Eures Volkes suchen, statt Euch bei diesem Mensch zu vergnügen. Dabei dachte ich in der letzten Nacht hättet Ihr eine Lektion gelernt.“
Gerade als Xii Luft holte um ihren Vortrag auszuweiten gellte neben ihr ein Schrei auf dessen Echo mehrere Male in dem Tal nachhallte. Vögel kreischten empört auf und flatterten davon. Mit weit aufgerissenen Augen starrten Xii und Philipp zu der Verursacherin des Schreis. Zu Lilly.
Zum ersten Mal in ihrem Leben riss ihr der Geduldsfaden und ihre Ohren waren das ewige Nörgeln leid. Sie ballte ihre zierlichen Hände zu Fäusten und stemmte sie sich in die Hüften. Philipp hätte nie gedacht das dieses stets heitere Gesicht zu so einer wütenden Grimasse fähig war, im Stillen machte er sich eine Notiz das er sich geirrt hatte.
Mir reicht es langsam mit deinen ständigen Bevormundungen was ich zu tun und zu lassen habe! Seit wir in dieser Welt sind, lässt du an nichts und niemandem ein gutes Haar! Glaubst du wirklich ich habe kein Heimweh? Glaubst du wirklich ich möchte nicht auch nach Hause zurück kehren?
Tagelang sind wir durch diesen Wald geirrt ohne auch nur eine Spur von Morendras zu finden! Ich habe die Suche auch nie aufgegeben obwohl es fast unmöglich scheint ihn unter all den Stöcken und Ästen die hier liegen, zu finden.“
Von der knisternden Stimmung angesteckt sprang Xii auf und grub ihre kleinen Krallen in das weiche Erdreich.
Morendras sieht ja wohl ganz anders aus! Wisst Ihr was ich glaube? Inzwischen hat ihn irgendein Mensch in seine dreckigen Finger bekommen, nur weil wir nicht genug gesucht haben!“
Da irrst du dich aber! Ich sag dir mal was, als wir vom Himmel gefallen sind, und er mir aus den Fingern glitt, hat Morendras seine Form geändert. Er wurde zu einem ganz normalen Stock wie sie hier zuhauf vorkommen.
Und bevor du dich jetzt wieder aufregst, kann ich dir sagen wieso ich das die ganze Zeit für mich behalten habe! Weil ich wirklich glaube das Morendras will das ich hier irgendwas finde, und er sich wieder offenbaren wird wenn die Zeit reif ist.“
Der kleine Fuchskörper begann zu zittern und ein leises Zischen erklang als würde Luft durch ein undichtes Ventil entweichen. Scheinbar sah Xii die ganze Sache nicht so gelassen, es wirkte vielmehr als würde es gleich eine folgenschwere Explosion geben. Philipp stand relativ gelassen neben den beiden, begeistert war er von Lillys Geständnis absolut nicht, aber wenn er eines in seinem jungen Leben gelernt hatte, dann das man sich in Streitereien von Damen nicht einmischte.
Das glaube ich jetzt nicht! Wie kann man nur so naiv sein!? Was wenn Morendras seine Kraft verloren hat und wir für immer und ewig in diesem Höllenloch hier festsitzen! Und das alles wegen deinem dummen Egoismus!“
Xii verlor die Beherrschung, der Gedanke für immer hier fest zu sitzen war eindeutig zu viel des guten. Mit einem kraftvollen Sprung attackierte sie Lilly und schlug ihre kleinen Krallen in den dünnen Stoff ihrer Bluse.
Mit einem beherzten Schritt zur Seite wollte die Attackierte noch ausweichen, aber der pelzige Dämon hing bereits an ihr. Leider forderte die Unachtsamkeit der Beiden rasch ihren Tribut, denn sie hatten vergessen das direkt neben ihnen ein steiler Hang in die Tiefe führte.
Lillys Fuß rutschte ab und jeder Versuch noch Halt zu finden war vergebens, die losen Blätter waren ihr keine Hilfe. Philipp erwachte sofort aus seiner Starre und versuchte noch einen rudernden Arm zu erwischen, aber er war zu langsam.
Lilly! Nein!“
Wieder echote ein Schrei durch das idyllische Tal, doch dieses Mal lag Angst darin. In letzter Sekunde bekam die Ellydre eine Wurzel zu packen und klammerte sich mit aller Kraft an sie. Keuchend hob sie ihren Kopf, keine zwei Meter waren sie abgerutscht, aber sie fand inmitten all der Blätter, Mose und Farne keine Möglichkeit sich an irgendwas hoch zu ziehen.
Ihre Füße suchten ebenfalls ohne Erfolg eine Möglichkeit um sich abzustützen.
Xii kletterte auf Lillys Schulter und warf einen Blick hinunter, Bäume hatten ihre Wurzeln über Jahre tief ins Erdreich gegraben und trotzten rings um sie herum den Widrigkeiten, allerdings war keiner von ihnen in Reichweite. Unter ihnen wartete der sichere Genickbruch.
Lilly es tut mir leid... Soweit sollte es nicht kommen.“
Die Ellydre schnaubte und klammerte sich verzweifelt an die kleine Wurzel, ihre Arme begannen schon jetzt vor Anstrengung zu zittern. Dennoch formten ihre Mundwinkel ein Grinsen.
Wir sind beide Idioten, und das haben wir nun davon.“
Philipp kniete dicht am Rand des Abgrundes, sein Herz klopfte panisch in seiner Brust. Als er sich flach auf den Boden legte streckte er die Hand so weit es ihm möglich war nach den beiden aus, aber es reichte nicht.
Hektisch suchte er die Umgebung ab, irgendwas musste sich doch als nützlich erweisen. Aus lauter Verzweiflung griff er nach einem Ast der auf jeden Fall bis zu Xii und Lilly reichen würde und einen robusten Eindruck machte. Aber würde er ihn auch halten können?
Ohne weitere kostbare Minuten zu verschwenden ging er vor der Absturzstelle auf ein Knie nieder und klemmte sich das eine Ende des Astes in seine Achselhöhle, es musste einfach klappen, er würde sie nicht schon wieder fast verlieren.
Halt dich an dem anderen Ende fest! Ich werde euch dann hochziehen!“
Zittrig löste Lilly eine Hand von der lebensrettenden Wurzel und versuchte nach dem Holz zu greifen, vor Schreck, als sie merkte das die Wurzel ein kleines Stück nachgab, keuchte sie auf und zog die Hand wieder zurück.
Xii! Klettere du als erstes an dem Ast hinauf. Dann kann ich mich besser konzentrieren.“
„Rede keinen Unsinn, ich kann dir keine große Hilfe sein, aber ich werde dich mit Sicherheit nicht allein lassen!“
Lilly stöhnte aufgrund der Sturheit ihrer Freundin auf. Feste biss sie sich auf die Unterlippe, über ihnen rief Philipp immer wieder sie soll endlich zugreifen.
Ein letztes Mal atmete sie tief durch und setzte alles auf die eine Karte die sie noch hatte. Sie griff nach dem Ast und kaum das ihre Hand sich festklammerte, ging ein schwaches Licht von dem toten Stück Holz aus.
Von oben kämpfte Philipp gegen das Gewicht an und versuchte die beiden nach oben zu ziehen, dann bemerkte auch er das schwache Licht und dass das Holz des Astes begann sich zu verformen.
Was zum?!“
Er erschrak so sehr das er das Gleichgewicht verlor und seine Füße den Hang hinunter schlitterten. Blätter taumelten wild durcheinander, Schreie erklangen und schreckten die letzten Vögel auf. Ein gleißender Lichtblitz blendete ihn und er stürzte mit Lilly und Xii in die Tiefe.
Der erwartete Schmerz blieb aus, stattdessen hatte er das Gefühl immer weiter zu fallen. Plötzlich jauchzte eine Frauenstimme vor Freude auf und er traute sich wieder die Augen zu öffnen. Noch immer hielt er das eine Ende des Astes in Händen, und Lilly das andere, aber etwas ganz entscheidendes hatte sich verändert. Knorrig zwirbelte sich das Holz um kleine und große Bernsteine die leuchteten als wären sie aus Gold. Feine grüne Ranken schlängelten sich empor wo eine Gabelung zwei große Bögen beschrieb die sich zur Mitte hin wieder vereinten. Genau dort ruhte der größte aller Bernsteine und spiegelte sein verblüfftes Gesicht wieder.
Das ist Morendras! Wir haben ihn gefunden! Oder er uns! Xii, Philipp, ist das nicht unglaublich?“
Um sie herum herrschte vollkommene Finsternis und sie schienen in ein endloses Nichts zu stürzen, Lillys Freude konnte Philipp nicht wirklich teilen, er machte sich vor Angst fast in die Hosen.
Xii krallte sich so fest sie nur konnte an den Stoff der Lillys Schulter bedeckte, auch sie jubelte auf als sie erkannte welch glorreichen Fund sie gemacht hatten.
Eine starke Böe riss an ihnen und plötzlich blitzten überall Lichter in allen möglichen Farben auf und rasten an ihnen vorbei. Philipp verlor den Halt und rutschte von Morendras ab, vor lauter Furcht gelang es ihm nicht einmal mehr zu schreien als er sah wie weit er sich von Sekunde zu Sekunde von ihnen entfernte.
Grelles Licht blendete ihn und er bedeckte seine Augen, ihm war als würde sein Fall gebremst, ein Gefühl als ob sich ein riesiges, weiches Polster unter ihm auftat. Leider schien das Polster nicht sehr robust zu sein, denn im nächsten Augenblick prallte sein Rücken auf etwas hartem auf. Ein fauliger Geruch stieg ihm in die Nase, ließ ihn sogar fast würgen, und es dauerte auch nicht lange bis er sich erinnerte woher er diesen Geruch kannte.
Ein klappernder Laut ließ das Blut in seinen Adern gefrieren.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen