Fachidiot 2. Kapitel Teil 1

2. Kapitel

Die Schatten welche die Bäume warfen wurden von Augenblick länger und länger. Durch das Blätterdach über sich konnte Lilly erkennen dass das Blau des Himmels immer mehr mit einem rötlichen Schimmer durchzogen wurde.
Seufzend schaute sie hinab auf das Laub und trottete ein paar Schritte weiter.
Nicht weit von ihr hüpfte Xii auf einen umgefallenen Baumstamm und ließ ihren Blick schweifen.
Zu ihrer Rechten fluchte der Fremde den sie heute getroffen hatte, als er scheinbar in eine unschöne Hinterlassenschaft getreten war und dann versuchte seinen Schuh am Laub, so gut es eben ging, zu reinigen.
Beide halfen ihr nun seit Stunden schon in diesem Wald nach dem verlorenen Relikt zu suchen das sie wieder in ihre Welt bringen sollte.
Philipp hatte sie beschrieben wie der Stab Morendras aussah, doch eines ließ sie unerwähnt. Als ihr beim Fall vom Himmel der Stab aus den Fingern glitt, hatte sie noch erkennen können wie er seine Form veränderte. Fort waren die Bernsteine die in dem knorrigen Holz eingelassen waren, und fort waren auch die in sanften Windungen verschlungenen Äste. Morendras war zu einem ganz gewöhnlichen Stück Holz geworden wie sie hier zu hunderten herum lagen.
Eher würde sie sich die Zunge abbeißen als auch nur ein Wort darüber zu verlieren, damit Xii nicht in einem Rausch der Raserei alles zerfledderte was ihr zwischen die Zähne kam.
Ein schwerer Kloß steckte in ihrem Hals, sie hatte das wertvollste Erbe ihres Volkes verloren, und dazu absolut keine Vorstellung davon wie sie es wieder finden sollte.
Würde er sich bemerkbar machen wenn sie in seiner Nähe war, oder wenn sie ihn berührte? Vielleicht hatte er aber auch wie sie in dieser Welt alle Magie verloren? Das würde bedeuten das sie hier festsaß, für immer.
Unter einem tiefen Atemzug holte sie Luft. Das war ganz und gar nicht ihre Art zu denken, sie musste sich zusammen reißen. Sie würde Morendras schon finden, nach Hause zurück kehren und die Standpauke ihres Lebens über sich ergehen lassen.

Der Schlafmangel zerrte an seinen Kräften, und seine Augenlider wurden von Minute zu Minute schwerer.
Nach einem herzhaften Gähnen bemerkte er das bald die letzten Strahlen der Sonne verloschen sein würden, und sie hatten diesen komischen Stab noch immer nicht gefunden.
Er musste der Tatsache ins Auge blicken dass diese Verrückte heute nicht mehr verschwand.
Gerade als er dazu ansetzte nach ihr zu rufen wurde ihm klar das er so versessen darauf gewesen war sie wieder los zu werden, das er nicht mal nach ihrem Namen gefragt hatte.
Hey! Du... da... es wird bald dunkel. Wir sollten besser morgen weiter suchen.“
Irgendwas in ihren Augen und daran wie sie ihre Stirn runzelte, verriet ihm das auch unter ihrem Volk ein „Du Da“ nicht die höflichste Anrede war.
Langsam verschränkte er die Arme vor der Brust und deutete ganz beiläufig eine Vorstellung an. „Mein Name ist übrigens Philipp. Und deiner?“
Mit einem Mal hellten sich ihre Gesichtszüge auf und sie sprudelte ohne Umwege drauf los.
Oh! Stimmt, wir haben uns ja noch gar nicht vorgestellt! Mein Name ist Lillaraya. Nenne mich aber einfach Lilly!
Naja, und Xii kennst du ja.“
Grummelnd fügte er noch hinzu das er auch deren Zähne nur zu gut kennen gelernt hatte und trottete dabei gemächlich in Richtung des Kiesweges der den eigentlichen Wald von dem Park trennte.
Schon aus der Ferne sah er einige Jogger und Leute die mit ihren Hunden spazieren gingen. Hatten die denn um diese Uhrzeit nichts besseres zu tun? Aus dem Augenwinkel musterte er seine Begleitung, seine Schritten verlangsamten sich bis er schließlich stehen blieb.
Kannst du nicht irgendwas gegen diese... Äste auf deinem Kopf tun? Ich meine, du fällst sowieso schon auf. Aber eine kuriose Haarfarbe lässt sich schon eher erklären als... Bewuchs...“
Für mehrere Sekunden starrte sie ihn einfach nur an, ganz langsam zogen sich ihre Augenbrauen zur Mitte ihrer Stirn hin zusammen.
Plötzlich war die überschwängliche Heiterkeit aus ihrem Gemüt verschwunden und sie blickte ihn an, als hätte er sie zutiefst beleidigt.
Für Ellydren ist ihr Bewuchs, wie du es nennst, ihr ganzer Stolz. Sie sind ein Geschenk des Lebens. Umso größer er ist, umso mehr Segen wird uns auf unserem Weg entgegengebracht.
Hier auf diesem Planeten sind sie schon auf die Größe meiner Kindheit zurück geschrumpft. Jetzt soll ich sie auch noch ganz verbergen?“
Beschwichtigend hob Philipp seine Hände, ihr zorniger Blick verunsicherte ihn. Genau einen halben Tag kannte er sie erst, aber das sie auch wütend werden könnte, hatte er ihr irgendwie nicht zugetraut.
Schon gut. Aber die Menschen hier... werden vielleicht komische Fragen stellen und nachher landest du noch als Versuchskaninchen in irgendeinem Labor. Ich will dir nur Ärger ersparen.“
Lilly´s strenger Blick richtete sich auf die Menschen welche den Weg vor ihr passierten, so wenig es ihr auch gefiel, sie musste ihm Recht geben. Seit sie hier war, war sie gezwungen sich vielen fremden Blicken auszusetzen. Was ein Versuchskaninchen und ein Labor war, wusste sie zwar nicht, aber es konnte wohl nichts positives sein.
Ein leises Seufzen war zu hören bevor sie ihre Augen schloss. Nach ein paar Atemzügen hatte sie die nötige Konzentration gefunden und ballte die Hände zu Fäusten.
Philipp befürchtete sie würde gleich in Ohnmacht fallen, so rot wie wie sich ihr Kopf verfärbte. Mit wachsender Überraschung sah er wie sich die Äste Stück für Stück zurück zogen. Als von ihnen nichts mehr zu sehen war atmete Lilly tief aus und tastete am Ansatz ihrer Stirn entlang.
Ihre Lippen umspielte ein zufriedenes Lächeln aufgrund ihrer Willensstärke, just in diesem Moment ging ein Ruck durch ihren Körper und die kleinen Äste wuchsen weiter hinten auf ihrem Kopf wieder heraus.
Oh...“
Wie es aussieht müssen wir damit leben...“
Kapitulierend schüttelte er den Kopf und schlürfte weiter durch das Laub auf den Weg zu.

Auf leisen Sohlen schlichen die beiden zurück in sein Elternhaus, dicht gefolgt von vier kleinen Pfoten.
Erst als sie es in sein Zimmer geschafft hatten konnte er erleichtert aufatmen. Unter seiner Brille massierte er sich mit zwei Fingern seinen Nasenrücken, dabei ließ er sich müde in seinen Sitzsack fallen.
Also gut, morgen ist Samstag, dann muss ich nicht in die Uni. Am besten ich besorge dir etwas zum anziehen, mir ist das zu gruselig wie uns die Leute anstarren. Als wäre ich ein Perverser der darauf steht wenn du meine Klamotten trägst.“
Ihm graute schon davor was seine Schwester wohl seinen Eltern erzählt hatte.
Im Schneidersitz ließ sie sich vor ihm auf dem Boden nieder und berührte geistesabwesend den Teppich auf dem sie saß, Menschen hatten schon merkwürdige Behausungen. „Was ist ein Perverser?“
„Nichts! Vergiss das bloß wieder!“ Stöhnend fuhr sich mit einer Hand über sein Gesicht. Am besten er achtete besser auf seine Wortwahl.
Morgen finden wir hoffentlich deinen dämlichen Stab. Aber für diese Nacht musst du dich an ein paar Regeln halten, du hast mir heute schon genug Ärger gemacht!“
Langsam beugte er sich zu ihr vor und starrte sie mit aller Strenge an die er trotz seiner Müdigkeit noch aufbringen konnte.
Punkt Eins: Ruhe! Keiner soll mitbekommen das du hier bist! Punkt Zwei: Unauffälligkeit! Ich weiß vieles hier ist neu und fremd für dich, aber merkwürdiges Verhalten zieht nur Aufmerksamkeit auf sich. Punkt Drei: Du machst das was ich dir sage, dann haben wir am wenigsten Probleme vermute ich.
Ich will dir helfen das du wieder in deine Welt kommst, und ich will meinen Frieden wieder haben. Also müssen wir uns entgegen kommen.
Hast du das verstanden?“
Als sie auf seine Frage mit einem eifrigen Nicken antwortete seufzte er zufrieden und ließ sich wieder in seinen Sitzsack sinken. Alles was er jetzt noch wollte war eine Dusche und dann ganz viele Stunden Schlaf. Blieb nur noch zu hoffen das diese Ellydren auch schliefen.
Plötzlich schrak er hoch als sich sein Gewissen und seine gute Erziehung bei ihm meldeten. „Du musst sicher Hunger haben! Was... esst ihr denn?“
Mit einem freundlichen Lächeln winkte die junge Frau ab. „Dieses Bedürfnis habe ich nicht. Nur für Wasser wäre ich sehr dankbar, und für Xii Früchte, Beeren, was du da hast“
Die Fuchsdame die bisher vergleichsweise friedlich neben ihr gesessen hatte knurrte Philipp an als wollte sie sich bei ihm beschweren das er erst auf den Gedanken kam dass sie Hunger oder Durst haben könnten.
Kurze Zeit später kam er wieder zurück und stellte Xii eine Schale mit ein paar klein geschnittenen Früchten hin und reichte Lilly eine Flasche Wasser. Als der kleine Fuchs die Schale skeptisch beschnupperte und erst nach langem zögern zu fressen begann fand er es schon etwas schade dem Essen nichts giftiges beigemischt zu haben.
Dieses undankbare Biest...“
Beiläufig nahm Philipp die Fernbedienung in die Hand und warf sie spielerisch von einer Hand in die andere.
Und du brauchst nichts außer Wasser?“
Ohne die Flasche auch nur einmal abgesetzt zu haben leerte Lilly diese in einem Zug und atmete erleichtert auf, kopfschüttelnd blickte sie zu dem Kerl der sie fassungslos anstarrte.
Nein, nur Wasser und Sonnenlicht. Mehr benötigen Ellydren nicht, dafür diese beiden Dinge umso dringender.“
Müde rieb sich Philipp die Stirn und schaltete den Fernseher ein ohne sich etwas dabei zu denken, er wollte nur wie jeden Abend die Nachrichten schauen. Als auf dem Bildschirm eine adrett gekleidete Frau erschien um von den Geschehnissen in der Welt zu berichten, ertönte neben ihm ein schriller Aufschrei.
Lilly hechtete hinter ihn und krallte sich fest in seine Schultern, Xii gab etwas von sich das wie ein Fauchen klang, und bevor er realisieren konnte was hier vor sich ging, sprang die Ellydre schon wieder auf ihre Füße und rannte zu dem Fernseher.
Wie bist du denn dort hinein gekommen?“
Doch die unhöfliche Frau wollte ihr einfach keine Antwort geben! Forsch warf sie einen Blick hinter den Bildschirm und weitete erschrocken ihre Augen. „Haaaa? Das ist ja ganz flach! Das ist Magie!“
Mit einem Sprung um die eigene Achse nahm sie Philipp ins Visier und starrte ihn eindringlich an.
Was hatte er eigentlich erwartet? Das es auch in ihrer merkwürdigen Welt etwas Vergleichbares gab und das hier für sie völlig normal war?
Rasch schaltete er den Fernseher wieder aus und rappelte sich müde auf die Beine, dabei hob er beschwichtigend eine Hand.
Keine Magie. Lediglich Technik. Hör mal... ich kann mir vorstellen... nein, eigentlich kann ich es mir nicht vorstellen, aber hier gibt es ganz viele Dinge die es in deiner Welt nicht gibt. Aber das hat alles nichts mit Magie zu tun.
Wir könnten die ganze Nacht hier sitzen und ich erkläre dir alles, aber ich bin todmüde.
Außerdem gehen wir davon aus das wir morgen deinen Stab finden und wir alle wieder glücklich und stressfrei unserer Wege gehen.“
Philipp atmete einmal tief durch und drehte Lilly den Rücken zu. Ihm war als konnte er das Rattern hinter ihrer Stirn hören.
Irgendwie tat sie ihm sogar ein bisschen leid. Sie war hier in dieser fremden Welt, unwahrscheinlich viele Eindrücke prasselten auf sie ein, überforderten sie... ihr musste der Kopf sonst wo stehen. So wie ihm.
Mit einem Blick über die Schulter sortierte er schon gedanklich ein paar nette Worte, bis sein Bild von einer völlig überforderten Lilly zerplatzte.
Sie lag flach auf dem Boden, beachtete ihn gar nicht, und strich mit einer Hand immer wieder über seinen beigefarbenen Teppich als wollte sie ihn mit vollster Hingabe streicheln.
Wortlos ging er die schmale Holztreppe hinauf, die nur aus wenigen Stufen bestand, und auf eine kleine gemütliche Galerie führte die sich über seinem Schreibtisch befand. Dort oben war es nicht sehr geräumig, gerade mal sein Bett, bestehend aus einer Matratze und einigen Kissen, hatte Platz. Keine drei Meter vom Ende des Bettes führten die Stufen schon wieder hinunter.
Dennoch liebte er diesen Platz. Es war friedlich und ruhig, die meiste Zeit zumindest.
Hinter ihm polterte es schon als ihm Lilly mit Xii auf der Schulter hinauf folgte. Ihre Augen wurden groß und sie quetschte sich an ihm vorbei, eher er reagieren konnte robbte der ungebetene Gast auf SEINEN Schlafplatz und drückte mit beiden Händen auf den Kissen herum.
Woah! Ich habe schon gehört wie Menschen schlafen, aber das es so gemütlich ist hätte ich mir nie vorstellen können.“
Sofort fiel ihr das große Dachfenster schräg über dem Bett auf und sie tatschte wieder mit beiden Händen auf dem Glas herum. „Huch? Was ist das? Ich dachte erst das sein ein Loch!“
Nun konnte man ihre Handabdrücke betrachten statt nur einen langweiligen Himmel voller funkelnder Sterne.
Wütend knirschte Philipp mit den Zähnen und packte sich grob drei größere Kissen und die flauschige Fleecedecke die er in kalten Nächten noch zusätzlich nahm.

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