Prolog:
Langsam und
vorsichtig schoben sich ihre Füße über den glatten Steinboden,
bedacht keinen Ton von sich zu geben nachdem sie sich an den Wachen
vorbei geschlichen hatten.
Die letzte Pforte war
passiert und ihr Ziel war am anderen Ende der riesigen Halle zu
erkennen.
Zu beiden Seiten
reihten sich Sturmeichen wie stille Bewacher auf.
Hastig warf eine der
beiden Gestalten einen Blick über ihre Schulter während sie auf der
Linken Seite der Halle zu dem ersten Stamm huschte.
Der anderen Stockte
ein jedes Mal der Atem wenn sie diesen Ort betrat.
Das Rauschen der
Eichenblätter über ihnen drang an ihr Ohr wie ein Flüstern,
vertraut und doch nicht verständlich. Ein Lächeln legte sich auf
ihre Lippen als sie den Schutz des Stammes verließ hinter dem sie in
Deckung gegangen waren. Das leise Zischen ihrer Begleitung ignorierte
sie.
Es war sowieso ein
Wunder das sie niemand gesehen hatte, unauffällig war ihre Gestalt
trotz des Umhanges in den sie sich gewickelt hatte nicht.
Langes Haar, türkis
wie das Wasser des Tarmarellsees, fiel weit an ihrem Rücken hinab.
Am Rand ihrer Stirn,
oberhalb ihrer Schläfen, wuchsen zwei kahle Äste nach hinten die
sich in viele Zweige teilten. Ihr machte die Last nichts aus, nur
wenn sie schlief und das Gleichgewicht verlor weil ein unverschämter
Vogel sich darauf nieder ließ, murrte sie. Dann wünschte sie sich
ihre Äste hin und wieder einmal weg.
Sie trat in das frühe
Licht des Morgens das durch das Geäst, und die hohen Fenster zu
allen Seiten einfiel.
Ihre tiefgrünen
Augen hefteten sich auf das Ziel am Ende der Halle.
Die riesigen
Steinfliesen waren aufgebrochen und aus ihnen drang der Stamm einer
Sturmeiche die sehr alt geworden sein musste bevor sie ihr Leben
ließ. Der Stamm war doppelt so groß wie derer die vor ihr in Reihe
und Glied standen.
Genau in dessen Mitte
ruhte ein Stab, vollkommen gerade dem Himmel entgegen, als hätte man
ihn feste in die Überreste der Eiche gerammt.
Sein Holz war dunkel
und knorrig, weiter oben gabelte er sich, formte einem schmalen Bogen
dessen Enden sich an der Spitze wieder trafen um eng verschlungen
erneut zusammenzufinden.
Das Gebilde schraubte
sich ein kleines Stück abwärts, in seinem Ende ruhte ein ovaler
Stein.
Neugierige Augen
taxierten den Stab als ihre Füße vor dem Stamm zum Stillstand
kamen, ihre Begleitung huschte noch immer leise fluchend voran
während sie sich immer wieder hinter den Sturmeichen versteckte und
nervös zu der sich entfernenden Pforte in ihrem Rücken blickte.
„Da ist er... der
Stab Morendras. Er soll jeden Herzenswunsch erfüllen.“
Leise flüsterte die
junge Frau mit den Ästen auf dem Haupt die Worte mehr zu sich
selbst.
Vorsichtig griff sie
nach dem Stab und zog ihn mühelos aus der kleinen Kuhle, in der er
geruht hatte.
Erst jetzt bemerkte
sie all die kleinen Bernsteine die hier und da zwischen dem knorrigen
Holz hervor lugten.
Aber keiner war so
klar wie der in der Mitte.
„Wir sollten das
nicht tun Lilly...“ zischte die Stimme dicht hinter ihr.
Grinsend drehte sie
sich mit dem Stab in der Hand um und blickte ihre Begleiterin, ihre
Leibwache, und beste Freundin an. Ihr gesamter Körper war durch
einen dunklen Umhang verhüllt, doch sie musste ihr Gesicht nicht
sehen um den strengen, mahnenden Blick unter der Kapuze zu erahnen.
„Xii! Vertrau mir!
Du musst dich nicht unbehaglich fühlen. Ich habe alles durchdacht!“
„Ich vertraue euch, genau das bereitet mir ja Unbehagen...“
„Ich vertraue euch, genau das bereitet mir ja Unbehagen...“
Schmunzelnd
betrachtete sie wieder den Stab in ihren Händen und holte tief Luft.
Ihre Züge wurden ernster als sie Xii den Rücken wieder zuwendete.
„Bitte
Morendras... ich muss es wissen. Sind sie wirklich alle gleich?“
Langsam, mit
klopfendem Herzen hob sie den Stab mit beiden Händen über den Kopf
und atmete tief durch.
Die Ranken die ihre
Körper von den Händen bis zu den Ellenbogen und von den Füßen bis
zu ihren Knien zierten, schnürten sich enger um sie.
Mit erhobener Stimme
und neu gefundenem Mut starrte sie in den klaren Bernstein.
„Zeige mir die
Menschen! Bringe mich fort von hier!“
Feste Hände packten
sie an ihrem Umhang und rissen sie ein Stück nach hinten, doch sie
merkte es bereits. Die Magie.
Sie kribbelte in
ihren Händen und suchte sich ihren Weg den ganzen Körper entlang.
Der Stein in der Mitte des Stabes begann zu schimmern und kleine
leuchtende Partikel sammelten sich um ihn. Der Anblick erinnerte sie
an kleine Glühwürmchen.
„Hört auf damit
Lilly! Was tut ihr denn da! So war das nicht abgemacht!“
Wütend verkrampften
sich die Hände die ihren Umhang gepackt hatten zu Fäusten.
„Ihr wolltet ihn
euch nur ansehen!“
Mit einem
entschuldigenden Lächelnd drehte Lilly sich um und zuckte mit den
Schultern.
„Kleine Änderung
meines Vorhabens... entschuldige bitte.“
Gerade als sie noch
etwas sagen wollte spürte sie wie sich die Magie des Stabes entlud.
Ein Gefühl von Freude überkam sie, es hatte funktioniert, sie hatte
ihren Herzenswunsch geäußert und die Magie hatte sie erhört.
Der Boden schwand
unter ihren Füßen und die Welt um sie herum verblasste bis nichts
als Finsternis sie einhüllte. Ihr Herz drohte vor Aufregung in ihrer
Brust zu zerspringen, doch noch bevor sie das Hochgefühl ihres
eigenen Triumphs genießen konnte, verließ die Magie sie mit einem
schmerzhaften Ruck der ihre Sinne für den Bruchteil einer Sekunde
benebelte. Dann passierte alles ganz schnell.
Ein kalter Wind riss
an ihr und sie starrte geradewegs in einen klaren Sternenhimmel bevor
sie in die Tiefe stürzte. Sie geriet ins Taumeln und stieß einen
gellenden Schrei in die Nacht aus, vor Schreck entglitt ihr Morendras
aus den Fingern. Mit schreckgeweiteten Augen konnte sie erkennen wie
der Stab seine Form veränderte.
Um sie herum nahm sie
viele grelle Lichter wahr, seltsame Schatten in der Nacht von hohen
Gebilden. Ihr Körper drehte sich im Fall und sie konnte sehen wie
auch Xii unter ihr in die Finsternis stürzte und scheinbar
schrumpfte.
Alles geschah nur in
wenigen Sekunden und ließen ihr keine Gelegenheit einen klaren
Gedanken zu fassen. Erst als die ersten Äste von Bäumen weg
knickten reagierte sie.
In Gedanken bat sie
die Bäume um Hilfe ihren Sturz abzufangen, aber es hatte nicht die
gewünschte Reaktion. Die Bäume erhörten sie nicht.
Schmerzhaft brachen
dickere Äste unter ihr weg als sie versuchte sich daran fest zu
klammern.
Unter einem dumpfen
Stöhnen empfing sie schließlich der weiche Waldboden. Jede Faser
ihres Körpers schmerzte und die Welt um sie herum drehte sich. Ein
leiser Klagelaut war alles was sie noch von sich geben konnte während
sie in die raschelnden Äste hinauf blickte und eine erlösende
Dunkelheit sie umfing.
Das letzte woran sie
dachte waren die merkwürdigen Geräusche die sie wahr genommen hatte
bevor das Rauschen in ihren
Ohren alles übertönte.
Fremde Geräusche die
sie nicht kannte und mit denen sie nichts anfangen konnte.
Von all dem was nur
wenige Meter von seinem Zimmerfenster entfernt vor sich ging, bekam
er nichts mit, obwohl er direkt daneben saß.
Nichts von dem
Lichtblitz am Himmel, und wie in dessen Echo zwei Gestalten sichtbar
wurden bevor sie in die Finsternis der Wälder tauchten.
Sein Blick war starr
auf den Bildschirm vor sich geheftet der ihn schon vor Stunden in
eine andere Welt entführt hatte.
Durch große, runde
Kopfhörer die seine Ohren betäubten drangen Stimmen weit entfernter
Menschen zu ihm durch und ließen ihn schmunzeln.
Er hämmerte auf die
Tastatur vor sich und scherte sich nicht um das Chaos das in seinem
Zimmer herrschte. Überall lagen Kleidungsstücke, leere Flaschen und
seine Umhängetasche achtlos auf dem Boden verstreut. Bücher, Stifte
und ein Schreibblock waren halb heraus gerutscht.
„So Leute. Bin
off´, morgen Uni.“
Stille erfüllte das
Zimmer mit dem schummrigen Licht das neben dem Bildschirm seine
Schreibtischlampe spendete. Er rollte hinter den Gläsern, gefasst in
ein schwarzes Gestell, das ihm ein höheres Seevermögen erlaubte,
die Augen und seufzte unter einem amüsierten Zucken seines
Mundwinkels.
„In Ordnung...
Eines noch!“
Wieder hämmerte er
in die Tasten und merkte nicht wie die Zeit verging.
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