1. Kapitel
In der vergangenen Nacht war er
gekommen. Still und heimlich hatte er Stunde um Stunde das gesamte
Land in seinen Besitz übergehen lassen. Bald würde er seinen
Schleier über jeden Baum und jeden Strauch, über jedes Dach und
jedes Gehöft werfen, und Ruhe Einkehr halten lassen.
Seine Spuren waren noch am nächsten
Morgen deutlich zu sehen, kleine Eiskristalle hatten sich auf Steinen
und Gräsern nieder gelassen, nicht einmal die zögerlichen ersten
Sonnenstrahlen konnten ihnen etwas anhaben.
Der Winter war über das Königreich
Siont gekommen. Zaghaft noch, doch schon bald würden die Nächte mit
Frost und kühler Luft, einer bitteren Kälte und einer dicken
Schicht aus Schnee und Eis weichen.
Starre Grashalme knirschten und
knackten leise unter den Stiefeln des Waidmanns. Um Unsichtbarkeit
musste er sich nicht bemühen, sollten die Bewohner des Waldes ruhig
wissen dass er durch ihr Reich streifte, zu befürchten hatten sie
nichts vor ihm.
Vor zwei Tagen noch hatte er einen
Bären erlegt, und neben einem Eintopf den er sich gekocht hatte,
genügend Fleisch getrocknet dass es ihn einige Tage sättigen
konnte. So hoffte er. Der Hunger seines Begleiters war um einiges
höher als sein eigener, doch dieser war nicht gerade fanatisch auf
getrocknetes Fleisch, er liebte es roh und am besten zappelnd.
Mit einer Hand fuhr der Waidmann über
den Rücken seines Begleiters und ließ das weiche, helle Fell
zwischen seinen Fingern hindurch gleiten. Ein Kopf, mit einer langen
Schnauze in welcher sich gefährlich scharfe Reißzähne befanden,
wandte sich zu ihm um. Braune Augen schauten ihn fragend an und
wirkten fast vorwurfsvoll. Der Waidmann wusste es besser, sie wirkten
nicht vorwurfsvoll, sie waren es.
Der Waidmann atmete tief durch und
raunte mit leiser, dunkler Stimme. „Bald mein Freund.“
Veldig schnaubte zufrieden und sein
warmer Atem kräuselte sich in kleinen Wölkchen in der kalten Luft
des Morgens. Mehr brauchte er nicht zu hören um Gewissheit zu haben,
dass ihre lange Reise bald ein Ende haben würde. Vorerst. Denn eine
lange Pause war ihnen nie vergönnt.
Den Hut tief ins Gesicht gezogen, ließ
der Mensch seine Blicke schweifen. Im hellen Morgenlicht, welches
durch die kahlen Äste der Bäume fiel, tanzten kleine Schneeflocken
umher. Den Wolken konnte
er ansehen dass sie noch nicht den großen Schnee mit sich brachten.
Dennoch war die Kälte schneidend. Er
zog sich seinen schwarzen Schal noch etwas weiter über die Nase, so
dass nur ein kleiner Schlitz entstand zwischen Stoff und Hutkrempe,
durch die man seine blauen Augen sehen konnte.
Ein langer schwarzer Fellumhang
schützte seinen Körper vor der Kälte. Das Tier, welchem das Fell
zuvor gehörte, hatte er natürlich selbst erlegt. Genau wie all
seine restliche Kleidung die er am Leib trug, aus dem besten Leder
seiner Beute bestand.
Er lauschte auf das Knirschen unter
seinen Stiefeln, den Atem seines Begleiters, das Knacken der steif
gefrorenen Äste des Waldes, und das zwitschern der Vögel die hier
überwinterten.
Plötzlich blieb er stehen als wäre er
vom Blitz getroffen. Er packte seinen Begleiter an einem der zwei
Hörner die ihm auf der Stirn wuchsen, und brachte ihn so zum stehen.
Seine buschigen Ohren stellten sich auf, hatte er etwas überhört
dass sein Herr vernommen hatte? Ausgeschlossen.
Des Waidmanns Augen waren geweitet als
er in das Unterholz starrte. Dort, inmitten all des weißen Frosts,
lag etwas auf dem Boden das sich deutlich von seiner Umgebung abhob.
Nur ein paar wenige Schritte musste er gehen um zu erkennen um was es
sich handelte.
Auf dem Boden lag ein armlanger Zweig
einer Tanne, vollkommen vom Frost befreit so dass seine grünen
Nadeln deutlich ins Auge stachen. Jemand hatte ihn von seiner Rinde
befreit, und der Waidmann wusste auch schon wer.
Genau suchte er den Boden ab, seine
Stirn legte sich in Falten denn er konnte keine Fußspuren erkennen.
Langsam und vorsichtig ging er mit seinem Begleiter im Rücken in den
Wald hinein dorthin wo die Spitze des Zweiges deutete, fern ab des
ausgetretenen Pfades. Schon nach wenigen Minuten hatte er den zweiten
Bruch entdeckt. Ein Tannenzweig, wie der erste von Rinde befreit,
doch dieses Mal nur halb so lang.
Er folgte der Spur eine geraume Weile,
der Wald um ihn herum wurde immer dichter und die Rufe der Vögel
verstummten je weiter er ging. Immer mehr Nadelbäume geleiteten ihn
auf seinem Weg, reckten sich hoch empor, schluckten das Licht des
heran nahenden Tages und bescherten ihm einen weichen Boden aus
Nadeln.
Der Waidmann blieb stehen, vor ihm auf
dem Boden lag sein letzter Wegweiser. Zwei kreuzförmig übereinander
gelegte Zweige deuteten ihm an hier zu warten. Langsam ließ er den
Blick nach allen Seiten hin schweifen. Er befand sich in einem Ring
aus Tannen, die erst weit über ihm die ersten Äste trugen, da sie
sich hoch in den Himmel schraubten um den besten Platz nahe der Sonne
zu ergattern. Hier unten in ihrem Schutz war das Licht dämmrig, und
nur weit in der Ferne hörte er noch das Gackern eines Eichhörnchens,
das Singen der Vogel und das Plätschern eines Baches. Seine Ohren
schmerzten, so sehr spannte er sie an, damit ihm kein wichtiges
Geräusch entgehen konnte.
Um so verdrießlicher war er, als er
hinter sich das leise Lachen einer Frau vernahm.
Mit einem lauten Seufzer streifte er
sich den Schal von der Nase und stopfte ihn unter den Kragen seines
Mantels. Sein Begleiter knurrte kurz auf. Er drehte sich so schnell
herum dass eine Schar von Nadeln in die Luft geschleudert wurde, und
anschließend zu Boden prasselte.
„Ruhig mein Freund... du weißt doch
welche Freude sie daran hat uns wie Trottel dastehen zu lassen.“
Der Waidmann zog einen seiner schwarzen Handschuhe aus die ihm bis zu
den Ellenbogen reichten, und tätschelte die Flanke des Tieres.
„Guter Jäger, welch garstige
Unterstellung du mir machst, dass ich Freude empfinde nur wenn jemand
Anders wie ein Narr da steht. Zudem finde ich, dass du doch ganz gut
da stehst.“ Aus dem Dunkel der Bäume schälte sich eine weibliche
Silhouette, in einen feinen, roten Mantel gehüllt den man schon aus
mehreren Metern Entfernung hätte erkennen müssen. Doch das hatte er
nicht, noch nie, und es machte ihn wild so an der Nase herum geführt
zu werden. Das war in der Regel seine Aufgabe.
Stumm wartete er ab bis die Frau vor
ihm zum stehen kam. Ihr roter Mantel reichte ihr bis zu den Knien,
ihre Füße waren in braune Halbstiefel gehüllt und eine schwarze
Strumpfhose schützte ihre Beine vor der Kälte. Um ihre Schulter
hatte sie eine Ledertasche geworfen die so voll war, dass sie nicht
einmal mehr das Stück Horn der oberen Lasche durch die Kordel an der
Frontseite der Tasche schieben konnte um sie zu schließen.
Kein gutes Zeichen.
Unter der tiefen Kapuze die sie sich in
ihr Gesicht gezogen hatte, konnte er ein schmales Lächeln auf ihren
blutroten Lippen erkennen. Ihre grünen Augen, die ihn so genau
taxierten lagen im Schatten. Ein langer, geflochtener Zopf schwarzen
Haares fiel an ihrer rechten Gesichtshälfte hinab, und reichte bis
auf Bauchhöhe.
Der Waidmann zog seine Brauen ein wenig
mehr zusammen und streichelte noch immer über die Seite seines
Begleiters der sich inzwischen wieder beruhigt hatte.
„Eines will ich wissen, wie macht Ihr
das? Hinterlasst keine Fußspuren, Veldig kann eure Witterung nicht
aufnehmen und Ihr pirscht Euch an uns heran ohne das wir auch nur
einen Ton wahr nehmen?“
Statt einer zufrieden stellenden
Antwort zuckte die Frau nur mit den Schultern, ein Grinsen entblößte
ihre Zähne. Doch schon in der nächsten Sekunde erlosch das Grinsen
und etwas Dunkles trat auf ihre Züge.
„Guter Jäger, du weißt, ich habe
dich nicht ohne Grund zu mir geführt. Es gibt einen Auftrag den ich
für dich angenommen habe.“ Aus ihrer vollen Tasche zog sie ein
zusammen gefaltetes Dokument hervor und reichte es an den Waidmann
weiter.
Ohne zu zögern nahm er das Papier
entgegen und faltete es auseinander. Seine blauen Augen huschten
eilig über die niedergeschriebenen Zeilen bis er langsam die Hände
sinken ließ.
„In dem Dorf Kraic soll es plötzlich
einen verfluchten Wald geben, in welchem merkwürdige Kreaturen ihr
Unwesen treiben und des Nachts Dorfbewohner verschleppen? Das ist
alles an Informationen? Um was geht es hier? Aberglauben? Ruhelose
Geister? Dämonen?“
Die Frau in Rot reckte ihr Kinn vor und
deutete damit kurz auf das Schreiben in seinen Händen. „Dies ist
ein Hilfegesuch einer jungen Witwe. Sie leitet das Gasthaus von
Kraic, nachdem ihr Mann verschwunden ist. An das Dorf grenzt ein
großes Waldstück welches bis an die östliche Küste reicht. Seit
einer geraumen Zeit treiben sich Unwesen dort herum, doch ich kann
dir auch nicht sagen von welcher Natur sie sind. Mehr weiß ich
nicht.“
Der Waidmann blickte ihr eine ganze
Weile lang in die Augen. Langsam schob er eine Hand unter seinen
Umhang und löste an seinem Gürtel eine Schnalle. Daran befestigt
hatte er ein altes Buch, der Umschlag war bereits stark abgewetzt und
die dunklen Edelsteine, die in den Einband eingearbeitet waren,
stumpf. Manche Seiten waren lose und blickten überall kreuz und quer
an sämtliche Ecken heraus. Er öffnete das Buch an einer beliebigen
Stelle und steckte das Schreiben hinein. Lautstark ließ er es mit
einer Hand wieder zuklappen und befestigte es dort, wo er es her
genommen hatte. „Gut. Eine Wahl habe ich sowieso nicht. Und so wie
ich Euch kenne, werdet Ihr mir sicher nicht den tieferen Sinn
dahinter erläutern.“
Sie senkte das Haupt so weit dass ihre
Kapuze ihr komplettes Gesicht verdeckte, dennoch konnte er das
Lächeln in ihrer Stimme hören. „Es hat nicht alles einen tieferen
Sinn. Jäger Fisk. Manchmal sind es viele kleine Tröpfchen die sich
zu einem Großen zusammenfügen. Gäbe es das eine Tröpfchen nicht,
gäbe es ein Anderes. Dies ist lediglich ein Hilferuf einer armen
Witwe.“ Kaum hatte das letzte Wort ihre Lippen verlassen, griff sie
in ihre Tasche und holte ein großes Bündel hervor, welches sie
sorgfältig verschnürt hatte. Sie reichte es dem Jäger.
Zum Dank neigte er den Kopf und
befestigte das Bündel an dem Sattel seines Tieres. „Viele Vorräte
sind meist kein gutes Zeichen. Also wird die Reise länger?“
Die Frau kramte noch ein weiteres
Bündel hervor. Sie schlug die obere Lasche ihrer Tasche zurück und
offenbarte die verschiedensten Utensilien, welche sie in eine Reihe
von kleinen Fächern gesteckt hatte. Ihre Finger glitten suchend über
Schreibfedern verschiedener Strichstärken, einem Fläschchen mit
Tinte, einem Kohlestift, einer Pinzette und allerlei Krempel von dem
sie glaubte, es bei sich tragen zu müssen. Sie hielt inne als ihre
Finger die kleine Schere fanden. Das Tier des Jägers leckte sich
über seine Lippen und begann ungeduldig mit einer Pfote auf dem
kalten Boden zu scharren.
Rasch knipste sie die Schnüre auf und
legte ein saftiges Stück Fleisch frei. Kaum hatte sie Veldig ihr
Angebot hingehalten, war es mit zwei Bissen direkt zwischen seinen
mächtigen Kiefern verschwunden.
„Die Reise nach Kraic wird zwei Tage
dauern.“ Sie ging dicht an das Tier heran und strich ihm sanft über
dessen Schnauze. Schmunzelnd betrachtete sie wie es ihr den Kopf
entgegen reckte und verlangte am Kinn gekrault zu werden. Ein
zufriedenes Grollen drang aus seiner Kehler.
Ihr Blick wanderte langsam zu dem
ungeduldigen Jäger, der bereits die Arme vor der Brust verschränkt
hatte. „Geh von hier aus nach Norden.“ Sie deutete knapp auf eine
kleine Schneise zwischen den Bäumen. „Nach einer Stunde solltest
du einen breiten Pfad gefunden haben. Viel befahren von Karren der
Handelsleute. Folge diesem Pfad nach Osten. In zwei Tagen wirst du
Kraic erreichen. Du wirst die Witwe ohne Probleme finden, es gibt
dort nur ein Gasthaus weit und breit.“ Sie wandte sich von dem Tier
ab und trat dicht an den Jäger heran, bevor er fragen konnte, was
dann all die Vorräte sollten, klopfte sie ihm auf den Bauch. „Ich
fürchte nur, du könntest Hunger leiden.“
Der Waidmann erwiderte nichts auf ihre
Worte. Seine Miene war kühl und abschätzend. „Der Winter ist
gekommen.“ Langsam trat sie einen Schritt zurück und nickte ihm
zu. „Ich werde mein Versprechen halten, und du wirst mich finden
wenn du deinen Auftrag erfüllt hast.“
Nun war es der Waidmann der ein paar
Schritte zurück ging und sich von der Frau abwandte, er steuerte die
Richtung an, in welche sie gedeutet hatte. „Komm Veldig. Zeit zu
gehen.“ Sein treuer Begleiter folgte ihm.
Hinter ihm erschallte die Stimme fest,
und brachte ihn dazu sich noch einmal herum zu drehen. „Gib Acht
auf dich, guter Jäger. Verliere dich nicht in den Weiten Dravasuums.
Denn was einmal in dieser Welt verloren geht, kehrt vielleicht nie
wieder zurück.“ Ein Nicken schenkte sie ihm zum Abschied.
„Waidmannsheil.“ Auch der Jäger senkte sein Haupt, berührte mit
Zeigefinger und Daumen die Spitze seines Hutes und bevor er seinen
Schal wieder hoch, bis über seine Nase zog. „Waidmannsdank.“
Es war genau so gewesen wie sie ihm
gesagt hatte. Zwei Tage lang war er dem breiten Pfad gefolgt und in
ein tiefes Tal gestiegen. Der Winter war ihm dicht auf den Fersen.
Die Nächte wurden lang und kalt. Der Waidmann war froh als er in dem
Tal vor sich die ersten Dächer des kleinen Dorfes Kraic entdeckt
hatte. Dort würde ihn ein warmes Bett erwarten.
Nun waren es nur noch wenige Meter bis
er die ersten Häuser erreicht hatte. Überall stieg Rauch aus den
schmalen Schornsteinen in die Luft. An seine Ohren drang das übliche
Treiben eines Dorfes. Das Lachen von Kindern, das Geschwätz der
Weiber, das Klirren aus der nahen Schmiede und die Laute der
Nutztiere. In der Luft lag der Geruch von frisch gebackenem Brot.
Kraic war nicht groß, dennoch machte es auf den Waidmann einen
fortschrittlichen Eindruck.
Die Häuser hatte man zum größten
Teil aus Stein erbaut, die breite Hauptstraße hatte man gepflastert,
dass man im späteren Jahr nicht durch den Matsch waten musste, den
die Handelskarren auf dem weichen Boden hinterlassen würden. Er sah
Schilder aus Metall an den verschiedenen Handelshäusern hängen und
selbst die Kinder aus den ärmeren Verhältnissen trugen festes
Schuhwerk an ihren Füßen.
Der Waidmann saß fest in seinem Sattel
und lenkte Veldig langsam durch die Straßen. Niemand sprach ihn an,
doch jeder der ihn erblickte, blieb wie angewurzelt stehen und
tuschelte hinter hervor gehaltener Hand. Er wusste, es war nicht sein
Anblick allein, sondern viel mehr sein treuer Begleiter dem die
Blicke galten. Die Menschen hier besaßen meist Pferde zum Reiten,
hatten auch schon von dem ein oder anderem Tier aus der Ferne gehört,
doch gesehen hatte hier wohl kaum jemand mehr als die Grenzen des
Dorfes.
Ein kleines Mädchen blieb dicht am
Rand der Straße stehen und starrte zu dem Fremden hinauf. Er hielt
ein und blickte hinab. „Wo finde ich das Gasthaus?“ Mit
zitternden Händen deutete das kleine Mädchen die Straße hinauf,
und stotterte mit leiser Stimme. „Da lang. Beim Goldschmied müsst
ihr dann da lang und dann immer weiter die Straße rauf.“ Ihre
Finger deuteten ihm den Weg, den er eher erahnen konnte, ihrer
Beschreibung nach. „Danke.“
Doch es reichte aus. Er bog beim
Goldschmied zu seiner Rechten ab und folgte der Straße bis er an
dessen Ende in einer Sackgasse landete. Dort baumelte an einem
verwinkelten Gebäude, mit einer großen Stallung, ein rundes Schild
mit der Aufschrift „Zum vollen Krug“.
Der Waidmann schwang sich vom Rücken
seines Begleiters. Noch einen Blick warf er nach oben in den grauen
Himmel. Die Wolken würden mit Sicherheit an diesem Tag noch ein
wenig Schnee mit sich bringen. Mit einem Fingerzeig deutete er Veldig
an zu warten.
Noch bevor er die erste von drei Stufen
hinauf auf die kleine Terrasse des Gasthauses nehmen konnte, öffnete
sich knarzend die schwere Holztür.
Eine junge Frau trat hinaus, ein
Handtuch stopfte sie nebenbei in ihre Schürze und blickte finster
auf den Fremden hinab. Ihr blondes Haar fiel in Wellen ihre Schultern
hinab. Ihre Augen waren von einem hellen Braun, ihre Kleidung
gepflegt und sauber. Und doch sah man ihr ein kurzes aber dafür
hartes Leben in ihrem Gesicht an. „Was wollt ihr?“
Der Jäger blickte sich kurz um, nein
sie musste eindeutig ihn gemeint haben. Seine Schultern zuckten und
fragend breitete er seine Arme aus. „Die Frage müsste ich Euch
stellen, schließlich habt Ihr mich doch gerufen. Nehme ich an.“
Plötzlich hellten sich die Züge der jungen Frau auf und sie trat
aus der Tür hinaus. Ihre Augen huschten einige Male an ihm auf und
ab. „Oh! Ihr seid der Nebeljäger? Entschuldigt ich... habe mir
Euch anders vorgestellt.“ Der Waidmann verschränkte die Arme vor
der Brust und zuckte abermals mit den Schultern. Die Frau hob
abwehrend die Arme und schüttelte den Kopf. „Nein, entschuldigt.
Ich weiß auch nicht. Es überrascht mich einfach dass Ihr so schnell
gekommen seid.“ Mit einem Nicken streifte sie ihre Schürze glatt.
„Mein Name ist Mina Bach und mir gehört dieses Gasthaus.“ Der
Jäger berührte die Krempe seines Hutes. „Thomas Fisk.
Nebeljäger.“
Mina öffnete die Tür hinter sich und
bat den Jäger hinein.
„Kann ich meinen Begleiter bei Euch
im Stall unterbringen?“ Die Wirtin blickte an dem Fremden vorbei
und entdeckte erst jetzt das ihr fremde Wesen. Sofort spannte sich
ihr gesamter Körper an.
Nach einem Blick in die Augen des
Jägers nickte sie ihm unsicher zu. „Natürlich, bringt ihn ruhig
in die Stallungen, nur etwas Futter werden wir für ihn nicht haben.
Vorräte besitzen wir kaum noch.“
Der Waidmann suchte einen gemütlichen
Platz für seinen Begleiter und trat anschließend in die Gaststätte
ein. Ein Junge, mit blondem Haar von vielleicht zwölf oder dreizehn
Sommern, saß an einem der kleinen runden Tische und polierte ein
paar Gläser. Er hielt mit seiner Arbeit inne als er den Fremden
eintreten sah. Außer den dreien befand sich niemand in dem
geräumigen Gasthaus.
Etliche Stühle und Tische standen
bereit, überall brannten kleine Laternen und es roch weder rauchig
noch nach verbrauchter Luft, wie er es aus vielen anderen Gaststätten
kannte.
Sogar die Bodendielen waren blank
geputzt. Scheinbar hatte hier schon lange kein reges Treiben mehr
stattgefunden. Der Waidmann bedachte die Wirtin mit einem
Seitenblick. „Ihr sagtet Ihr habt kaum Vorräte?“
Seufzend ging sie um den breiten Tresen
herum und holte einen Krug hervor. „Schon lange kommen keine
Händler mehr in unser Dorf. Und unsere Jäger trauen sich nicht mehr
aus ihm hinaus. Nur noch wenige Vorräte sind uns geblieben und wir
müssen von dem Leben was uns die nahen Höfe bieten können.“
Der Waidmann löste seinen Umhang von
den Schultern, er erinnerte sich an die Worte seiner Auftraggeberin
als sie ihm die Vorräte in die Hand gedrückt hatte. Diese
Verräterin wusste doch wieder mehr als sie ihm sagen wollte. Das
dicke Fell hängte er auf und ließ vor Erleichterung die Schultern
kreisen. Schon lange hatte er sich nicht mehr so leicht gefühlt.
Als er sich wieder dem Tresen zuwandte
bemerkte er zwar die Blicke der beiden, jedoch schien es ihn nicht zu
kümmern. Die Wirtin starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
Unter dem Fell hatte sich ein ganz anderes Bild von dem Jäger
offenbart. Sein Körper war in einen langen schwarzen Mantel gehüllt
der ihm bis zu den Knien reichte, auch der Rest seiner Kleidung war
schwarz. Sie konnte an seinem Harnisch zwei breite Lederriemen
erkennen die sich auf seiner Brust kreuzten. Zu beiden Seiten
steckten jeweils vier kleine Fläschchen darin, welche mit
Flüssigkeiten verschiedenster Farben gefüllt waren. An seinen, bis
zu den Ellenbogen reichenden Handschuhen, waren auf den
Fingerknöcheln Nieten angebracht, die zwar flach abgerundet waren,
aber bei einem Faustkampf beachtliche Schäden hinterlassen könnten.
Ein
altes Buch war an seinem breiten Gürtel befestigt, gleich
daneben baumelten zwei kleine Beutel mit ungewissem Inhalt. Ein
weiterer Gurt schlang sich um seine Taille, daran befestigt war ein
Köcher mit Pfeilen. Aber noch etwas anderes war an diesem Köcher
befestigt. Eine Armbrust mit silbernen Verzierungen die sicher von
großem Wert war, verlieh dem Fremden eindeutig seine Berufung. Neben
der Waffe hatte er noch ein Jagdhorn befestigt. Bei all den
Eindrücken die wie eine Sintflut über der Wirtin zusammen brach,
hätte sie fast noch ein ganz anderes Detail übersehen, auf welches
der Junge hinter dem Jäger mit erschlafftem Unterkiefer starrte. Auf
dem Rücken des Jägers war ein Zweihänder befestigt, dessen Klinge
gut versteckt in einer abgewetzten Lederscheide steckte, die er hier
und da mit ausgefransten Stofffetzen geflickt hatte.
Nachdem Fisk sich auf einem Hocker
direkt am Tresen nieder gelassen hatte, schaute er in das erstarrte
Gesicht der Wirtin, die noch immer den leeren Krug in Händen hielt.
Da sie neben einem großen Fass mit Zapfanlage stand, ging er davon
aus, sie hatte ihm vielleicht etwas zu trinken einschenken wollen.
Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf dem poliertem Holz des
Tresens. „Entspreche ich für euch nun besser dem Bild eines
Jägers?“ Feste presste die Wirtin beide Augen zusammen und
schüttelte den Kopf als müsse sie erst wieder zu klarem Verstand
kommen. „Ja. Schon besser.“ Sie schob den Krug unter die
Zapfanlage und füllte ihn bis zum Rand mit Bier. Die Schaumkrone
lief über und tropfte zu Boden. „Nun habe ich schon eher den
Eindruck dass all unser Geld nicht umsonst zusammen gekramt wurde.“
Der Jäger betrachtete den Krug vor seiner Nase, angelte mit einem
Finger nach dessen Griff und zog ihn näher an sich heran. Er hasste
Bier, aber er entsann sich seiner guten Kinderstube und sagte nichts.
„Lobt den Tag nicht vor dem Abend, nur weil Ihr mich gerufen habt,
heißt das nicht, dass ich Euer Problem auch lösen kann.“
Betroffenes Schweigen setzte ein, der
Jäger war es, der es wieder brach. „Kommen wir zum Geschäftlichen
Mina. Ihr habt mich gerufen weil die Wälder hier verflucht sein
sollen?“ Kurz presste die Wirtin die Lippen zusammen, ihr stieß es
bitter auf dass der Fremde sie einfach mit ihrem Vornamen ansprach,
aber auch sie entsann sich ihrer guten Kinderstube. „So ist es.
Daher leiden wir auch im Moment Hunger. Das ganze begann vor ungefähr
acht Monaten. Einige Dorfbewohner die im Wald unterwegs waren,
sprachen von merkwürdigen Geräuschen und dem Gefühl beobachtet zu
werden.“ Mit beiden Händen fuhr sie sich über die Oberarme, ganz
als würde sie frieren. „Bis die ersten verschwanden. Seither kehrt
niemand mehr zurück der den Wald betritt. Doch... das ist nicht
alles. Wenn die Nacht herein bricht, hört man vom Waldesrand her
Schreie und unmenschliche Geräusche. Seit sieben Wochen dann, kommt
in jeder Sonntagnacht etwas aus den Wäldern.“ Minas Gesicht wurde
mit jedem Wort deutlich blasser als würde sie einen Geist im Nacken
des Jägers erblicken. „Ein jeder verriegelt die Türen. Niemand
traut sich nachts noch auf die Straßen. Doch auch das stärkste
Schloss kann sie nicht aufhalten wenn sie kommen um einen zu holen.“
Die blauen Augen des Jägers taxierten
die Wirtin ganz genau, er konnte in jedem feinen Wanken ihrer Stimme
deutlich erkennen dass sie niemand war, die sich hier von einer
Schreckensgeschichte abschrecken ließe, die sie irgendwo
aufgeschnappt hatte. Sie hatte den Schrecken wahrhaftig gesehen. In
den Flaschen die hinter ihr Standen sah der Jäger das Spiegelbild
des Jungen, der inzwischen aufgehört hatte die Gläser zu polieren.
„Was kommt des nachts?“
Mina schüttelte so energisch den Kopf
dass ihre welligen Haare hin und her flogen. „Das weiß ich nicht,
ich habe die Wesen nie gesehen! In den Nächten verriegele ich jede
Tür und jedes Fenster.“ Sie beugte sich dem Jäger über den
Tresen entgegen und flüsterte als befürchte sie, jemand könnte
ihre Worte belauschen. „Von der Bäckersfrau, die direkt vorn am
Marktplatz mit ihrem Mann wohnt, weiß ich aber dass die das Wesen
gesehen haben will. Ihr Nachbar wurde vor zwei Wochen geholt.“ Weit
riss sie ihre braunen Augen auf. „Sie traute sich aus dem Fenster
zu schauen und sah wie etwas die Straße in gebückter Haltung
hinunter ging. Es versteckte sich nicht einmal und hielt gezielt auf
die Tür zu. Die Bäckerin sagte, es habe grüne Haut gehabt, die
Statur einer alten Frau und ganz langes weißes Haar.“ Mina
richtete sich wieder auf verschränkte die Arme vor der Brust. „Das
Wesen soll einfach so die verschlossene Tür aufgedrückt haben, man
hörte den Schrei des Nachbarn, dann wurde es wieder still. Nicht
lange dauerte es, dann zog das Wesen den leblosen Mann aus dem Haus.“
Thomas strich sich nachdenklich über
das Kinn. Als seine Finger über die Stoppeln seines Bartes fuhren,
füllte das scharrende Geräusch die Stille des Gasthauses. „Gab es
Blut?“
„Nein. Blut wurde nie gesehen.“
Noch immer fuhr sich Fisk über sein
Kinn. Die Beschreibung der Frau half ihm nicht viel. Zu wage.
Unbrauchbar. Er nahm einen Schluck des ekelhaften Bieres gegen die
Trockenheit seiner Kehle. Wieder trommelten seine Finger über die
Bretter des Tresens während seine blauen Augen wieder die Wirtin
beobachteten. „Ihr sagtet die Ereignisse hätten plötzlich
begonnen? Keine Vorfälle?“ Mina blickte durch ein nahes
Buntglasfenster. Alles was draußen vor sich ging, konnte man nur
anhand von Schemen erahnen. Kein Mensch war auf der Straße. „Nein.
Zumindest nicht das ich wüsste.“
Steckte eine Lüge hinter den Worten
der Frau? Verheimlichte sie ihm etwas? Der Waidmann betrachtete jede
Regung in ihrem Gesicht, doch er sah nur eine Unsicherheit die
überall herrühren konnte. In ihren Augen lag etwas flehendes als
sie Thomas anblickte. „Nebeljäger Fisk, Euer guter Ruf gelangte
sogar in unser abgelegenes, kleines Dorf. Niemand sonst nimmt sich
unserem Problem an. Die Stadtwache traut sich selbst nicht in den
Wald. Wir sandten sogar schon ein Gesuch an unseren König in Siont.
Doch niemand reagierte. Bitte helft uns!“
Der Waidmann griff zu seinem Hut und
legte ihn neben dem Krug ab. Sein mittellanges, blondes Haar lockerte
er auf als er mit den Fingern hindurch strich. Mit beiden Ellenbogen
stützte er sich auf und schaute Mina fest in die Augen. „Ihr habt
mich gerufen, und ich bin Eurem Ruf gefolgt. Wenn ich einen Auftrag
annehme, werde ich so lange an ihm arbeiten, bis er gelöst ist.“
Kaum trat eine Art Erleichterung in das Gesicht der Wirtin, erklang
zum ersten Mal die Stimme des Jungen der bisher stumm an seinem Tisch
gesessen hatte.
„Eben habt Ihr noch gesagt ihr
könntet für nichts garantieren. Warum lügt Ihr?“ Fisk drehte
sich auf seinem Hocker langsam zu dem vorlauten Bengel herum und
lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen. „Das war keine Lüge.
Ich arbeite so lange an meinem Auftrag bis er erledigt ist. Jedoch
kann ich nie eine Garantie geben. Ich bin nur ein Mensch, jeder
Auftrag könnte mein letzter sein, woher soll ich denn wissen was
mich erwartet? Als Toter wird es mir wohl kaum möglich sein weiter
zu jagen.“ Der Junge erhob sich von seinem Platz und verschränkte
fast trotzig die Arme vor der Brust. „Ihr würdet kämpfen bis zum
Tod? Das ist doch dämlich! Nur weil jemand Euch dafür bezahlt?“
Fisk entgegnete den Worten des Jungen mit einem müden Lächeln. „Ich
bin ein Nebeljäger. Jeder, der Hilfe benötigt, kann einen
Nebeljäger rufen, die Motive unserer Auftraggeber sind uns gleich.
Wenn wir einen Auftrag annehmen sind wir unserem Auftraggeber loyal
ergeben, so steht es in unserem Kodex. Und zu dieser Loyalität
gehört den Auftrag zu erfüllen, unter allen Umständen. Man wird
kein Nebeljäger der Bezahlung wegen.“
Der Junge schüttelte nur den Kopf und
stemmte nun seine Arme in die Hüften. „Wenn ihr es nicht wegen der
Bezahlung tut, wieso solltet Ihr euch sonst solch einer Gefahr
ausgeben? Eure Loyalität ist käuflich!“
Über die Züge des Waidmanns huschte
abermals ein Schmunzeln als würde es ihn amüsieren dieses trotzige
Kind zu belehren. „Du hast keine Ahnung über unseren Orden, daher
spare ich mir meinen Atem dir unseren Kodex zu erklären. Nur deine
Frage will ich dir noch beantworten. Wir setzen uns der Gefahr aus,
weil sie ein Teil der Leidenschaft ist, die unsere Berufung ausmacht.
Ich bin kein Jäger geworden weil ich Kaninchen nachstellen will, ich
will die richtige Jagd spüren.“ Er drehte sich langsam wieder
zurück zu dem Tresen, doch seine Augen hafteten noch immer auf dem
Jungen. „Außerdem sagte ich, ich bin jedem loyal gegenüber, der
mir einen Auftrag gibt. Jedoch liegt es an mir welchen Auftrag ich
annehme, und welchen nicht. Ich nehme keine Aufträge an, die gegen
den wichtigsten Punkt unseres Kodex verstößt.“
„Ach, und was ist dieser wichtige
Punkt?“ Der Junge trat ein paar Schritte vor, er vertraute dem
Fremden noch immer nicht, er glaubte weiterhin er wolle seiner Mutter
nur das hart verdiente Gold aus der Tasche ziehen. Der Waidmann
antwortete ihm lediglich mit, „Das geht ein Kind wie dich nichts
an.“ Wütend marschierte der Knabe auf den Jäger zu, doch der
strenge Blick seiner Mutter und ihr scharfer Ton brachten ihn dazu
sich zu zügeln.
„Tobias! Halt jetzt endlich deinen
Mund! Geh lieber auf den Markt und kauf das Brot um das ich dich
schon vor Stunden gebeten habe.“ Auf dem Absatz machte der Junge
kehrt, jedoch nicht ohne dem Fremden noch einen zornigen Blick
entgegen zu werfen. Er sollte ruhig wissen dass er ihn im Auge hatte
und er es ja nicht wagen sollte mit dem Geld seiner Mutter das Weite
zu suchen. Mit stapfenden Schritten ging er die Treppe hinauf um sich
für einen kleinen Einkauf auf dem Markt bereit zu machen.
Mina seufzte leise und blickte den
Waidmann entschuldigend an, „Bitte verzeiht. Mein Sohn ist etwas
aufbrausend geworden.“
„Kein Grund sich zu entschuldigen, er will nur seine Mutter vor Gaunern beschützen und betrachtet ihm fremde Dinge mit Argwohn. Das zeugt von gesundem Menschenverstand.“ Nachdem er noch einen Schluck des scheußlichen Bieres genommen hatte schob er den Krug von sich und rutschte von dem Hocker hinunter. „Noch was das ich wissen müsste? Sonst würde ich mich mal etwas in dem beschaulichen Kraic umsehen.“
„Kein Grund sich zu entschuldigen, er will nur seine Mutter vor Gaunern beschützen und betrachtet ihm fremde Dinge mit Argwohn. Das zeugt von gesundem Menschenverstand.“ Nachdem er noch einen Schluck des scheußlichen Bieres genommen hatte schob er den Krug von sich und rutschte von dem Hocker hinunter. „Noch was das ich wissen müsste? Sonst würde ich mich mal etwas in dem beschaulichen Kraic umsehen.“
Die Wirtin überlegte kurz und
schüttelte den Kopf. Sie ging um den Tresen herum und deutet auf
eine Tür die sich gut versteckt hinter einer Nische versteckt hielt.
„Ich habe eines der Zimmer für euch her gerichtet, natürlich
müsst ihr dafür nicht bezahlen. Nur versorgen müsst ihr euch
selbst, ich schaffe es kaum dass Tobias und ich nicht jede Nacht mit
knurrenden Mägen zu Bett gehen müssen.“ Als Dank erhielt sie ein
Nicken. Der Waidmann nahm sein dickes Fell vom Haken und folgte der
Frau zu der Tür. Auch sie war mit einem dieser Buntglasfenster in
der Mitte versehen. Scharrend zog die Wirtin sie auf und ging die
steile Treppe hinauf. Jede der abgewetzten Stufen knarzte laut unter
ihren Schritten. Es war ein grässliches Orchester als das Knarzen
seiner Schritte sich dazu mischte. Nach nur wenigen Stufen hatten sie
die erste Etage erreicht. Vor ihnen lag ein Korridor der von der
Treppe aus sowohl nach Rechts, als auch nach Links abzweigte. Zu
beiden Seiten sah er jeweils vier Türen an der Wand gegenüber der
Treppe und jeweils zwei Türen an der anderen Wand. Jeder Korridor
endete mit einem weit oben angebrachten, halbrundem Fenster. Es fiel
nur schummriges Licht hinein, und so wie das Gasthaus in der Nische
der Sackgasse gelegen war, vermutete er dass das Sonnenlicht von den
angrenzenden Häusern geschluckt wurde.
Auf dem Boden lag ein bunt bestickter
Teppich der ihre Schritte dämpfte. Vor vielen Jahren einmal musste
er einen prächtigen Eindruck gemacht haben, nun aber war er durch
die Besucher die hier ein und aus gegangen waren schon sehr in
Mitleidenschaft gezogen worden. Als er der Wirtin den Korridor nach
Links hin folgte betrachtete er das Muster des Teppichs. Es zeigte
eine Schlacht in der Männer mit gelb roten Wimpeln und massiven
Rüstungen, Männer in die Flucht jagten, die schäbige schwarze
Rüstungen trugen. Er kannte das Banner auf den Wimpeln wieder, es
war das Banner des Königreiches Siont, in dessen Herzen er sich
gerade befand.
An den Wänden gab es kleine Öllampen
in denen zu dieser Zeit kein Feuer brannte, doch das schummrige Licht
reichte auch so gerade aus. An der letzten Tür zur Rechten
angekommen überreichte sie ihm den Schlüssel den sie während des
kurzen Weges von ihrem Schlüsselring abgetrennt hatte. „Keines der
ist Zimmer belegt, da wie ich sagte im Moment kaum Menschen von
Außerhalb in unseren Ort kommen. Dies hier ist das größte Zimmer
das ich Euch bieten kann.“
„Für mich bedarf es keinem großen
Zimmer, ich werde sowieso kaum hier sein.“
Die Wirtin hob abwehrend die Hand und
drückte seine Finger fest um den Schlüssel den sie ihm gegeben
hatte, ihr Blick war auf ihre beider Hände gerichtet. „Was eure
Bezahlung angeht... Mehr können wir Euch wirklich nicht bieten als
den kleinen Betrag den ich in meinem Gesuch schrieb. Ich dachte schon
ihr würdet für so ein paar mickrige Silbertaler gar nicht erst
kommen. Ich kann euch nicht einmal verpflegen. Es ist mir eine
Schande um Hilfe zu bitten, daher lasst mich doch zumindest alles
dafür tun...“ ,ein Zeigefinger verschloss ihre Lippen. Mit von
Tränen verschleierten Augen blickte sie zu dem Jäger auf. Der
Ausdruck in seinem Gesicht wirkte kühl, aber seine leise Stimme
hatte etwas beruhigendes. „Ruhe. Ich bin vollkommen zufrieden mit
allem, wie es ist. In Ordnung?“
Nachdem sie ihm zögerlich zugenickt
hatte nahm er seinen Finger wieder von ihren Lippen und entzog seine
Hand ihrem festen Griff. Behutsam schob er sie zur Seite um an die
Tür zu seinem Zimmer zu gelangen und steckte den Schlüssel in das
Loch.
Die Wirtin ging einige Schritte
rückwärts und deutete eine Verbeugung an, ihr Gesicht wirkte
plötzlich um viele Jahre gealtert. „Wenn ihr dennoch etwas
braucht, ihr findet mich unten.“
Mit einem leisen Klicken fiel die Tür
hinter Fisk ins Schloss. Seine Augen brauchten einen Moment lang bis
sie sich nach dem Dämmerlicht des Flures an die Helligkeit in seinem
Zimmer gewöhnt hatten. In dem überraschend geräumigen Zimmer stand
ein breites Bett, wahrscheinlich war diese Räumlichkeit sonst einem
verheirateten Paar vorenthalten. Dazu gab es einen Schrank aus edlem
Kiefernholz, einen Tisch und zwei Stühle. Was ihn aber wohl am
meisten überraschte war ein gusseiserner Ofen unweit des Bettes,
daneben stand ein kleiner Korb mit einigen Holzscheiten. Frieren
musste er wohl erst einmal nicht mehr, darüber war er mehr als froh.
Er ging zu einem der kleinen Fenster.
Im Gegensatz zu dem Anderen blickte man nicht direkt auf die Mauer
des Nachbarhauses. Es spendete reichlich Licht und er konnte hinunter
in einen kleinen Hof blicken. Dort sah er einen kleinen Garten, in
dem alles Leben durch den Winter schon zum Erliegen gekommen war,
aber er vermutete dass die Wirtin dort einiges an Obst und Gemüse
selbst anbauen konnte. Hinter dem Garten konnte er einen Verschlag
erkennen, der ganz nach einem Hühnerstall aussah. Das sollte sein
Begleiter Veldig besser nicht spitz bekommen. Viel mehr konnte er
neben einer weiteren Häuserwand und der Mauer des Dorfes nicht
erkennen. Die Mauer wahr nicht all zu hoch, dahinter konnte er in
einiger Entfernung schon die ersten Baumkronen des Waldes aufragen
sehen.
Nachdem der Waidmann seine Reisetasche
aus dem Stall geholt hatte und Veldig von der Last seines Sattels
erlöst, beschloss er sich in dem Dorf ein wenig umzusehen.
Mittlerweile hatte sich der Himmel
durch dichte, graue Wolken verdunkelt und hier und da rieselten ein
paar Schneeflocken hinab. Kraic war kein so winziges Dorf wie er
zunächst angenommen hatte. Als er so durch die gepflasterten Gassen
schlenderte kam er an an allerlei Geschäften von verschiedenen
Handwerkern vorbei, es gab Schneiderinnen, Gerber, einen Juwelier, ja
sogar einen kleinen Laden mit den edelsten Duftwässerchen entdeckte
er.
Das Dorf hatte durchaus ihren Charme,
die Straßen waren zum größten Teil recht sauber, sogar das
kleinste Häuschen hatte Fensterscheiben aus Glas und nun erstreckte
sich vor ihm ein großer, runder Marktplatz. Er bot Freiraum für
allerlei Stände, er konnte sogar erkennen dass überall noch
Vorrichtungen waren wo man Vieh hatte anbinden können. In den
Rinnsalen fanden sich noch Spuren von Stroh und Heu.
Doch eine Sache verlieh der gesamten
Atmosphäre des Dorfes etwas düsteres. Die Stille.
Auf den Straßen, und von denen hatte
er einige durchstreift, hatte er kaum Menschen erblickt. Und jene die
seinen Weg gekreuzt hatten, warfen ihm verstörte Blicke zu. Dabei
hatte er extra wieder sein dickes Fell übergezogen um seine Waffen
zu verbergen. Oftmals machten sie die Menschen nervös.
Mittig auf dem großen Platz befand
sich eine Überlebensgroße Statue die in erhabener Pose auf einem
Podest errichtet war. Der Mann wahr wohl genährt, hatte volles,
lockiges Haar und einen Schnauzbart der sich zu beiden Seiten
verspielt nach oben kringelte. Seine Kleidung war vom aller feinsten
und die Spitzen seiner Schuhe waren nach oben gebogen. Fisk fand
diese Darstellung mehr als lächerlich.
Als er näher an die Statue heran trat
konnte er eine bronzene Plakette erkennen die an dem Sockel befestigt
war. Ihre Aufschrift lautete: Bürgermeister Ivan Müllebreck. Gute
Seele und Beschützer von Kraic. Der Waidmann musste schmunzeln,
selten hatte er solch etwas lächerliches gesehen.
Er hatte genug vom Dorf in Augenschein
genommen. Sein Weg führte ihn weiter, an einer Kirche vorbei, zu
einem kleinen Pfad der aus Kraic hinaus führte.
Seine Füße kamen an den ersten
Büschen und Sträuchern zum stehen, er war nur noch wenige Schritte
von den ersten Baumreihen entfernt. Vor ihm lag der verfluchte Wald.
Alles war von Frost und zartem
Puderschnee bedeckt. Kahle Äste schraubten sich dem Himmel entgegen
und ein kalter Wind brachte die kleinen Zweige zum Rascheln. Ihm fiel
es sofort auf. Wieder diese Stille.
Nichts schien sich aus dem Inneren des
Waldes zu regen, nicht einmal das Zwitschern der Vögel war zu hören.
Alles was an sein Ohr drang waren die Geräusche des verschlafenen
Dorfes hinter ihm.
Langsam schob er seine Füße voran,
passierte die ersten Bäume. Die gefrorenen Blätter unter seinen
Stiefeln knirschten leise. An seinem Rücken verspürte er ein leises
Summen, plötzlich blieb er stehen und ballte die Hände zu Fäusten.
Er wusste was das Summen bedeutete. Sein Schwert spürte etwas, etwas
das hier an diesem Ort nichts zu suchen hatte.
Noch ein wenig langsamer ging er
weiter, blickte nach Rechts und nach Links. Das Knacken eines Astes
durchbrach die Stille so abrupt dass es in seinen angespannten Ohren
schmerzte. Der Schnee, welcher einem Ast zur Last geworden war,
rieselte zu Boden. Fisk suchte die Baumkronen ab, doch in den kahlen
Zweigen konnte sich nichts verbergen.
Gerade als er seinen Weg fortsetzen
wollte, erblickte er einen Schatten weit hinten im Unterholz. Eine
dunkle merkwürdig geformte Silhouette hob sich von denen der Bäume
ab. Ihm war als starrte es ihn an. Ein Gesicht erkannte er nicht,
aber es starrte ihn an. Er wusste es.
Ein Lauter Ruf hallte durch den Wald,
der Jäger wirbelte blitzschnell herum und fuhr mit seiner Hand unter
das dicke Fell. Seine Finger schlossen sich gerade um den Griff der
Armbrust als er einen Mann erkannte, welcher ihm mit einem Arm wild
zuwinkte. „He! Ihr da! Geht nicht in den Wald!“ Fisk blickte
wieder zurück, dort zwischen den Bäumen wo er den Schemen
ausgemacht hatte, war nichts mehr zu erkennen. Suchend schweifte sein
Blick umher, doch was immer ihn beobachtet hatte, war verschwunden.
Seufzend ließ der Waidmann seine
Armbrust wieder los und ging mit langen Schritten zurück zu dem
Mann, der einen gehörigen Abstand zum Waldesrand gelassen hatte und
ihm immer noch mit einem Arm zuwinkte. Mit dem zweiten stützte er
sich auf einer Schaufel ab. Die Kleidung des alten Mannes sah bereits
sehr verschlissen aus, auf seinen Knien waren bereits zu beiden
Seiten große Flicken angebracht. Die unrasierte Haut seines faltigen
Gesichts hing schlaff herab und unter seinem Hut ragten ein paar
graue, verfilzte Haare heraus.
„Seid ihr denn noch ganz bei Sinnen
den Wald zu betreten? Hat euch niemand davor gewarnt Fremder?“
„Doch. Wegen dieses Waldes bin ich
überhaupt hier.“ Der Waidmann kam kurz vor dem Mann zum stehen,
der ihm nun ein fast zahnloses Grinsen schenkte. Hier und da waren
noch einige faule Stummel erhalten geblieben. „Ah ihr seid der
Jäger, stimmt´s? Die Witwen haben das Geld für euch zusammen
gekratzt.“
„Nein. Die Wirtin...“ ,der alte
Mann machte eine wegwerfende Handbewegung und rammte seine Schaufel
in den gefrorenen Boden, sodass ein paar Splitter harter Erde davon
flogen. „Ja, sag ich doch. Die Witwen.“ Der glasige Blick des
Mannes musterte Fisk eine ganze Weile dann drehte er sich herum und
humpelte wieder den kleinen Pfad entlang, seine Schaufel nahm er als
Ersatz für einen Gehstock. „Kommt mit.“
Noch einen Blick warf der Jäger über
seine Schulter und erhoffte noch irgendetwas verdächtiges zu
erblicken, aber der Wald lag still und ruhig da.
„Ihr sagtet die Witwen hätten mich
gerufen? Mina Bach, die Wirtin hatte das Hilfegesuch versandt.“
Jene Frau die ihm vielleicht doch nicht
alles erzählt hatte.
Der alte Mann ging hinkend den schmalen
Pfad zurück in das Dorf. „Sie und ein paar andere Frauen haben all
ihre letzten Silbertaler zusammen gekratzt wie ich hörte um Euch zu
rufen. All diese Frauen müssen sich, seit ihre Männer fort sind,
allein durchschlagen versteht ihr? Es kommen kaum noch Besucher nach
Kraic und das Leben ist hart geworden. Der Winter wird viele Mägen
leer lassen. Wir legen viel Hoffnung in Euren Besuch.“
Fisk hob skeptisch eine Braue. „Warum
müssen ein paar Frauen mich rufen? Gibt es nicht andere die...“
,bevor er weiter sprechen konnte, grunzte der alte Mann laut und
spuckte auf den Boden. „Ihr stellt die falschen Fragen! Weil ihre
Not am größten ist natürlich. Die anderen denken sie werden es
irgendwie noch schaffen, und wieder andere scheißen sich lieber
Haufen in ihre Hosen vor lauter Angst sie könnten die Dämonen des
Waldes nur noch mehr verärgern, wie der Bürgermeister es überall
herum erzählt.“
„Aha. Dämonen. Was erzählt der
Bürgermeister noch?“
Wieder begegneten ihm die glasigen
Augen des alten Mannes, sein Zahnloses Grinsen überzog sein ganzes
Gesicht. „Der fette Bastard? Na dass sich Dämonen in unseren
Wäldern herum treiben! Sie wurden uns von Gott gesandt“ , er
machte eine wegwerfende Handbewegung hoch in den Himmel, „Weil wir
nicht genug beten. Macht einen auf streng gottesfürchtig das fette
Schweinchen. Er sagt wir müssen nur ausharren und beten, dann würden
die Dämonen rasch von uns ablassen und bessere Zeiten würden wieder
heran brechen.“
Fisk leckte sich unter seinen Lippen
über die oberste Zahnreihe. „Ihr mögt den Bürgermeister nicht
sehr, was?“ Nochmal spuckte der alte Mann auf den Boden und rammte
bei jedem Schritt seine Schaufel fester vor seine Füße. „Machen
viele nicht. Aber sie sind zu feige, haben Angst verstoßen zu
werden. Wisst Ihr, niemand aus den anderen Städten und Dörfern rund
herum nimmt Bürger aus Kraic auf, die vor all dem hier geflohen
sind. Sie denken nicht nur unsere Wälder seien verflucht, sondern
wir auch. Man hat keine Wahl, entweder man verhält sich ruhig, oder
man leckt dem Bastard die schicken Stiefel in der Hoffnung in seinem
Arsch noch ein paar Krümel Brot zu finden.“
Die beiden Männer bogen am Rande der
Kirche auf einen kleinen Pfad ein, der unter den tief hängenden
Armen einer Trauerweide hindurch führte. „Wolltet Ihr mir etwas
zeigen, oder warum rieft ihr mich zurück?“
„Bist ein ganz schlaues Bürschchen.“
Der alte Mann öffnete den morschen Zaun und betrat mit dem Jäger im
Rücken den Friedhof von Kraic. Sie gingen hindurch zwischen
verwitterten Holzkreuzen und ein paar Steinen mit Inschriften der
besser Betuchten. Unter der leichten Decke aus Schnee konnte der
Waidmann die Hügel noch gut ausmachen unter denen die Toten ruhten,
ohne versehentlich auf eines der Gräber zu treten.
Vor
ihnen stand, an einem offenem Grab, ein Mann in weißer Kutte
und zitterte vor Kälte am ganzen Leib. Auch sein Buckel war vom
Alter bereits krumm geworden und das letzte bisschen Haar dass ihm
noch geblieben war, zierte seinen Hinterkopf in der Form eines
kleinen Kranzes. Er hob seinen Kopf und blickte sichtlich verärgert
den Beiden entgegen. „Da seid Ihr ja! Wen habt Ihr denn da
angeschleppt?“
Kichernd blieb der Mann mit der
Schaufel stehen und deutete mit seinem Kinn hinüber zu Fisk. „Das
ist der Nebeljäger.“
Mit großen Augen starrte der andere
Mann ihn an, und kniff sie direkt vor Skepsis so weit wieder
zusammen, dass nur noch zwei schmale Schlitze zu sehen waren. „Aha.
Und der soll die Dämonen vertreiben?“ Fast schon drohend hob er
einen Finger in die Luft und wedelte damit vor Fisks Gesicht herum.
„Ich, Pfarrer Petersen bete für dieses Dorf! Gott wird es sein der
unsere Gebete erhört und uns schließlich von den Dämonen befreit.
Wir brauchen Euch nicht.“
„Meine Auftraggeberin denkt da etwas
anders.“ Über die dreiste Antwort des Jägers wich der Gläubige
zurück und schüttelte verdrießlich seinen Kopf. Fisk fuhr sich
über die Stoppeln an seinem Kinn um ein Schmunzeln zu unterbinden.
„Woher wollt Ihr denn wissen dass es Dämonen sind, die hier ihr
Unwesen treiben?“
Der Pfarrer ging so dicht an den
Waidmann heran, dass dieser seinen schlechten Atem riechen konnte.
Und auch in seinen Augen sah er die Wut ihm gegenüber. Er, der
Fremde, der in das Dorf gekommen war um zu zeigen dass ein paar
Gebete nicht ausreichend waren, um dem Spuk ein Ende zu setzen. „In
Jeder Nacht zum Ruhtag kommen sie einen Ungläubigen holen! Alle die,
welche von den Dämonen fort gebracht wurden, waren alles Sündiger.
Ich kannte sie alle! Sie alle haben bei mir ihre Beichten abgelegt.
Aber alles haben sie mir nicht immer erzählt, es waren meine wachen
Augen die ihr sündiges Verhalten enttarnt haben.“ Der Gläubige
ging wieder vor das offene Grab und starrte hinein. „Außerdem
erwarte ich gleich meinen nächsten Beweis!“ Er winkte den alten
Mann mit der Schaufel zu sich und deutete auf das Grab zu seinen
Füßen. „Totengräber! Sagt was Ihr gefunden habt!“
Mit seinem Zahnlosen Grinsen ging der
alte Mann um das Loch im Boden umher, und nutzte seine Schaufel
weiterhin als eine Art Gehstock. „Etwas dass Euch sicher gefallen
wird heiliger Vater. Ihr hattet Recht. Die Toten rebellieren.“
Fisk trat näher an die beiden Männer
heran als sich der Totengräber schwerfällig hinab in das Grab
begab. Der Sarg war aus Stein, ein Zeichen dass hier einer der
Wohlhabenden ehemaligen Bewohner lag. Nur die wenigen konnten sich
einen Steinsarg leisten, selbst einer aus Holz war für die meisten
schon zu viel, und ihre Liebsten verrotteten in Leinentüchern daher.
Der Totengräber schob den Sargdeckel
stöhnend einen Spalt zur Seite und nutzte seine Schaufel dazu die
Platte vom Grab weg zu hebeln.
Leere Augenhöhlen starrten hinauf in
den grauen Himmel. Fast vorwurfsvoll blickten sie auf die drei Männer
empor die seine letzte Ruhe störten. Die Kleidung war fast gänzlich
verfault und die blanken Knochen befreit von jeglichem Fleisch.
Angewidert hielt sich der Pfarrer ein
feines Taschentuch vor Mund und Nase während er sich vorbeugte um
sich den Toten besser an zu sehen. „Ja, und was hast du nun
herausgefunden?“
Unter der langen Krempe seines Hutes
konnte der Waidmann noch immer das zahnlose Grinsen erkennen während
der Totengräber den Leichnam genau musterte. Seine Stimme schnarrte
leise, fast ein Hauch von Verzücken war zu erkennen aufgrund des
Stolzes, den er empfand weil er eine solch bedeutende Entdeckung
gemacht hatte.
Mit seinem knochigen Finger deutete er
auf die Hände des Toten, die wie zu einem Gebet auf seiner Brust
verschränkt waren. „Seht ihr die Fingerspitzen? Sie sind
abgeschürft, fast die Hälfte der ersten Fingerknöchel fehlt
bereits.“ ,sein Fingerzeig richtete sich auf die Unterseite der
Grabplatte. „Und hier hat er sie sich abgewetzt. Seht die
Kratzspuren!“
Der Pfarrer riss seine Augen so weit
auf, dass es wirkte als würden sie jeden Augenblick komplett aus
seinem Kopf treten. So weit vornübergebeugt verlor er das Gewicht
und drohte in das offene Grab zu stürzen. Mit rudernden Armen fand
er im letzten Augenblick sein Gleichgewicht wieder und stolperte ein
paar Schritte rückwärts. Rasch und mit zitternden Händen
bekreuzigte er sich, dazu sprach er im Flüsterton ein Gebet. Er war
unfähig die Augen von dem schrecklichen Anblick abzuwenden.
Fisk sprang ungefragt hinab in das
Loch, und stellte sich in den kleinen Spalt neben dem Grab, welchen
der Totengräber noch zusätzlich geschaufelt hatte. Als er sich über
den Toten beugte betrachtete er genau dessen Fingerkuppen die schon
gar nicht mehr als solche zu erkennen waren. Der Knochen war deutlich
abgerieben. An allen Fingern, mit Ausnahme des Daumens.
Der Waidmann legte den Kopf leicht
schief und beäugte nun die Kratzspuren an dem Deckel des Sargs. Es
war wirklich so als wäre hier jemand lebendig begraben worden, und
hatte versucht sich zu befreien.
Eine seiner Hände schälte er aus
seinen Handschuhen und fuhr mit seinen Fingern über die Kratzspuren.
Sie waren nicht tief, und als er seine Fingerspitzen aneinander rieb
konnte er den feinen Knochenstaub zwischen ihnen spüren.
„Ihr schändet die letzte Ruhe des
Toten!“ Empörte sich der Pfarrer vom oberen Rand des Grabes.
Ohne aufzusehen bekam er vom Waidmann
die passende Antwort, begleitet von einer Kälte in der Stimme die
den heiligen Mann verstummen ließ.
„Das habt Ihr bereits getan als Ihr
dieses Grab ausheben ließt. Mich würde mal interessieren wieso Ihr
das zugelassen habt?!“ Als aber der Pfarrer das Schweigen statt
einer Antwort vorzog, schnarrte der Totengräber neben ihm los,
während dieser in das wütende Gesicht des Heiligen hinauf blickte.
„Unser Heiliger Vater vernahm des
Nachts dumpfe Schreie und ein leises Scharren vom Friedhof. Nacht für
Nacht. Als würden die Toten versuchen aus ihren Gräbern
auszubrechen. Oder etwas ihre friedliche Ruhe stören, sodass sie der
Ursache selbst auf den Grund gehen wollten.“
Fisk betrachtet den feinen Knochenstaub
auf den Fetzen die auf des Toten Brust lagen, und wohl einmal ein
Hemd gewesen waren.
„Und warum habt ihr gerade dieses
Grab ausgehoben?“ ,wollte er von dem Totengräber wissen.
„Wisst ihr eigentlich wie viele Tage
ich damit verbracht habe diesen gefrorenen Boden aufzubrechen und
mich bis zu dem Grab durch zuschaufeln? Vier Tage!
Da dieses Grab hier durch den massiven
Grabstein vom kalten Ostwind geschützt war, und zudem unter dem
Schutz der Äste der Trauerweide lag, habe ich mich für es
entschieden. Es werden ja wohl nicht nur ausgewählte Tote
randalieren, daher spielte es keine Rolle welches Grab ich aushebe.
Mein Rücken ist nicht mehr der beste, daher habe ich das genommen
was vielleicht am einfachsten war.“
Die ausführliche Antwort tat der
Waidmann mit einem Nicken ab und bäumte sich wieder zu seiner vollen
Größe auf. Er konnte keinen Hinweis darauf erkennen dass der
Totengräber das ganze hier nur inszeniert hatte. Die Höhe der
Kratzer auf der Steinplatte stimmten mit der Höhe der Hände des
Toten überein, und es waren eindeutig seine Finger gewesen die diese
Kratzer hinterlassen hatten.
Nachdem Fisk sich aus dem Grab gehoben
hatte, bot er seine Hand dem Totengräber an, welcher sie dankbar
annahm.
Der Pfarrer machte eine ärgerliche
Handbewegung. „Ich werde mit dem Bürgermeister sprechen und
veranlassen dass ab heute jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend
eine Messe zusätzlich einberufen wird. Wir alle sollten zusammen
dafür beten dass die Dämonen verschwinden und die Toten ihre Ruhe
wieder finden.“
Nachdem er sich zum Gehen abwandte,
humpelte ihm der Totengräber nach und streckte seine knochige Hand
aus. „Und was ist mit meinem Lohn? Ich habe vier Tage lang
gefrorene Erde gehackt.“
Die kalten Augen des Pfarrers mahnten
den alten Mann nicht so gierig zu sein. Er strich seine weiße Kutte
glatt und wandte sich wieder ab. „Gottes Dank ist Euer größter
Lohn. Woher soll ich als Heiliger Vater der nichts besitzt, euch
bezahlen?“
Nachdem der Pfarrer außer Hörweite
war, spie der Totengräber auf den Boden und fluchte verbittert.
„Gottes Dank kann ich aber nicht fressen du dreckiger Hund!“
„Ihr scheint den Heiligen Vater nicht
sehr zu mögen?!“
„Pah! Glaubt er kann hier einen auf
selig machen und davon sprechen er wisse alles über die Sünden der
Anderen. Habt ihr seinen fetten Wanst gesehen? Frisst sich jeden
Abend an der Tafel des Bürgermeisters voll und nimmt das Gold aus
dem Klingelbeutel um sich danach noch heimlich eine Flasche Wein zu
kaufen.
Er denkt ein alter Sack wie ich ist
blind und taub was?“ Verärgert machte sich der Totengräber wieder
daran die harten Erdbrocken um das Grab herum wieder zusammen zu
kratzen und die Ruhestätte des Toten erneut zu versiegeln.
„An der Tafel des Bürgermeisters?
Ich dachte die Bewohner von Kraic leiden Hunger?“ Fisk rieb sich
wieder über seine Bartstoppeln und warf einen Blick in die Richtung
in die der Pfarrer verschwunden war. Durch die Buntglasfenster der
Kirche konnte er erkennen wie nach und nach im Inneren Kerzen
angezündet wurden und Flackerndes Licht in die kommende Dämmerung
des Abends warfen.
Der zornige Unterton in der Stimme des
Totengräbers schwoll um ein vielfaches an. Noch eifriger machte er
sich daran die harte Erde zu zerschlagen und die kleinen Krümmel in
das Grab zu füllen.
„Die Normalsterblichen müssen
Hungern, während sich der reiche Pöbel ihre fetten Bäuche
vollschlägt. Ist doch immer so! Ich habe es selbst gesehen und
gehört! Meine Frau ist Köchin des Bürgermeisters. Sie hat mir
erzählt wie voll die Speisekammer steht´s ist, und da ich es nicht
glauben wollte, holte ich sie eines späten Abends selbst ab und
konnte einen Blick hinein werfen. Alles was das Herz begehrt lagert
dort! Und wir müssen uns die Maden aus der Hirse klauben und eine
dünne Suppe daraus kochen um nicht zu verhungern.“ Nach seinen
Worten spuckte er wieder auf den Boden.
Der Waidmann betrachtete den
Totengräber einen langen Augenblick und bewegte seinen Unterkiefer
langsam hin und her als würde er seine Gedanken ganz genau zermalmen
müssen bevor er sie ordnen konnte. Er war erst einen halben Tag hier
und hatte einiges erfahren, von dem manche Dinge nicht gerade neu
waren. Gierige Adlige und scheinheilige Pfarrer gab es in jeder
gesunden Gemeinde wie Sand am Meer.
Eine warme Hand legte sich auf die
Schulter des Totengräbers und brachte ihn dazu seine harte Arbeit zu
unterbrechen. Der Waidmann drückte ihm einen Goldtaler in die Hand
und schloss die knochigen Finger des ungläubig drein blickenden
Mannes darum.
„Für eure Arbeit.“ Mit diesen
Worten wandte er sich ab und ging durch die Straßen zurück zum
Gasthaus. In seinen Gedanken kreiste nur eine Frage. Was konnte die
Ruhe der Toten so sehr stören, dass sie die Flucht aus ihren Gräbern
anstrebten? Welches Grauen nahmen sie wahr, von dem er vielleicht
noch nichts ahnen konnte?
Als Fisk die Gaststätte erreichte,
wurde der Himmel schon deutlich blasser, dennoch würde es noch mehr
als eine Stunde dauern bis die Sonne unter ging. Um so mehr wunderte
es ihn, dass er Musik vernahm, als er sich der Tür zum Innenraum
näherte.
Das Murmeln mehrerer Gäste die sich an
den runden Tischen der Bar niedergelassen hatten, verstummte fast
gänzlich als der Waidmann eintrat. Jedes anwesende Augenpaar war auf
ihn gerichtet.
Nur ein Barde, ganz hinten in der
rechten Ecke auf einer kleinen Anhöhe, saß weiterhin schunkelnd auf
seinem Stuhl und gab ein Lied zum besten. Einige der Gäste steckten
die Köpfe etwas näher zusammen und nahmen ihre Gespräche wieder
auf.
Die Wirtin Mina winkte den Jäger heran
und deutete auf einen Hocker zwischen einer Gruppe von Männern, die
ähnliche Hüte wie er auf seinem Haupt trugen. Jäger. Gewöhnliche
Jäger.
Fisk seufzte leise und ließ sich auf
dem freien Platz nieder, als Mina bereits mit einem großen Krug auf
eines der Bierfässer zuhielt, hob er eilig die Hand.
„Habt ihr vielleicht noch etwas
anderes als Bier?“
Für einen Moment lang wurde er aus
großen Augen fragend angestarrt. Jeder in Kraic liebte dieses Bier
abgöttisch, wieso sollte er etwas anderes wollen? Verdutzt ging sie
an dem großen Regal hinter sich entlang in welchem Flaschen
verschiedenster Art ihren Platz gefunden hatten.
„Habt ihr Rum da?“ Die Frage des
Jägers brachte ihm noch mehr fragende Blicke ein.
Ohne ein Wort zu sagen nahm Mina eine
der staubigsten Flaschen aus dem Regal und schenkte ihm ein wenig des
klaren Alkohols ein. Etwas unsicher schob sie ihm das nicht einmal
halbvolle Glas hin, doch der Jäger machte eine wedelnde Handbewegung
sie solle das Glas doch bitte wieder zurück nehmen. „Etwas voller
bitte.“
Mina schluckte und füllte das Glas bis
zum Rand und schob es ihm wieder hin.
Fisk, ein dünnes Lächeln auf den
Lippen, nahm einen guten Schluck des Gesöffs und atmete tief durch.
Erst dann schenkte er den Männern um ihn herum Aufmerksamkeit.
„Nun denn. Ihr sitzt doch nicht alle
zufällig hier oder? Was brennt euch unter den Nägeln?“
Ein stämmiger Mann zu seiner Linken
stemmte eine seiner Fäuste in die Seite und beugte sich weit zu Fisk
vor. „Ihr seid tatsächlich ein Nebeljäger?“ Nachdem sein
Gegenüber nicht die Höflichkeit besaß auf seine Frage zu antworten
schnaubte der Jäger genervt auf und kratzte sich an seinem
Bierbauch. „Ich meine... habt Ihr keine Manieren? Setzt Euch hier
in voller Montur an den Tisch und legt nicht einmal Eure Waffen ab?“
Fisk nahm noch einen Schluck und leerte
das Glas fast bereits schon, wenn das so weiter ginge, würde er
vielleicht doch noch ein zweites gebrauchen können.
Diesmal drehte auch er sich auf seinem
Hocker zu dem anderen Jäger herum und lehnte sich entspannt am
Tresen an.
„Komm zum Punkt, und kau mir kein Ohr
ab. Was ich mache oder lasse geht nur mich und meinen Auftraggeber
etwas an.“ Langsam rollte sein Kopf zu Mina hinüber die noch immer
auf sein Glas mit dem verbliebenen Rum starrte.
„Stört es Euch wenn ich meine Waffen
trage?“ Die Wirtin zog ihre Schultern hoch und warf sich ein
Handtuch, welches sie zum Abtrocknen der Gläser verwendete, über
die Schulter.
„Ich denke nicht. So wärt ihr bereit
wenn es zu einem Angriff kommt. Außerdem denke ich nicht, da ich
Euch einlud, dass ihr beabsichtigt hier Ärger zu machen.“
Fisk lächelte ihr zu, sein Kopf rollte
wieder langsam über seine Schulter nach vorn. Bis er in das rote
Gesicht des anderen Jägers blickte, war sein Lächeln bereits
erloschen.
„Also. Kommt zum Punkt.“
Das aufgedunsene Gesicht des Jägers
färbte sich noch mehr rot, sein Mund schnappte auf wie der eines
Fisches. Bevor er allerdings sagen konnte, was ihm auf der Seele lag,
schob sich eine Hand auf dessen Schulter um ihn zu beruhigen.
Hinter dem Koloss erhob sich ein
weiterer Jäger der Gruppe von seinem Platz, und trat an die Seite
seines Kollegen.
Sein dichter Bart zog sich auseinander
und offenbarte eine Reihe gepflegter Zähne. „Entschuldigt meinen
Freund hier. Mein Name ist Ron. Wir sind die Jäger dieser Stadt.
Es ist nur so, dass ganz Kraic bereits
in Aufruhr ist vor Freude dass ihr zu uns gekommen seid. Ihr müsst
wissen, wir alle leiden unter der momentanen Situation und daher
liegen unsere Nerven etwas blank.“
Grimmig warf er seinem Kumpanen einen
Blick zu und gab ihm ein Zeichen, den Platz frei zu machen.
Nachdem sich Ron wieder niedergelassen
hatte, stützte er sich mit beiden Händen auf seinen Knien ab und
beugte sich Fisk entgegen. Sein Lächeln erlosch.
„Viele von uns haben ihr Leben in den
Wäldern gelassen als sie versuchten dem Grauen ein Ende zu setzten.
Das Grauen, was uns schon so lange in dieser Starre hält. Jäger,
Soldaten, wirklich gute und erfahrene Männer unserer Stadtwache
zogen in die Wälder und kehrten nie zurück.
Der König schickt uns keine Hilfe,
wahrscheinlich hat er uns schon aufgegeben. Wir sagen uns immer, wir
geben nicht auf. Komme was wolle. Aber unsere Hoffnung schwindet denn
wir blicken einem harten Winter ohne Vorräte entgegen.
Ihr seid unsere letzte Hoffnung,
Nebeljäger.“
Mit seinem Kinn deutete er auf Mina,
die sichtlich mit den Tränen kämpfte, dann fixierte er wieder die
blauen Augen von Fisk.
„Lady Bach, die erst vor kurzem ihren
Mann verlor, hat den meisten Mut von uns allen bewiesen und Euch ein
Hilfegesuch geschrieben. Wir wollen Euch nur klar machen, wie viel
für uns auf dem Spiel steht. Wenn ihr uns nicht helfen könnt, dann
wissen wir nicht, wen wir noch um Rat fragen sollten.“ Ron beugte
sich noch ein wenig weiter vor und setzte zum Flüsterton an, als
fürchte er seine Worte könnten von den falschen Ohren aufgeschnappt
werden.
„Uns wird immerzu gesagt wir sollen
die heiligen Messen besuchen und beten. Es heißt dieser Fluch ist
über uns gekommen, weil viele von uns Sünde im Herzen tragen, und
all der Schrecken würde enden, wenn alle Sündiger von den
Ungeheuern geholt wurden.
Doch soll ich Euch etwas sagen? Ich gebe nichts auf Gebete! In der letzten Woche holten sie meinen Bruder, und der liebe Gott sollte eigentlich wissen dass es keinen frommeren Mann als ihn in ganz Siont gegeben hat!“
Doch soll ich Euch etwas sagen? Ich gebe nichts auf Gebete! In der letzten Woche holten sie meinen Bruder, und der liebe Gott sollte eigentlich wissen dass es keinen frommeren Mann als ihn in ganz Siont gegeben hat!“
Fisk hielt sein Glas ein wenig hoch und
schwenkte den letzten Schluck eine Weile lang hin und her, bevor er
ihn brennend seine Kehle hinab sickern ließ. Als er das Glas wieder
abstellte ließ er einmal die Schultern kreisen und nahm seinen Hut
ab.
„Warum nennt ihr die Lady Bach mutig
nur weil sie mir ein Hilfegesuch geschickt hat? Dafür braucht man
keinen Mut.“
Er konnte den empörenden Blick der Wirtin aus dem Augenwinkel erahnen. Viele Köpfe drehten sich aufgrund der dreisten Bemerkung zu dem Jäger herum. Der Barde bemerkte dass die Stimmung im Gasthaus deutlich drohte zu kippen. Einige Männer erhoben sich von ihren Plätzen und ballten die Hände zu Fäusten. Bereit ihm jeden Zahn einzeln aus seiner Visage zu prügeln.
Er konnte den empörenden Blick der Wirtin aus dem Augenwinkel erahnen. Viele Köpfe drehten sich aufgrund der dreisten Bemerkung zu dem Jäger herum. Der Barde bemerkte dass die Stimmung im Gasthaus deutlich drohte zu kippen. Einige Männer erhoben sich von ihren Plätzen und ballten die Hände zu Fäusten. Bereit ihm jeden Zahn einzeln aus seiner Visage zu prügeln.
Fisk lehnte sich mit seinem Rücken an
den erstarrten Mann, der hinter ihm saß, hob sein Bein und stellte
seinen Fuß auf das Stückchen Hocker welches zwischen Rons
gespreizten Beinen hervor lugte.
Die Arme vor der Brust verschränkt
zuckte Fisk mit den Schultern und legte den Kopf leicht schief
während er Ron genau taxierte.
„Ihr missversteht mich. Das sollte
keine Anfeindung sein. Ich will nur wissen, was ihren Mut ausmacht.“
Sein Gegenüber starrte ihn aus
zusammen gekniffenen Augen an, und deutete auf die Wirtin.
„Diese Frau hat ganz allein das Dorf
in früher Morgenstunde verlassen, und hat sich bis hoch zur
Küstenstraße durchgeschlagen um einen Boten abzupassen dem sie das
Hilfegesuch überbringen konnte. Diese Straße führt eigentlich auch
hinab in unser Dorf, aber niemand traut sich mehr zu uns. Bis zu
dieser Straße und wieder zurück, benötigt man mehr als einen Tag.
Doch diese Frau, hat es ganz allein
geschafft, in den letzten Atemzügen des Tageslichts wieder hier her
zurück zu gelangen!“
Ron setzte sich auf seinem Stuhl wieder
auf, und richtete mit hartem Blick über die verspottende Art des
Jägers. „Nur damit Ihr es wisst. Für des Nachts wurde eine
Ausgangssperre errichtet. Sobald die Dunkelheit herein bricht, muss
jeder seine Fenster und Türen verriegelt haben.
Wer dennoch erwischt wird, landet im
Kerker. Die Stadtwache duldet keine Ausnahmen. Könnt Ihr Euch
vorstellen was man zu diesen Zeiten im Kerker zu essen bekommt? Gar
nichts. Man verrottet dort unten!“
Fisk fuhr sich mit seiner Hand
nachdenklich über seinen Bart und schürzte die Lippen.
„Eine solch harte Ausgangssperre?
Wofür? Ich hörte die Ungeheuer kommen nur in der Nacht zum Ruhtag
in das Dorf.“
Nun war es der Jäger mit dem wohl
genährten Bauch, welcher sich neben Ron stellte und wütend die Arme
in die Luft schmiss. Seine laute, krächzende Stimme erfüllte die
ganze Gaststätte.
„Seid ihr ein Idiot? Vorschriften
sind Vorschriften! Sie dienen unserer Sicherheit! Diese Dämonen
lauern doch nur darauf dass sich jemand hinaus wagt den sie
zerfleischen können!“
Fisk hielt der Wirtin sein Glas hin und
deutete damit auf die Flasche Rum. Ihr Blick war finster als sie ihm
neuerlich eingoss. Mit einem Lächeln auf den Lippen hielt Fisk sein
Glas in die Höhe und nahm eine weitaus entspanntere Haltung ein.
„Ein Hoch auf den Mut der Lady Bach.
Mir war nicht bewusst welches Risiko diese Dame auf sich genommen hat
um mich hier her zu rufen.“ Mit einem Zwinkern blickte er nochmals
zu Mina und flüsterte leise. „Nichts für ungut.“
Ein wenig unsicher erhoben sich die
meisten der Gäste wieder und prosteten dem Fremden mit ihren Krügen
zu. Niemand wusste recht wie sie das Verhalten des Waidmanns
einschätzen konnten.
Fisk ließ den Blick durch die
anwesenden Gäste schweifen und breitete seinen Arm mit dem Glas in
der Hand aus. „Wenn noch jemand beabsichtigt einem unwissenden
Fremden wie mir ein paar Informationen zu geben, die mir vielleicht
helfen könnten, ach dann wäre ich auf jeden Fall sehr dankbar.
Jede Kleinigkeit, sei sie auch noch so
unbedeutend, höre ich mir gern an. Schließlich will ich euch so
rasch wie Möglich wieder den Frieden in eure Straßen bringen!“
Sofort entstand ein Wirrwarr aus
Stimmen und Rufen, alle diskutierten und überlegten ob es etwas
Wichtiges gab, dass der Jäger unbedingt wissen musste.
Ron starrte den Fremden noch immer
finster an, er fühlte sich unsicher. Die Worte des Nebeljägers
waren freundlich gewesen, aber er glaubte dass eben dieser Fremde sie
alle gerade in diesem Moment verhöhnte.
Alle Gäste sahen zu, dass sie schon
lange vor Sonnenuntergang in ihre Häuser zurück kehrten, um diese
für die Nacht zu verriegeln.
Nur einer hatte sich schon früher aus
einer Ecke der Gaststätte geschält und sich auf den Weg gemacht. Er
führte ihn nicht nach Hause. Sein neu erlangtes Wissen wollte weiter
getragen werden.
Fisk hatte Mina und ihrem Sohn noch
geholfen sämtliche Fenster und Türen zu verrammeln. Als die Wirtin
sich an die letzte, die Eingangstür, machen wollte, hielt der Jäger
sie auf.
„Ich sollte schon draußen sein,
bevor ihr die Tür verriegelt.“ Mina starrte zu dem Waidmann auf,
sein Grinsen konnte sie nicht erwidern.
„Ihr wollt hinaus? In einer
Ruhtagnacht? Aber sie werden heute kommen...“
Fisk setzte seinen Hut wieder auf und
richtete seinen Mantel ein letztes Mal. Es war nur ein Schulterzucken
dass er der Wirtin schenkte bevor er sein Schwert wieder auf den
Rücken schnallte.
Seine blauen Augen wirkten wie ein
eisiger Hauch der sie streifte, und jagte Mina einen Schauer über
den Rücken.
„Dafür habt Ihr mich doch gerufen.“
Er trat hinaus in die Dämmerung, die
Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden und bald schon
würden ihre letzten Strahlen erlöschen um die Nacht über das Land
sinken zu lassen.
Veldig, sein treuer Begleiter folgte
ihm durch die schmalen Gassen von Kraic über die sich eine
bedrückende Stille gelegt hatte.
Die Schritte des Waidmanns hallten laut
von den Häuserwänden wieder. Alle Fenster waren mit Brettern so
dicht abgeschottet worden, dass kein Funken Kerzenschein mehr hinaus
drang.
Als Fisk sein Ziel erreichte, hatte
bereits die Dunkelheit alles rings herum verschluckt. Nur ein wenig
Mondlicht fiel durch das Wolkendach, nicht genug um über die Hand
vor seinen Augen hinaus zu blicken. Der Waidmann ließ sich auf einem
Hügel nieder, der die Dächer von Kraic um wenige Meter überragte.
Der Hügel lag an der Grenze des Waldes
die er am Nachmittag ausgespäht hatte. Niemand hatte ihm sagen
können von wo genau die Bestien in die Stadt einfielen, daher hatte
er diesen Platz auserwählt, um einen guten Überblick über die
Straßen unter sich zu bekommen.
Veldig ließ sich auf seine Hinterläufe
nieder und stellte seine Ohren vor Anspannung auf. Wie zu einer
Statue erstarrt verharrte das Tier in vollkommener Ruhe, alles was
sich bewegte waren seine Ohren die er zu allen Seiten ausrichten
konnte.
Fisk nahm eines der kleinen Fläschchen
welche in einem breiten Gurt steckten, den er sich über die Brust
geschnallt hatte. Er schüttelte die dunkle Flüssigkeit bevor er den
Korken hinaus zog. Mit nur einem Schluck stürzte er den Inhalt seine
Kehle hinab und schloss die Augen.
Ein Schauer ging durch seinen Körper,
er blinzelte einige Male, und als er seine Augen wieder aufriss, lag
die Welt um ihn herum nicht mehr in Dunkelheit da.
Alles war deutlich zu erkennen. Die
Schindeln auf den Häuserdächern, die Pflastersteine auf den
Straßen, kleine Schneeflocken die hinab auf das Land rieselten.
Des Waidmanns Pupillen hatten sich zu
schmalen Schlitzen verformt.
Mit einem Blick über die Schulter
starrte er in das Dunkel des Waldes, er konnte die einzelnen
Sträucher und die Stämme der Bäume gut erkennen, jedoch nichts
außergewöhnliches.
In seinen Ohren aber, konnte er eine
Veränderung im Gegensatz zum Tage deutlich ausmachen. Die Stille im
Wald war verschwunden. Er hörte ein feines Rascheln in der Ferne und
den Hall eines weit entfernten Wolfsgeheul. Das Leben schien in den
Wald zurück gekehrt zu sein, der gute Jäger ahnte nicht, wie sehr
er sich zu diesem Zeitpunkt irrte.
Er nahm seine Armbrust von der
Befestigung an seinem Köcher und löste einen Mechanismus aus, der
die beiden Wurfarme aufschnellen ließ. Langsam zog er einen Pfeil
aus seinem Köcher und spannte ihn ein. Aus einem kleinen Lederbeutel
zog er einen selbstgedrehten Kräuterstängel hinaus und zündete ihn
mit einem Streichholz an. Weißer Rauch füllte seine Lungen.
Der Jäger war bereit.
Nur einen Wimpernschlag später drang
ein bedrohliches Knurren aus der Kehle seines Begleiters.
Fisks Augen huschten umher, was war es
dass ihm entgangen war, Veldig aber nicht.
Dann entdeckte er es. An der Nordseite
des Dorfes löste sich etwas aus den Schatten der Bäume und tauchte
ein in den Schutz der schmalen Gassen.
Fisk erhob sich und zog seine
Handschuhe zurecht, ein dunkles Schmunzeln huschte über seine Züge.
„Die Jagd beginnt.“
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