Fachidiot 2. Kapitel Teil 4

Mit beiden Händen bedeckte er sein Gesicht. Nein, neue Klamotten würde er ihr sicherlich nicht kaufen, im Traum dachte er nicht mal daran! Soll sie doch rumlaufen wie sie will, sollen die Leute doch denken was sie wollen.
Träge sackte er auf einer Bank direkt am Ufer zusammen und spürte nicht einmal Erleichterung als er den Türkisfarbenen Schopf wieder auftauchen sah. Lilly winkte freudestrahlend und meinte er soll ihr doch Gesellschaft leisten. Trotz des verlockenden Angebotes lehnte er dankend ab.
Nach der kurzen Erfrischung stapfte sie wieder aus dem Wasser heraus, ihre Kleidung hing schwer an ihr herab.
Eure Kleidung ist wirklich sehr unpraktisch. Sie lässt kaum Licht durch und zum schwimmen eignet sie sich ebenfalls nicht.“ Nass wie sie war ließ sie sich neben ihm auf der Bank nieder, doch er würdigte sie keinen Blickes und starrte hochkonzentriert in eine andere Richtung.
Bist du nicht auch mit Kleidung her gekommen? Viel war es nicht, aber es war auch Stoff oder?“ Vorsichtig drehte er seinen Kopf in ihre Richtung, entschied sich dann aber doch lieber wieder den Blick ins Grüne schweifen zu lassen.
In dem Ton ihrer Antwort konnte er unmissverständlich eine Art von Kränkung hören.
Das hat meine Mutter für mich hergestellt! Weil ich noch sehr jung bin und meinen Körper noch nicht so beherrsche wie es andere können!“
Xii, die am Ufer saß und grimmig ihr Spiegelbild in der Wasseroberfläche betrachtet hatte wandte ihr den Kopf zu und sah sie skeptisch an. Lilly drohte ihr mit dem Zeigefinger sich nicht diesen Momentes dazu zu entscheiden ihre Sprache in Gegenwart des Menschen wieder zu finden, und zu offenbaren das sie sich einfach zu blöd anstellte und keine Lust zu üben hatte.
Nun hatte sie doch seine Aufmerksamkeit, und er musste alle seine Konzentrationsfähigkeiten darauf verwenden nur ihr Gesicht zu fixieren. Nicht etwa den wohlgeformten Körper, der durch die nasse Kleidung die an ihr klebte, viel zu sehr betont wurde. Ganz langsam nahm er seine Brille ab und hing einen Bügel in den Kragen seines T-Shirts. Diesen Kampf konnte ein junger Mann einfach nicht gewinnen, gestand er sich ein.
Wie meinst du das: Du kannst deinen Körper noch nicht beherrschen?“
Wir Ellydren benötigen eigentlich keine Kleidung wie ich sie getragen hatte. Da unser Körper und unser Geist mit der Natur verbunden sind, können wir die Eigenschaften unseres Endosymbionten mit dem wir auf die Welt kommen, nutzen um unseren Körper zu formen.“
Lilly deutete auf ihre Haarknoten unter denen die Wucherungen ihrer Äste verborgen lagen, anschließend tippte sie auf den gelben, ovalen Stein der etwas unterhalb ihres Schlüsselbeines in die Haut eingewachsen war.
Das ist was wir „Seele“ nennen. Mit ihr können wir die Gabe unseres Symbionten steuern. Meiner ist eine Sturmeiche, doch in eurer Welt kann ich seine Kraft kaum spüren und sie nicht verwenden.
Ellydren die ihre Seele beherrschen, können sich alle möglichen Eigenschaften ihres Inneren bemächtigen und ihren Körper mit Ästen, Blätter, Blüten, oder was auch immer ihnen gegeben wurde, schmücken.“
Sie stockte als Philipp die Hand hob und sie ungläubig anblinzelte.
Endo...symbionten?“
Lilly zuckte nur fragend mit den Schultern. „Diese Bezeichnung habe ich in deinem Wortschatz entnommen als ich deinen Verstand berührte um eure Sprache zu lernen.“
Für diese Enthüllung stand er wieder in Versuchung ihren Hals herum zu drehen, und hoffte einfach das sie seinem Verstand nur die Sprache entnommen hatte.
Ihr geht also mit einer Pflanze eine Symbiose ein? Verstehe ich das richtig?“, als sie nickte sprach er zögerlich weiter. „Könnt ihr euch diese Pflanze aussuchen oder muss sie euch erwählen? Wie soll das funktionieren?“
Lilly überlegte kurz und schüttelte den Kopf. „Nein, wir werden mit ihr geboren, ich weiß nicht ob sie uns erwählt. Wir können sie auf jeden Fall nicht aussuchen, oder sie im Laufe unseres Lebens ändern.“
„Aber wenn du dann sozusagen der Wirt bist, was bist du dann? Der Optik nach ein Mensch oder nicht?“
Seiner Frage folgte langes, schweres Schweigen, ihr Blick wich in die Ferne ab und sie wirkte unnatürlich ernst. Als er schon dachte keine Antwort mehr zu bekommen nahm sie das Wort wieder auf. „Diese Frage kann ich dir nicht ehrlich beantworteten denn ich weiß es selbst nicht. Es gibt eine Legende die erzählt wie wir Ellydren entstanden sind, doch sie wurde einst verboten, weil viele meines Volkes nicht hören möchten das in uns das gleiche Blut wie das des Menschen fließen könnte.“
Philipp brauchte sie nicht bitten diese Legende zu erzählen, sie konnte seinen neugierigen Blick auf ihrer Haut spüren. Ohne den Blick von der Ferne abschweifen zu lassen berichtete was sie einst gehört hatte.
Artham, war ein Mensch, geboren vor vielen hundert Jahren. Sein Herz gehörte der Natur, er studierte sie und lernte von ihr auf eine ganz andere Art und Weise wie es sonst die Menschen taten um ihren Wissensdurst zu stillen. Er besaß die Gabe der Geduld und lauschte dem was der Wind ihm zuflüsterte, was die Pflanzen ihm erzählten wenn er nur gut genug zuhörte. Er nahm sich nie auch nur eine Frucht der Bäume und Sträucher ohne um Erlaubnis zu fragen, seine Ehrfurcht galt jeder Pflanze, jedem Tier, war es auch noch so klein.
Artham war der erste der Druiden, und lehrte viele seinem Pfad zu folgen.
Dennoch zog er die Einsamkeit der Wälder vor, und suchte immer mehr die Stille, bis er schließlich keine Lehrlinge mehr aufnahm und verschwand. Man sagte er folgte einem Flüstern, das immer lauter zu ihm sprach.
Es dauerte viele Jahre lang bis seine Suche ein Ende fand. Er gelangte an einen Ort wohin noch nie ein Mensch gegangen war. Dort im Herzen der Wälder fand er den Ursprung der Stimme die ihn angetrieben hatte. Tief bis in die Erde reichten die Wurzeln des ersten Baumes der je existiert hatte. Morendras.
Sie hatte zu ihm gesprochen, weil sie sah wie sehr er die Natur liebte und achtete. Morendras wollte ihm ein Geschenk machen und bot ihm an von ihrer Frucht zu kosten die ihm ewiges Leben schenken sollte. Doch Artham lehnte ab.
Er sagte ihr dass der Tod ein Teil des Lebens sei, oft wurde neues Leben erst durch den Niedergang eines anderen geboren. Obwohl sie beide so unterschiedlich waren wie das Leben selbst, verband sie eine tiefe Liebe. Artham wich nicht mehr von ihrer Seite, mehr und mehr wurde er ein Teil Morendras, bis beide für alle Zeit miteinander verbunden waren.
Im folgenden Frühjahr wuchsen neue Knospen an Morendras Ästen, sie trugen neues Leben in sich. Aus ihnen entstanden wir, die Ellydren.“
Lilly riss ihren Blick los und blickte in das staunende Gesicht neben sich.
So lautet die Legende, ob sie nun wahr ist, oder nicht, darüber streiten wir noch heute. Niemand weiß es ganz genau.
Ich jedenfalls glaube das an jeder Legende etwas wahres dran sein muss. Wie du bereits erkannt hast, ist unsere Ähnlichkeit mit den Menschen nicht abzustreiten.“
Philipp runzelte die Stirn, etliche Videospiele hatte er in seinem Leben schon gespielt, immer wieder tauchten verschiedene Legen, Mythen und Sagen auf. All das hier wirkte so real wie auch surreal zugleich. „Morendras, so heißt doch auch der Stab den du finden sollst oder?“
Lilly presste ihre Lippen fest aufeinander und nickte. Fast schon verlegen kratzte sie sich an der Wange und druckste herum.
Dieser Stab ist aus ihrem Holz gefertigt. Morendras selbst ist vergangen. Doch in diesem Relikt ruht ihre Kraft inne, daher ist sie für unser Volk von großem Wert.“
Und du... hast dieses Relikt verloren.“
Deutlich war zu spüren wie sehr seine Worte sie getroffen hatten. Bevor er sich auch nur mit einer Silbe bei ihr entschuldigen konnte, war unter ihm ein Knurren zu vernehmen und Xii hatte sich in seinem Hosenbein verbissen. Ihren kleinen Kopf riss sie hin und her um dem robusten Stoff den Gar auszumachen und an sein Fleisch heran zu kommen.
Xii! Lass gut sein, er hat ja Recht.“ Traurig ließ Lilly den Kopf sinken und seufzte leise, ihre Leibwache hatte derweil ein Stück Stoff herausgerissen und gab sich fürs Erste zufrieden. Teils zum Bedauern, teils zur Erleichterung des Besitzers der Hose.
Nachdenklich kratzte er sich an der Schläfe und versuchte die Flut an Fragen in seinem Kopf zu ordnen.
Diese Welt aus der du kommst, wie heißt sie, und... ist sie weit weg von hier? Weißt du das?“
„Der Name unserer Welt lautet Dravasuum. Aber ob sie weit weg liegt...“ Sie richtete den Blick nach oben und betrachtete den blauen Frühlingshimmel. „...ich weiß es nicht. Euer Mond gleicht keinem der unseren Drei. Auch die Tage hier kommen mir kürzer vor.“
Langsam sank ihr Kopf nieder bis ihr Kinn fast ihre Brust berührte, doch bevor das Heimweh zu ihr zurück kehren konnte drang seine Stimme wieder zu ihr durch.
Dravasuum? Habe ich noch nie gehört. Gibt es dort nur euch und die Menschen?“
Ihr Blick formulierte die unausgesprochene Frage ob er denn noch alle Tassen im Schrank hatte allein schon solch einen absurden Gedanken zu haben. „Nein! Es gibt so viel mehr Völker! Die Aktar, Schattenelfen, Lichtelfen, (Unterwelt), (Naturgeister), Drachen... um nur einen Bruchteil zu nennen. Die Menschen sind auf allen Kontinenten zu Hause und sind vielleicht das am meisten verbreitete Volk. Wie ist das denn auf diesem Planeten?“
Drachen... Elfen... Drei Monde... eine Welt mit dem Namen Dravasuum, und weiß der Henker noch alles, das klang immer mehr wie in einem völlig abgedrehten Film. Das konnte doch nicht real sein, aber dieses Mädchen neben ihm war sehr deutlich real. Mit beiden Händen massierte er seine Stirn und atmete die frische Luft tief ein.
Jemand zupfte ihn an seinem Ärmel und blickte ihn mit großen, erwartungsvollen Augen an. „Was? Ah, nein. Ich meine in dem Sinne gibt es nur uns Menschen, Tiere und Pflanzen. Elfen und Drachen kennen wir auch, aber nur aus Fantasie Geschichten, sie waren nie real.“
Wer sagt das?“ Philipp hob ruckartig seinen Kopf und starrte Lilly völlig perplex an.
Wie meinst du das wer sagt das?“ Sie zuckte belanglos mit den Schultern und machte eine ausdehnende Handbewegung. „Wer behauptet denn in eurer Welt gibt es nur euch? Was wenn ihr nicht richtig gesucht habt?“ Mit Gram in der Stimme erklärte er ihr das es völlig unmöglich sei, es gab kaum noch Plätze auf dieser Welt die unerforscht waren. Die Wissenschaft war so weit entwickelt, die Möglichkeiten gleich Null ein vollkommen anderes Volk könnte sich irgendwo auf dieser Welt verstecken. Sicher, man fand heute noch neue Tierarten, neue Pflanzen und Organismen, aber doch keine Fantasie Wesen wie Zwerge und Orks.
Noch einmal zuckte Lilly mit den Schultern und erhob sich schwungvoll von der Bank, das sanfte Lächeln auf ihren Zügen wirkte fast schon geheimnisvoll.
Dann wollen sie vielleicht nicht gefunden werden. Wir Ellydren haben seit mehr als hundert Jahren keinen Kontakt zu anderen Wesen gehabt. Für jene mit einer kurzen Lebensdauer ist mehr als eine Generation vergangen, und wir sind für sie nicht mehr als ein Mythos den es nie gegeben hat.
Außerdem, denk einmal darüber nach. Auch ihr kennt Drachen und Elfen. Das kann doch kein Zufall sein! Vielleicht sind unsere Welten irgendwo miteinander verbunden, wie sonst konnte ich hier her gelangen?“
Euphorisch ballte sie die Hände zu Fäusten und wirbelte zu Philipp herum, ein Feuer der Leidenschaft brannte in ihren Augen das man fast knistern hören konnte.
Zeig mir eure Welt! Ich will alles kennen lernen! Alles Wissen! Vielleicht will Morendras nicht gefunden werden weil sich mein Wunsch noch nicht erfüllt hatte! Ich wollte die Menschen kennen lernen, und bisher kenne ich ja nur dich.“
Nun war der Funke ihrer Euphorie auch auf ihn übergesprungen und er erhob sich schwungvoll von der Bank. Allerdings waren seine Wangen nicht Rot vor Erregung, sondern viel mehr blasser geworden. „Mooooooment mal! Ich bin doch kein Hotel, das geht nicht. Ich muss in die Uni, arbeiten und das machen was ich nun mal mache. Um dich in der Weltgeschichte herum zu führen habe ich gar keine Zeit, und ganz besonders auch keine Lust!“
Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, war er gefangen in einem festen Klammergriff und riesige, grüne Augen blickten voller Sehnsucht zu ihm auf. „Jetzt sei nicht wieder so ein Griesgram! Wir werden sicher viel Spaß haben, und vielleicht hebt das ja auch deine Laune wieder. Ich werde mich auch bemühen dir keinen Ärger mehr zu machen.“ Sie legte ihren Kopf auf seine Brust und schmiegte sich an ihn, er musste ihr einfach alles zeigen, und dann mit in ihre Welt kommen. Seine magischen Fähigkeiten würden ihr sicher helfen, das Exil ihres Volkes zu beenden. „Bitte Philipp.“
Doch seine Reaktion war alles andere als jene, die sie sich erhofft hatte. Grob packte er sie an den Schultern und drückte sie fort von sich, sein Blick war so zornig wie sie ihn zuvor noch nie gesehen hatte.
Hör auf damit. So war das nicht abgemacht, ich sollte dir helfen deinen dämlichen Stab zu finden, und nicht deinen Babysitter zu spielen. Außerdem habe ich dir gesagt du sollst mich nicht ständig anfassen!“ Ohne ein Wort von ihr abzuwarten drehte er ihr den Rücken zu und stapfte den schmalen Weg zurück den sie zuvor gekommen waren. Vorhin noch hatten in seinem Kopf tausende von Fragen gekreist die er ihr über diese mysteriöse Welt hatte stellen wollen, doch nun waren es nur zwei Worte die alles andere in den Hintergrund stellten. Bitte Philipp. Das letzte Mal als er diese Worte in einem lieblichen Sopran vernommen hatte, wollte er jemanden überraschen. Sogar ein Geschenk hatte er ihr mitgebracht, ein Strauß rosafarbener Gerbera die sie so liebte.
Doch leider missglückte seine Überraschung und er tauchte etwas ungelegen in ihrer Wohnung auf, sie hatte bereits Besuch.

Die Blätter über ihr raschelten leise im sachten Wind, kleine Grashalme kitzelten ihre Knöchel und hinter ihr schnatterten zwei Enten die sich gemütlich auf der Wasseroberfläche des kleinen Sees niedergelassen hatten. All das nahm sie nicht wahr, ihr Blick folgte der kleiner werdenden Gestalt im Grün des idyllischen Wäldchens.
Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe herum, warum er plötzlich so empfindlich reagiert hatte war ihr ein Rätsel. War sie ihm doch zu sehr mit ihren Bitten auf die Nerven gegangen? Aber er musste doch auch sehen das alles was in den letzten Tagen geschehen war, zusammen hängen konnte. Gerade als Lilly ihre Starre lösen wollte um ihm zu folgen sprang ihr Xii vor die Füße und mahnte sie in strengem Ton. „Ihr hättet ihm die Legende von Artham und Morendras nicht erzählen dürfen! Selbst unter eurem Volk ist sie streng verboten und ein Geheimnis das kaum einer kennt. Ihr seid zu nachlässig, auch wenn er Euch wohlgesonnen erscheint, Ihr wisst nicht was er im Schilde führen könnte.“
Das letzte Wort war noch nicht völlig verklungen als alle viel Pfoten des kleinen Fuchses in der Luft baumelten und sie lautstark gegen diesen Umgang mit ihr Protestierte. „So oft sage ich dir das du dich nicht über derlei Kleinigkeiten aufregen sollst. Wem soll er es denn erzählen? Meiner Mutter vielleicht?“ Lilly seufzte schwer und packte sich Xii unter den Arm, ihr gefiel die neue Gestalt ihrer Leibwache immer besser. Noch immer wurde sie von ihr bevormundet und bekam ständig Ratschläge, aber ihre kleine, niedliche Gestalt konnte ihr physisch nicht viel anhaben. Insgeheim wünschte sie sich sogar Xii würde auch nach ihrer Rückkehr nach Dravasuum diese Gestalt beibehalten.
Im Laufschritt holte sie Philipp gerade noch ein bevor er das Auto erreichen konnte, sie war sich nicht sicher ob er sie allein hier zurück gelassen hätte, aber in diesem Punkt wollte sie dieses mal kein unnötiges Risiko eingehen.
Philipp, wenn ich etwas aufdringlich war, tut es mir leid. Ich wollte nur...“ Mit einer Handbewegung brachte er sie zum schweigen und schüttelte mit finsterer Miene den Kopf während er ihr die Beifahrertür öffnete. „Lass einfach gut sein, in den letzten Tagen hatte ich aus irgendwelchen dubiosen Gründen wenig Zeit zum schlafen und mich zu erholen. Meine Nerven liegen blank. Steig ein, wir fahren wieder nach Hause, schließlich muss ich noch für die Uni lernen.“
Wortlos stieg sie ein und traute sich auch während der ganzen Fahrt keinen Ton mehr von sich zu geben, sie spürte das irgendwas ihn aufgewühlt hatte, doch konnte sie ihn im Moment schlecht danach befragen ohne das er sie bei voller Fahrt aus dieser müffelnden Maschine warf.
Als die drei wieder zu Hause ankamen, und erfolgreich seinen neugierigen Eltern entgangen waren, drückte er ihr wieder dieses Ding mit der Bezeichnung „Fernbedienung“ in die Hand.
Benutze das wenn du was von der Welt sehen willst, irgendwo läuft bestimmt eine Dokumentration. Dir wird alles erklärt und ich kann in Ruhe lernen.“ Der Schreibtischstuhl aus schwarzem Lederimitat knarzte leise als er sich auf ihm nieder ließ. Mit einer Handbewegung schob er sämtlichen Unrat beiseite der sich auf der Arbeitsplatte angesammelt hatte. Leere Getränkeflaschen, Bücher, Stifte, zerknüllte Papiere und noch etliche weitere Dinge. Irgendwas fiel polternd zu Boden doch er scherte sich nicht darum und schlug ein dickes Buch über Informatik auf. Noch bevor er sich seinen Notizblock bereit legte, stülpte er zwei große Hörmuscheln über seine Ohren. Leise konnte sie den Klang der Musik wahrnehmen der von den Kopfhörern ausging.
Im Schneidersitz ließ sie sich auf dem Boden nieder. Auch hier lagen Kleidungsstücke, Getränkeflaschen und allerlei Krimskrams verstreut. Nach nur wenigen Versuchen hatte sie nun sogar geschafft dieses schwarze Fenster in Gang zu bringen und betrachtete eine Frau die ihr Ratschläge gab wie sie ihre Figur für den nahenden Sommer in Form bringen konnte. Flüchtig warf sie einen Blick über die Schulter und musste zu ihrer Enttäuschung feststellen das Philipp sie nicht mehr beachtete und sich irgendwelche Notizen zu machen schien.
Der Fernseher zog ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich als eine dunkle Männerstimme die wichtigsten Ereignisse des Tages noch einmal zusammen fasste.
Wie paralysiert starrte sie auf vorbeihuschende Bilder die Krieg, Tod, Leid und Zerstörung zeigten. Menschen die Menschen aus Gier und Macht töteten, wie die perfekte Gurkenform auszusehen hatte und wieso man die missratenen selbstverständlich beseitigen musste. Im Anschluss ein paar wenige Bilder von hungernden Kindern und was die Mode der kommenden Saison zu bieten hatte. Alles scheinbar belanglos aneinander gereiht, im stetig gleichbleibenden Ton eines unsichtbaren Mannes vorgetragen. Ihr glitt die Fernbedienung aus der Hand und mit einem Ruck drehte sie sich zu Philipp herum. „Was hat das alles zu bedeuten? Ist das... wirklich passiert? Das können die Menschen doch nicht zulassen!“
Doch der junge Student hörte sie kaum durch seine Kopfhörer hindurch, winkte desinteressiert ab und murmelte er habe jetzt keine Zeit.
Eine andere Stimme erschallte hinter ihr, und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf eine beginnende Dokumentration mit dem Titel „Der Mensch und sein Konsum“. Lilly rührte sich in der nächsten Stunde keinen Millimeter von ihrem Platz, viel zu sehr bannten sie die Bilder und die Eindrücke die ihr vermittelt wurden. Fassungslosigkeit breitete sich in ihr aus und ihre Hände begannen zu zittern als sie mitansehen musste wie Stück für Stück Regenwald weichen musste um Ackerland zu schaffen. Schließlich mussten alle Tiere die für den Verzehr gezüchtet wurden ja auch mal irgendwann etwas zum essen haben. Ihr Herzschlag beschleunigte sich mit jeder Minute die sie diese Sendung verfolgte, Tränen brannten in ihren Augen als das letzte Thema langsam ausklang und ihr gezeigt wurde wohin das Wasser der Großindustrien verschwand.

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