Fachidiot 3. Kapitel Teil 2

Ganz leise nahm sie eine Stimme in der Ferne wahr. Seltsam fremde Gerüche lagen in der Luft, sie kannte diesen Ort nicht.
Schon die Augen zu öffnen kostete sie enorm viel Kraft, und erkennen konnte sie im ersten Moment noch nichts. Alles um sie herum war verschwommen, da war nur dieses leise Flüstern. Als sie versuchte sich zu bewegen brach in ihrem Kopf ein Gewitter aus Schmerzen aus. Ein leises Stöhnen verließ ihre Lippen und das Flüstern verstummte. Es gelang ihr nicht ihre Hand zu heben, irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht. Lilly versuchte sich zu erinnern was geschehen war. Nachdem sie Louisa geheilt hatte war sie mit ihren Freunden auf dem Weg zum Wagen gewesen, und dann? Nichts mehr.
Endlich! Endlich bist du wach!“ Jemand kam auf sie zu gerannt und sie blinzelte einige Male die Benommenheit fort.
Grelles Licht blendete sie, schmerzhaft pochte es in ihrem Schädel. „Ah... Wo... wo bin ich.“
Deine Pupillen reagieren also gleich auf Lichteinfall.“ Die kleine Taschenlampe legte er auf einen Beistelltisch und kritzelte eilig ein paar Notizen in ein kleines Buch. Anschließend verstaute er es griffbereit in der Brusttasche seines weißen Kittels.
Langsam klarte sich der Blick der Ellydre auf und sie konnte den Mann vor sich besser erkennen. Er trug das blonde Haar kurz, die Haut war von der Sonne verdunkelt, und sein großer schlanker Körper war in eine weiße Tracht gehüllt. Sie erkannte ihn wieder, er war in dem Zimmer bei Louisa gewesen und hatte sie untersucht. Philipp hatte ihr einmal erklärt was ein Arzt ist, jemand der kranken Menschen hilft, sie brauchte keine Menschenkenntnis um in seinen eisig blauen Augen zu lesen das er ihr nicht beabsichtigte zu helfen. Ein grausames Grinsen lag auf seinen Zügen und sie konnte freudige Erregung in seinem Blick lesen.
Der Fremde ging wieder zurück zu einem großen Tisch auf dem viele Papiere gestapelt waren und verschiedene Dinge herum lagen. Vieles konnte sie nicht zuordnen, längliche Gegenstände glänzten im fahlen Licht das Neonröhren dem fensterlosen Raum spendeten. An den Wänden erblickte sie Regale voll mit Büchern, gläsernen Kästen in denen verschiedene Insekten reglos zur Schau gestellt waren und Selbige mit Blättern von Pflanzen.
Weiter wirkte der Raum eher kühl und lieblos. Noch einmal versuchte sie sich an den Kopf zu fassen, aber dann wurde sie sich dem bewusst was nicht stimmte. Ihre Hände und auch die Füße waren an den Stuhl gebunden auf dem sie saß und schränkten ihre Bewegungen deutlich ein. „Warum haben sie mich hier her gebracht?“
Lauenstein kam mit großen Schritten auf sie zu und grinste beinah über das gesamte Gesicht. „Du hast mich neugierig gemacht, ich habe dich nämlich gesehen. Das Grüne Leuchten... diese Tentakeln an deinen Armen. Sehr unvorsichtig und dumm.“ Er zog einen Bürostuhl an sich heran und ließ sich ihr direkt gegenüber nieder. „Dazu noch eine Patientin für die ich keine fünfzig Cent mehr gewettet hätte und die plötzlich wieder kerngesund war.“ Bedächtig schüttelte er den Kopf als er sie mit seinen Augen zu verschlingen schien. „Was bist du?“
Lilly presste ihre Lippen zu einer dünnen Linie zusammen die rasch weiß wurde als das Blut entwich. Es fiel ihr schwer gerade sitzen zu bleiben, sie war bereits durch die Heilung sehr geschwächt. „Könnt ihr mir etwas Wasser geben bitte? Ich...“ Mitten im Satz riss sie eine schallende Ohrfeige aus dem Takt. Der Sturm aus Blitzen, welche sich schmerzhaft in ihren Kopf bohrten kehrte zurück. Bevor sie wusste wie ihr geschah schnarrte der Fremde leise, „Die Fragen stelle ich hier. Also, was oder wer bist du?“
Als sie ihre Augen wieder aufschlug rollte ihr Kopf langsam zur Seite, was sollte es ihr bringen zu schweigen, er würde keinen Nutzen durch ihre Informationen davon tragen. „Lillaraya ist mein Name und ich bin eine Ellydre.“
Schweigen trat ein und der Fremde schien sie durchschauen zu wollen, sprach sie die Wahrheit oder log sie ihn an? „Ellydre? Noch nie gehört.“ Lilly schluckte schwer, ihr Hals war so trocken dass das Sprechen selbst ihr Qualen bereitete. „Ich bin ein Naturgeist, wie eine Fee oder ein Kobold. Wir wohnen unter den Wurzeln alter Bäume und sind normal viel kleiner. Doch um unter euch Menschen zu wohnen habe ich diese Gestalt angenommen.“
Ihre Farce schien Erfolg zu haben, die Augen von Dr. Lauenstein weiteten sich und er machte wieder einige eilige Notizen in sein Buch. Als Philipp einmal ihre Fragen satt hatte, gingen sie in eine Bücherei und sie durfte sich alles ausleihen was sie lesen wollte, darunter auch ein Buch mit irischen Sagen und Legenden.
Sag mir wie du es geschafft hast diese Frau zu heilen!“
Ihr Bruder bat mich darum... wenn ein Mensch krank ist kann ich ihn heilen. Aber der Preis ist hoch, dafür gehört seine Seele dann mir. Wenn der Tod letztlich über den Menschen kommt, wird er keine Erlösung finden. Bis in alle Ewigkeit wird die Seele in Schwärze und Dunkelheit gefangen sein. Ihr Leid und ihre Qual ist die Kraft die ich beziehe wenn ich wieder jemanden anders heilen muss.“ Lauensteins blaue Augen verengten sich und er musterte sie skeptisch. „Wieso heilst du sie dann erst? Was für einen nutzen hast du dadurch?“ Die trockenen Lippen der Ellydre bildeten ein breites, boshaftes Grinsen. „Ewiges Leben. Durch jede Heilung bekomme ich mehr Lebenskraft. Man muss mich nur um die Heilung bitten. Wie einer Hexe der man Eintritt gewähren muss, sonst kann sie das Heim nicht betreten.“
Der Fremde packte sie grob an ihrer Bluse und zerrte sie dicht an sich heran. „Dann bist du doch mehr ein Dämon. Etwas boshaftes.“ Grüne Augen starrten geradewegs in die seinen und er hatte das Gefühl in einen dunklen Abgrund gezogen zu werden. „Nicht boshaft, nicht gütig. Alles hat einfach seinen Preis. Dafür gebe ich schließlich auch das wertvollste Gut der Menschen. Gesundheit.“ Nach kurzem Zögern ließ er sie wieder los und stand auf. Nachdenklich ging er in dem dunklen Zimmer auf und ab. Lilly betete still zu Morendras das er ihre Geschichte glaubte, so würden ihre Kräfte sicherlich nicht so verlockend klingen.
Als ich dein Blut untersucht habe, war ich erst enttäuscht. Es war rot und gewöhnlich. Aber was ich in dieser Substanz gesehen habe, ist mir absolut unbekannt. Ich interessiere mich für Biologie, und forsche neben meiner Arbeit gerne an Insekten und Pflanzen.“ Er schien eher mit sich selbst zu reden als er so auf und ab ging, sich dabei das Kinn rieb und murmelte. „Aber da waren diese gewaltigen Äste auf deinem Kopf die ich gesehen habe. Also scheinst du wirklich so eine Art Naturgeist zu sein...“
Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken als er stehen blieb und sich langsam zu ihr herum drehte. Mit wenigen schnellen Schritten war er bei ihr angekommen und packte sie fest in ihrem Haar, riss ihren Kopf mit einem Ruck nach hinten. Lilly schrie vor Schreck auf und starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Doktor Lauenstein rupfte grob an ihren Haarknoten herum und staunte nicht schlecht als darunter tatsächlich kleine Ansätze von Ästen zum Vorschein kamen. „Interessant...“
Er betastete die Wucherungen und Lilly kniff fest ihre Augen zusammen. „Hören sie auf! Bitte! Ich habe ihnen doch alles gesagt!“
Ohne ein Wort wandte er sich wieder ab und ging zu dem Tisch mit den komischen Gerätschaften. Lillys Herz schlug ihr bis zum Hals, sie musste sich befreien, aber wie? Ihr Blick fiel auf etwas befremdliches in seiner Hand. An dem Griff war ein silberner Bogen befestigt und an einer Seite hatte dieser Bogen viele kleine Zacken. So etwas hatte sie bei Philipp noch nie gesehen.
Du wirst entschuldigen kleiner Naturgeist, aber ich will alles über dich wissen! Alles erforschen! Mit dir kann ich reichlich Geld machen! Viele Patienten würden sicher ein Vermögen zahlen wenn ich ihnen etwas anbieten könnte das sie von all ihrem Leid heilt.“ Sein Mund verzerrte sich zu einem dunklen Grinsen. „Nun ja und ich bin einfach sehr neugierig.“
Ohne zu verstehen was er meinte oder was er beabsichtigte starrte Lilly ihn mit großen Augen an, bis er hinter sie trat und aus ihrem Blickfeld verschwand. Sie versuchte einen Blick über ihre Schulter zu werfen aber eine Hand packte sie fest in ihrem Haar. „Au! Bitte lassen Sie mich los ich...“ Bevor noch ein weiteres Wort fallen konnte blitzte etwas in ihrem Augenwinkel auf und in der nächsten Sekunde füllte der entsetzliche Schmerz alles in ihr aus.
Die Säge grub sich in das Holz von einem ihrer Äste, ein schriller Schrei ließ den Arzt kurz inne halten, dann zog seine Hand ihren Kopf weit in den Nacken und die Säge schnitt tiefer und tiefer eine Kerbe in die Wucherung auf ihrem Kopf. Lillys Körper verkrampfte sich, und sie versuchte verzweifelt sich von ihren Fesseln zu befreien, der Schmerz nahm kein Ende. Endlose Sekunden vergingen, kleine Späne rieselten von ihrem Kopf, bis es endlich vorbei war.
Ihr Atem ging stoßweise, feste gruben sich ihre Fingerkuppen in die Stuhllehne, die Agonie wollte kein Ende nehmen. Erst jetzt brannten Tränen heiß in ihren Augen, feste biss sie sich auf die Unterlippe aber sie konnte sie nicht zurück halten. Tropfen für Tropfen rann ihre Wangen hinab, fiel hinab von ihrem Kinn und versickerte in dem weichen Stoff ihrer Kleidung. Wimmernd wand sie sich auf ihrem Platz.
Staunend ging Lauenstein um sie herum und hielt die Scheibe Holz in seinen Händen. „So viel Harz habe ich ja noch nie gesehen, fast als würdest du richtig bluten.“ Ehrfürchtig betrachtet er das zitternde Geschöpf, an der Stelle wo er das Stück abgesägt hatte, floss zäher Harz hinab und tropfte in ihr Haar. „Sieh mich nicht so an, schau, ich habe doch nur ein kleines bisschen abgeschnitten. Einem Baum tut es ja auch nicht weh wenn man einen seiner Äste abbricht.“ Der blonde Mann ging weiter zu seinem Tisch und ließ sich dort auf einem Bürostuhl nieder. Ganz genau untersuchte er das Holz.
Blut sickerte ihren Mundwinkel hinab, so feste hatte sie sich auf die Lippe gebissen. Stöhnend rollte ihr Kopf zur Seite, nur ganz langsam ebbte der Schmerz den er ihr zugefügt hatte ab. „Doch... sie fühlen Schmerz...“, flüsterte ihre raue Stimme, doch der Fremde reagierte gar nicht darauf.

Was sollte er tun? Klingeln? Um das Haus herum schleichen wie ein Verbrecher? Grübelnd trommelte Philipp auf seinem Lenkrad herum und betrachtete das Gebäude seiner Begierde. Es war durchaus schick, man sah das der, der dort wohnte keine Geldsorgen haben musste. In zwei der großen Fenster brannte Licht, beschien den säuberlich gemähten Rasen vor der Tür und an dem massiven Tor, was Fremde von der Einfahrt fort hielt, hing ein Schild: „Achtung bissiger Hund.“
Eine krächzende, wütende Stimme störte seine Ruhe. „Worauf wartest du noch verdammt? Wir haben keine Zeit zu verlieren! Für Lilly zählt jede Sekunde.“
Verwirrt sah er zu dem kleinen zänkischen Fuchs der auf seinem Beifahrersitz hockte und aufgeregt den Schwanz zucken ließ. „Was meinst du damit, es zählt jede Sekunde?“ Xii bleckte ihre Zähnchen und knurrte leise. „Du hast ihre Dienste in Anspruch genommen ohne die Folgen zu kennen!“ Wunderlich blinzelte Philipp ein paar mal und echote fragend, „Was denn für Folgen?“ Gerade als Xii ihm antworten wollte zuckte sie zusammen und sprang in den dunklen Fußraum des Wagens. Keinen Atemzug später klopfte es an seiner Fensterscheibe.
Schockiert starrte er die Frau im Satinbademantel an, ihr blondes welliges Haar umrahmte ihre harten Züge. Er schätzte sie auf ungefähr sechzig Jahre.
Vorsichtig kurbelte er sein Fenster einen kleinen Spalt auf und räusperte sich. „Ja...?“
Kann ich Ihnen helfen?“ Ihre Stimme und ihr Blick waren völlig gelassen, mit der richtigen Prise Strenge und einer Messerspitze von Gefahr. „Mir ist nicht entgangen das Sie schon eine Weile vor meinem Haus herum lungern.“
Philipp war kurz davor im Boden zu versinken, er erkundigte sich nach einem Doktor Lauenstein der hier wohnen sollte. Die Frau klärte ihn auf das dieser Doktor schon eine Weile nicht mehr hier wohnte, er war zutiefst enttäuscht von seiner miserablen Suche. Doch wie der Zufall es wollte, konnte die Dame im Seidenmantel sich noch erinnern wohin ihr Vormieter ziehen wollte. Erleichtert auf der einen Seite einen Hinweis bekommen zu haben, frustriert auf der anderen Seite das sie nun wieder in eine ganz andere Richtung mussten, fuhr er zu seinem neuen Ziel los.
Nachdem er sich eine Standpauke von Xii hatte anhören müssen wünschte er sich, er hätte etwas um ihr den Mund zu stopfen. Stumm hatte sie ihm eindeutig besser gefallen.
Als er eine Weile lang die Autobahn entlang fuhr fiel ihm wieder etwas ein und er warf seinem Fahrgast einen Blick aus dem Augenwinkel zu. „Was meintest du vorhin damit das ich ihre Dienste in Anspruch genommen hätte ohne die Folgen zu kennen? Welche Folgen?“ Beharrliches Schweigend setzte ein und er dachte schon sie würde ihm auf seine Frage nicht mehr antworten, doch sie schien ihre Meinung geändert zu haben. „Das Lied das Lilly verwendet hatte als sie deine Schwester heilte nennt sich Der Segen der Hüterin. Ellydren erbitten damit die Kraft von Morendras, was für uns so etwas ist wie für euch Mutter Natur. Morendras schenkt ihnen ihre Gabe, alles Leid zu nehmen und eine weiße Blüte erscheint.“
Oh die habe ich gesehen! Diese die Lilly gegessen hatte? Sie wurde ganz...“
Sei endlich ruhig Mensch und hör mir zu. Die Ellydren müssen die Blüte wieder in sich aufnehmen, sonst ist die Magie verwirkt. Sie wird Schwarz weil sie das Leid, die Krankheit und den Schmerz des Geheilten in sich trägt. All das wurde von Lilly aufgenommen, und da sie jemanden von der Schwelle des Todes zurück geholt hat, ist das Übel das sie aufnahm enorm. Eigentlich müsste sie jetzt unbedingt ruhen und Wasser sowie Sonnenlicht zu sich nehmen.“
Den Blick auf die drei breiten Spuren vor sich gerichtet dachte Philipp über ihre Worte nach, er hatte bemerkt das es Lilly nach der Heilung nicht gut gegangen war und sie erschöpft wirkte. Fragend schürzte er kurz die Lippen und zuckte mit den Schultern. „Aber was heißt denn sie hat das Leid in sich selbst aufgenommen? Verspürt sie dann den Schmerz des, sagen wir, Patienten?“ Wieder trat eine lange, unangenehme Stille ein bevor Xii ihm antwortete.
Im Moment des Heilens ja. Aber der Preis den Ellydren zahlen müssen da sie sich die Kraft Morendras ausgeliehen haben, ist weit höher. Sie zahlen ihn mit ihrer eigenen Lebensenergie.“ Fast wäre Xii in den Fußraum gepoltert als Philipp mit einem Ruck des Lenkrades auf den Seitenstreifen fuhr und dort eine Vollbremsung hinlegte.Schrill erhob er seine Stimme. „Habe ich das richtig verstanden? Sie hätte sterben können? Aber warum hat sie denn davon nichts gesagt?“
Xii schüttelte sich und blickte zu dem Menschen auf der ihr dumme und nervige Fragen stellte. „Nein und Ja. An der Heilung selbst kann sie nicht sterben, nur wenn sie sich danach nicht erholen kann. Ihre verbrauchte Energie macht sich am Ende des Lebens bemerkbar, es wird sozusagen verkürzt.“
Kaum konnte er glauben was er da gerade zu hören bekam, das sollte heißen das Lilly früher sterben würde, nur weil sie seine Schwester geheilt hat? Ein schwerer Stein lag in seinem Magen und raubte ihm die Luft zum atmen. Dutzende von Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf, hätte er sie denn gebeten seine Schwester nicht zu heilen, hätte er all das früher gewusst? Eine Frage die er sich nicht stellen wollte, solch eine Entscheidung zu treffen war schrecklich, und er war froh das er es nicht tun musste.
Können wir jetzt endlich weiter fahren? Lilly braucht Hilfe. Wir wissen schließlich nicht was dieser Mensch mit ihr vor hat, oder wieso er sie überhaupt mitgenommen hat.“
Auch wenn es Philipp denkbar schwer fiel, konzentrierte er sich wieder auf den Straßenverkehr und fuhr so schnell er konnte.

Immer mehr Last zog ihre Augenlider nach unten, sie wusste nicht wie lange sie schon in diesem dunklen Loch gefangen war. Immer wieder hatte dieser Arzt sie mit Fragen gelöchert und so langsam fielen ihr keine Lügen mehr ein die sie ihm noch erzählen konnte das er nicht auf die Idee kam ihre Kräfte sehen zu wollen.
Mit der Zunge fuhr sie sich über ihre spröden Lippen, so oft hatte sie ihn gebeten ihr Wasser zu geben aber er wollte sie nicht erhören. Sie fühlte wie die Erschöpfung sie immer mehr ins Dunkel ziehen wollte, jede Bewegung kostete sie eine Menge Überwindung.
Doktor Lauenstein saß an seinem Tisch und untersuchte noch immer ganz faszinierend das Blut und das Stück Holz dieses komischen Wesens. Er sah förmlich schon all die bittenden Menschen vor ihm, die ein Vermögen dafür zahlen würden wieder gesund zu werden. Die krächzende Stimme unterbrach seine freudigen Gedanken. „Wasser... bitte. Ich... sterbe sonst...“
Hellhörig richtete er sich auf und betrachtete die junge Frau. Langsam erhob er sich von seinem Stuhl und ging auf sie zu. Ihm entging nicht wie blass sie geworden war, jede kleine Ader unter ihrer Haut stach blau hervor. Als er sie mit seinen Fingern am Kinn fasste um ihren Kopf zu ihm zu drehen spürte er auch wie rau und trocken sie sich anfühlte.
Unter einem Seufzen wandte er sich wieder ab und zuckte mit den Schultern. „Na schön, ich brauche dich ja schließlich lebend.“
Kurze Zeit später kehrte er mit einem Glas Wasser zu ihr zurück und setzte es an ihren Lippen an. Gierig begann sie zu trinken, Tropfen rannten an ihrem Kinn hinab und benetzte den Stoff ihrer Bluse. Als das Glas geleert war bat sie ihn um mehr, doch er schüttelte lediglich lachend seinen Kopf. „Schau nur wie du gekleckert hast! Wenn du so verschwenderisch bist bekommst du sicher nichts mehr von mir.“ Gerade als er wieder zu seinem Tisch zurück gehen wollte fiel ihm etwas auf. Der feuchte Stoff hatte sich auf ihre Haut abgesenkt und darunter zeichnete sich etwas ab das goldgelb schimmerte.
Mit großen Augen trat er wieder näher an sie heran und fuhr über die kleine Wölbung, sie fühlte sich hart und glatt an. Erst hatte er nur gedacht es sei eine Kette, aber sie ließ sich nicht verschieben und blieb fest an ihrem Ort.
In Lilly stieg Panik auf, immer kürzer wurden ihre Atemzüge. Mit einer groben Handbewegung riss er ein kleines Stück weit ihre Bluse auf und staunte nicht schlecht als er sah das direkt unterhalb ihres Schlüsselbeins ein ovaler Stein in ihre Haut eingewachsen war. Er schimmerte klar wie ein Bernstein und um ihn herum war die Haut bräunlich gefärbt und wirkte sehr knorrig. Als er mit dem Finger darüber fuhr, fühlte es sich wie Rinde an. Dazu verspürte er ein prickeln in seinen Fingerspitzen und ein unsagbares Glücksgefühl kam über ihn. Völlig fasziniert von dem Anblick bildete sich wieder dieses grausame Grinsen auf seinen Zügen, dieses Wesen war weitaus interessanter als er angenommen hatte.
Doktor Lauenstein ging zurück zu dem Tisch mit all seinen Utensilien und suchte sich das passende heraus. Als sie den spitzen Gegenstand in seiner Hand sah versuchte sie mit aller Kraft die ihr noch geblieben war von diesem verdammten Stuhl los zu kommen. „Kommen sie mir damit nicht zu nahe! Sie dürfen meine Seele nicht beschädigen! Sonst bin ich für sie nicht von Nutzen!“ Ihre Worte schienen Wirkung zu zeigen, er blieb vor ihr stehen und überlegte während er sie musterte.
Deine Seele? Das ist ja interessant. Und was machst du damit? Wofür ist sie gut?“
Sie... beinhaltet meine Lebenskraft. Wenn Sie sie beschädigen werde ich sterben.“
Ganz genau taxierten seine Augen die Ellydre, log sie ihn an oder sprach sie die Wahrheit? Sollte er dieses Risiko eingehen? Er erinnerte sich an das intensive Gefühl das über ihn gekommen war als er diesen Stein berührt hatte, er wollte es haben. Um jeden Preis. Mit einer Hand drückte er sie fest in den Stuhl und setzte mit der anderen die Spitze des Messers an ihrer Seele an.
Glaubst du mich zum Narren halten zu können? Wäre dieses Ding hier so wertvoll, wäre es doch nicht so leicht zugänglich oder?“
Lilly war als würde sie sich nicht mehr erinnern wie es war zu atmen, keuchend schüttelte sie wild den Kopf. Viele Lügen hatte sie diesem Menschen erzählt, aber dieses Mal entsprachen ihre Worte der Wahrheit.
Ein lautes Klacken war zu hören, langsam drehte sich Lauenstein herum und starrte auf die Tür, die aus dem Keller hinauf in sein Haus führte. Sie stand offen, aber er erinnerte sich sie nicht zugemacht zu haben als er das Glas Wasser geholt hatte.
Lauschend stand er einen Augenblick lang da, doch er hörte nichts mehr. Seine Anspannung spielte ihm wohl einen Streich. Schmunzelnd wandte er sich wieder der jungen Frau zu, die ihn ängstlich anstarrte. „Wo waren wir noch gleich?“
Die spitze Klinge des Messers kam wieder nahe an sie heran, blanke Panik wallte in der Ellydre auf, mit ihrem gesamten Körpergewicht warf sie sich hin und her, der Stuhl geriet ins Schaukeln und wäre fast zur Seite gekippt. Eine harte Ohrfeige traf sie und benebelte sie für einen kurzen Augenblick.
Ein entsetzlicher Schmerz fuhr durch ihren Körper als Lauenstein versuchte den Bernstein aus seiner Fassung zu hebeln.
Sie stieß einen lauten Schrei aus und wand sich vor Qual. „Bitte! Bitte aufhören!“
Der grausame Mensch dachte nicht daran, Blut quoll bereits hervor aber der Stein ließ sich nicht lockern. Wütend bleckte er die Zähne und stieß leise Flüche aus.
Lilly!!!“
Vor Schreck zuckte der Arzt zusammen und fuhr blitzschnell herum, er traute seinen Augen kaum. Dort oben auf der Treppe stand ein Bursche mit einem Fuchswelpen.
Hey! Wie bist du hier rein gekommen!“
Statt zu antworten polterte Philipp die wenigen Stufen hinunter und marschierte auf ihn zu, wütend blaffte er sein Gegenüber an.
Was hast du mit ihr gemacht du Mistkerl?! Dafür wirst du bezahlen!“ Noch nie in seinem Leben war Philipp so außer sich vor Zorn gewesen. Nicht nur das dieser Kerl Lilly einfach entführt hatte, sondern das er ihr noch sehr schwer zugesetzt zu haben schien brachte sein Blut vollends zum kochen. Das Echo ihres Schreis hallte noch immer in seinen Ohren wieder.
Als Lauenstein seine Fassung wieder hatte stellte er sich aufrecht hin und packte mit der einen Hand Lillys Haar, mit der anderen hielt er ihr die Klinge seines Messers an die Kehle. Die Entwicklung dieses Abends gefiel ihm so gar nicht. Ein Mörder war er in keinem Fall, aber dieser junge Kerl hatte eindeutig zu viel gesehen, mit dem Wissen konnte er ihn nicht laufen lassen. Den Fang der ihn reich machen würde, ließ er sich ebenfalls um nichts in der Welt mehr weg nehmen.
Bleib besser stehen Kleiner. Sonst geht’s deiner Freundin gleich sehr schlecht. Hier einfach in mein Haus einzubrechen war ein denkbar schlechter Plan von dir...“ Seine Augen huschten suchend umher, war da vorhin nicht noch ein Fuchswelpe gewesen? Ein Detail das ihn nur einen Augenblick später nicht mehr kümmerte.
Ohne zu zögern blieb Philipp ein gutes Stück weit von den beiden entfernt stehen, missmutig kaute er auf seiner Unterlippe herum. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen als er zum ersten Mal ganz genau seine Besucherin aus einer anderen Welt musterte. Kabelbinder fixierten ihre Arme und Beine an einem Stuhl, ihre Bluse war zerrissen und frisches Blut breitete sich auf dem weißen Stoff aus. Ihre Haut war fast weiß wie Schnee, irgendwas gelbes war auf ihre Schulter getropft und an ihrem Arm hinab gesickert. Als sein Blick die Spur nach oben verfolgte fiel ihm auf das ihr linker Ast ein Stück kürzer war als der andere und auch dort die gelbe Flüssigkeit überall klebte. Aus müden Augen sah sie ihn an, und dennoch lag auf ihren spröden Lippen ein warmes Lächeln. Ihre leise Stimme war wie ein raues Krächzen.
Phil... ich bin so froh dich zu sehen...“
Weiß traten seine Knöchel hervor als er beide Hände zu zitternden Fäusten ballte.
Ich mach dich fertig du Stück Dreck. Für alles was du ihr angetan hast!“
Du? Das ich nicht lache! Hör mal Bursche, diese Kleine hier wird mich steinreich machen! Kranke Menschen zahlen ein Vermögen wenn sie von ihr geheilt werden wollen, da bin ich mir sicher.
Du hast selbst gesehen was sie mit deiner Freundin im Krankenhaus gemacht hat. Sie hätte die nächste Nacht niemals überlebt. Wenn du mir nicht in die Quere kommst, lasse ich mich gerne dazu überreden dir einen Teil des Geldes abzugeben. Wir zwei könnten uns eine goldene Nase verdienen!“
Seine strahlend weißen Zähne zeichneten sich deutlich von seiner gut gebräunten Haut ab, es wirkte fast sympathisch wie er über das ganze Gesicht grinste. Aber Philipp kam bei seinem morbiden Vorschlag fast die Galle rauf.
Deine Nase wird zwar nicht golden werden, aber ich kann sie in eine peppige Mischung aus Rot, Blau und Lila tauchen wenn du Feigling das Messer weg legst und wir das unter uns klären!“
Es war keine Frage das er an einem Zweikampf noch nie Teil genommen hatte, und er wahrscheinlich keine Chance hatte, aber er war so wütend das sein Adrenalin sicherlich Wunder bewirken würde. So hatte er es zumindest oft schon gehört.
Doktor Lauenstein war recht wenig beeindruckt und brach sogar noch in höhnisches Gelächter aus als das halbe Hemd sich vor ihm aufplusterte und mit großen Tönen um sich spuckte.

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